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Zeit verging. Vielleicht entstanden in der Zeit, die er wartete, draußen in der Welt Reiche und Imperien, vielleicht verging auch nur die Spanne, die ein Gedanke brauchte – es interessierte ihn nicht. Jetzt endlich hatte er das Erbe seines Vaters angetreten und war der Waldkönig geworden. Und er hatte erst jetzt begriffen, was dieses Erbe bedeutete und dass es – wenn überhaupt – viel mehr als alles andere ein Fluch war. Du und die anderen, ihr habt eure Chance gehabt, glaubte er Lassars Worte noch einmal zu hören. Und ihr habt sie verspielt.

Hatten sie es getan?

Irgendwie glaubte Cavin zu ahnen, dass Lassar Recht hatte. Es war nicht Hochwalden, das verloren war. Es war nicht nur der Schwarzeichenwald, der niedergebrannt worden war. Der Wald würde wieder wachsen, sich wie ein Phönix aus der Asche erheben, wie er es jedes Mal getan hatte, all die unzähligen Male zuvor, da er das Kommen und Gehen eines neuen Volkes beobachtet hatte, denn die Geburt eines Volkes war so schmerzhaft und voller Blut wie die eines einzelnen Lebewecksens. Vielleicht würde irgendjemand sogar Hochwalden wieder aufbauen. Aber – und da war er ganz sicher – es würde kein Mensch sein. In diesem einen Punkt hatte Lassar Recht. Sie hatten ihre Chance gehabt. Ihre Zeit war abgelaufen. Oh, es würde Menschen geben, noch lange, noch Jahrhunderte, vielleicht Jahrzehntausende. Aber sie würden nicht länger die Herren sein.

Irgendwann bewegten sich die Schatten vor ihm und ein weißhaariger Mann erschien. Cavin lächelte flüchtig, als er Faroan erkannte.

»Ist er da?«, fragte er.

»Noch nicht«, antwortete Faroan. »Der Weg in die Unendcklichkeit ist weit. Aber er wird ihn bewältigen. Er ist stark. Von allen, die gekommen sind, war er der Stärkste. Er wäre vielleicht sogar in der Lage gewesen, den Weg zu verderben.«

»Aber nur vielleicht«, sagte Cavin.

Faroan lächelte. »Ja, sicher. Nur vielleicht. Die Unendlichkeit dauert zu lange, um Dinge wie Stolz oder Machtgier zu dulden. Er wird mit ihr verschmelzen und werden, was alle wurden: ein Teil des Ganzen.« Er schwieg eine Weile, bückte sich nach dem Stab, den Lassar achtlos fallen gelassen hatte, drehte ihn einen Moment in den Händen und warf ihn dann wieder zu Boden.

»Was ist er?«, fragte Cavin. »Gott?«

Faroan überlegte eine Weile. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob es so etwas wie Gott gibt. Wenn, dann kommt er ihm sicherlich nahe. Aber er ist nicht Gott. Er ist ein Wesen wie wir. Nur anders. Älter. Unendlich viel älter. Er ist alles. Eines Tages wirst auch du zu ihm gehören. Dann sehen wir uns wieder.«

Cavin nickte, stand auf, drehte sich herum und blieb noch einmal stehen. »Eines Tages sehen wir uns wieder«, bestätigte er. »Aber bis dahin ist noch viel Zeit – hoffe ich.«

»Was wirst du tun?«, fragte Faroan.

Cavin zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht. Die Welt ist groß. Vielleicht findet sich eine Verwendung für einen arckbeitslosen König.«

»Wirst du Hochwalden wieder aufbauen?«

Diesmal überlegte Cavin eine Weile. Dann schüttelte er den Kopf; sehr entschieden. »Es wäre nicht gut«, sagte er. »Und es wäre sinnlos. Du weißt, dass der Wächter nur einmal seine Aufgabe erfüllen darf.« Er zögerte, lächelte verlegen. »Habt ihr … schon einen Nachfolger für meine Familie?«

»Ja«, bestätigte Faroan. »Und es wird dich nicht überraschen. Ich glaube, du weißt, wer es ist.«

Cavin nickte. »Ich habe mich vom ersten Moment an gewundert, warum sie unseren Kampf gekämpft haben.«

»Vielleicht, weil es nicht euer Kampf war«, sagte Faroan ernst. Dann hob er den Arm, lächelte zum Abschied – und zerfaserte wie die Nebel, die ihn einhüllten.

Aber kurz bevor er verschwand, sah Cavin einen zweiten, massigen Umriss an derselben Stelle stehen, an der er gestanden hatte. Stämmige kurze Beine, ein graubraunes, struppiges Fell, spitze Ohren und Augen, die wie die von Tieren aussahen und doch voll großer Intelligenz und Sanftmut waren.

Auch der Raett verschwand spurlos, aber jetzt, nachdem Cavin den neuen Waldkönig gesehen hatte, wusste er, dass er sich um das Schicksal des Schwarzeichenwaldes keine Sorgen mehr zu machen brauchte.