„Ja“, antwortete Sam auf Deans Frage, „völlig durchgeknallt.“
„Hm, er hatte auch ’n schlechten Innenausstatter“, sagte Dean, als er seine Tasche am Fußende des anderen Betts fallen ließ und sich hinlegte. „Ich denke mal, das chinesische Restaurant öffnet nicht vor dem Mittagessen – oder?“, fragte er in Richtung Zimmerdecke.
„Ich werde es rausfinden.“
Sam zog den Laptop aus der Tasche und setzte sich an den winzigen Schreibtisch. Er öffnete ihn und suchte unter dem Tisch nach einer Steckdose. Dort waren nur zwei, in denen eine Lampe und der Fernseher eingestöpselt waren. Er zog den Lampenstecker heraus.
Er wusste, dass er besser nichts am Fernseher machte.
Wie auf Kommando nahm Dean die Fernbedienung vom Nachttisch und zappte ungeduldig durch die Kanäle.
Es dauerte länger als eine Minute, bis Sams Laptop hochgefahren war. Er seufzte und wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie einen neuen brauchten. Dieser hier war schon ein paar Jahre alt, und es war so viel Zeugs auf der Festplatte, dass es ein Wunder war, dass er überhaupt noch funktionierte.
Leider waren ihre einzigen Einkommensquellen das Pokern, ihre Billard-Tricksereien und die milden Gaben von Bobby. Aber seit Bobby im Rollstuhl saß, war er nicht mehr so großzügig wie früher. Außerdem brauchten sie Sprit für den Impala und selbst etwas zu essen. Es war unwahrscheinlich, dass sie rund tausend Scheine für einen ordentlichen Laptop auftreiben konnten.
Als der Computer endlich hochgefahren war, fand die WLAN-Karte ein ungesichertes Netzwerk, das dem Hotel gehörte. Das war ein Vorteil, wenn man in billigen Absteigen wohnte – die meisten hatten inzwischen kostenloses WLAN. Die schicken Hotels berechneten obszöne Gebühren für Internetzugänge.
Als Erstes prüfte Sam die Öffnungszeiten des Restaurants und sah, dass es um zwölf Uhr mittags öffnete. Dann lud er seine Mails runter und suchte im Netz nach etwas, das er im Tagebuch seines Vaters gelesen hatte.
Bingo.
„Hey Dean“, sagte er. „Ich habe etwas gefunden, das vielleicht nützlich sein könnte. Erinnerst du dich, dass Dad sich mit einem Professor aus Berkeley getroffen hat?“
„Ja, ich glaub schon“, antwortete Dean. „Warum?“
„Nun, er ist immer noch dort. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Abteilung für Asiatische Studien. Wäre vielleicht ’ne gute Idee, mal mit ihm zu reden.“
Dean zuckte mit den Schultern, während er vom Bett aufstand.
„Kann nichts schaden“, sagte er. „Andererseits, wenn wir Glück haben, gehen wir einfach ins Restaurant, sprechen den Zauber, besorgen uns ein bisschen Hühnchen Chow Fun und gehen wieder.“
Sam starrte ihn einfach nur an.
„Alter – haben wir je so viel Glück gehabt?“
Dean griff in seine Tasche und zog das Hakenschwert heraus.
„Stimmt auch wieder.“ Er stellte das Schwert zur Seite und legte sich wieder zurück aufs Bett. „Dann ruf doch besser den Typen an.“
Während Dean sich in die Folge von Dr. Sexy M.D. der vergangenen Woche vertiefte, rief Sam die Universität an und navigierte durch eine irritierende Anzahl von automatischen Nachrichten. Das Wählscheibentelefon war dabei nicht gerade eine Hilfe. Endlich landete er auf Marcus Wallace’ Anrufbeantworter.
„Hi, Professor, hier ist Sam Winchester. Mein Bruder Dean und ich sind in San Francisco. Ich glaube, Sie haben vor zwanzig Jahren unseren Vater, John Winchester, kennengelernt und ich glaube, Sie kennen auch Bobby Singer. Wir sind hier, weil wir glauben, dass das Herz des Drachen zurück ist, und wir brauchen Ihre Hilfe. Wenn Sie mich zurückrufen könnten, wäre das toll.“
Sam gab ihm seine Handynummer und beendete das Gespräch.
Dann rief er Bobby an, um zu sehen, ob etwas passiert war.
„Der Engel hat vorbeigeschaut und meinte, er würde irgendwann bei euch vorbeikommen“, sagte Bobby und in seiner Stimme klang Bitterkeit mit. In seinem Zustand verübelte er Castiel, dass er die Fähigkeit zum Heilen verloren hatte. Für seinen Teil glaubte er, dass es Castiel einfach nicht wichtig genug war – was ihn nur noch wütender machte. „Ich lasse den Bastard wissen, dass ihr angekommen seid und wo ihr wohnt, für den Fall, dass ihr ein bisschen himmlischen Beistand benötigt.“
„Okay, Bobby, danke.“ Sam war sich nicht sicher, ob Bobby es Castiel überhaupt mitteilen musste, aber Bobby das zu sagen wäre, als würde man Salz in die Wunde des verkrüppelten Mannes reiben. Also legte er einfach auf.
Dann suchte er weiter im Internet, um zu sehen, ob in den vergangenen beiden Tagen etwas Auffälliges passiert war. Im San Francisco Chronicle stand ein Bericht über zwei bisher unidentifizierte Leichen – eine Frau und ein Mann – die in der Nähe des Lake Lloyd im Golden Gate Park gefunden worden waren. Die Frau war regelrecht geröstet worden und wies lange Schnittwunden am ganzen Körper auf. Den Mann hatte man seltsamerweise ohne sichtbare Verletzungen gefunden.
„Wir haben noch ein verbranntes Opfer“, sagte Sam. „Und die Wunden stimmen mit …“
Sam verstummte, als er ein wohlbekanntes Schnarchen hörte. Es war Dean, der vor dem Fernseher eingedöst war. Er blickte über die Schulter und sah, wie Dr. Sexy eine Ohrfeige von einer seiner Krankenschwestern bekam. Sam zuckte mitfühlend zusammen, ging zum Bett hinüber und zog vorsichtig die Fernbedienung aus Deans gelockertem Griff. Er schaltete den Fernseher aus, damit er in Ruhe am Computer arbeiten konnte.
Das ließ Dean auffahren.
„Hey, ich habe mir das gerade angesehen!“, bellte er.
„Sorry, Alter“, sagte Sam leise. Er schaltete wieder ein und gab Dean die Fernbedienung zurück. Dean musste erneut durch die Kanäle schalten, um die Sendung wiederzufinden.
Bevor er den Sender finden konnte, trat jemand die Tür ein.
„Also, das eine Mädchen packt das andere Mädchen und zieht sie an den Haaren. Mein erster Gedanke ist jetzt ‚Hey, es ist eine Party‘. Natürlich weiß ich, dass sie irgendwann die Kontrolle verlieren und ich denke, dass ich einschreiten muss.“
James ‚Tiny‘ Deng grunzte, als er mit Albert Chaos SUV auf die Ellis Street abbog und sich nach einem Parkplatz umsah. Er hasste es regelrecht, wenn er mit Jake Leung zusammenarbeiten musste. Jake hielt einfach nie die Klappe.
„Also halte ich sie auseinander und eine von ihnen – die mit den langen Haaren – krallt sich in meinen Arm. Schau mal, was sie mit mir gemacht hat.“ Jake hielt einen Arm hoch, um die Kratzer zu zeigen, aber Tiny sah gar nicht richtig hin.
Auf der Ellis Street war weit und breit kein Parkplatz zu sehen, aber Tiny fand eine Lücke vor einem Hydranten. Er zuckte die Schultern und parkte dort. Dann zog er einen Zettel aus dem Handschuhfach und legte ihn auf das Armaturenbrett. Dort stand in Blockbuchstaben SFPD – EINSATZ. Tiny hatte keine Ahnung, wo der Boss das Teil herhatte, aber es war nützlich, wenn man keinen Parkplatz fand.
Soweit Tiny sich erinnern konnte, war erst einmal jemand trotzdem abgeschleppt worden, und der Boss hatte das Auto wiederbekommen, ohne einen einzigen Penny zu bezahlen.
So machte man Geschäfte.
„Egal, ich wollte der Schlampe ’ne Lektion erteilen, also habe ich …“
Zu dieser Zeit hatte sein Partner seine zwei Meter fünf große Gestalt bereits aus dem SUV bewegt und starrte ihn einfach nur an, weil er noch angeschnallt auf dem Beifahrersitz saß.
„Äh, Jake? Wir sind da.“
„Häh?“ Jake sah sich um und wurde sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass der Wagen angehalten hatte. „Richtig.“ Er öffnete die Tür und sprang auf den Gehweg. Dabei konnte er gerade noch dem Hydranten ausweichen. „Also. Was suchen wir noch mal?“