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Fünf Tote, dachte Gwenderon düster. Fünf Tote, schon jetzt. Und es war noch ein weiter Weg bis Hochwalden.

Er blieb noch einen Moment neben dem Sterbenden hocken und blickte auf ihn hinab. Er empfand keinen Triumph – natürcklich nicht –, aber auch kaum Mitleid; nicht einmal Bedauern. Voller Schrecken begriff er, wie gleichgültig ihm diese Männer waren. Er hatte sie nicht als Männer akzeptiert, sondern sie nur als eine Last empfunden, mit ihren schreiend bunten Kleidern und ihrem dummen Gerede, ohne wahre Identität. Selbst jetzt, während er neben dem sterbenden Mann hockte und auf sein bleiches Gesicht hinabsah, empfand er nichts. Was geht in mir vor?, dachte er schaudernd.

Er fand keine Antwort auf diese Frage, und so erhob er sich nach einer Weile und ging, eigentlich ziellos, ein Stück den Weg hinab. Seine Hand schmerzte. Die Haut rings um die beickden winzigen, nadelspitzen Einstiche war gerötet und in seinem Arm pochte das Blut. Wenn er den Kopf zu schnell bewegte, verspürte er ein leichtes Schwindelgefühl. Aber das würde vergehen bis zum nächsten Morgen. Er war nicht oft genug gebissen worden, um ernsthaft krank zu werden.

Zu seiner Erleichterung musste er nicht lange warten, bis Guarr zurückkam. Der Raett erschien kaum fünf Minuten späckter, und er war nicht mehr allein, sondern wurde von zwei weickteren, etwas kleineren Rattenmännern begleitet, von denen er einen als seinen Bruder Gionn vorstellte. Die Raett-Herde konnte nicht sehr weit von hier entfernt im Wald lagern, dachte Gwenderon, obwohl sie weder etwas von ihnen gesehen noch gehört hatten. Plötzlich war er sehr froh, diese Wesen nicht zu Feinden zu haben.

13

Faroans Kopf schmerzte. Auf seiner Zunge hatte sich ein schlechter Geschmack eingenistet und die Luft in der Kammer kam ihm stickig und verbraucht vor, obwohl er das Fenster geöffnet hatte und es schon fast zu kalt war.

Müde stand er auf, ließ die Hände noch einen Moment auf den vergilbten Seiten des Zauberbuches liegen, in dem er die letzte Stunde geblättert hatte, ohne dass sich die verschlungenen Zeichen und Symbole auf dessen Seiten zu irgendeinem Sinn geordnet hätten, fuhr sich mit der linken Hand über die Augen und ging schließlich zum Fenster.

Die Dunkelheit schien sich vertieft zu haben. Gleichzeitig wirkte das lastende Schwarz jenseits der Mauern noch drohender. Es war Abend geworden, während er über seinen Orakeln und Büchern gesessen hatte. Auf den Türmen brannten jetzt kleine, flackernde Wachfeuer, und der halbmondförmige See, der zwei der vier Seiten Hochwaldens umschloss, lag wie eine Ebene aus geschmolzenem Pech da, dunkel und grundlos. Oro hatte die Wachen verstärkt, wie er gesagt hatte, aber obgleich jetzt an die hundert Krieger auf den Türmen und Wehrgängen patrouillierten, war kaum ein Laut zu vernehmen.

Nichts, dachte er müde. Er hatte alles getan, was er vermochte, jedes Orakel, jedes Zeichen, jedes Buch befragt, das er kannte, auf die geheimnisvollen Stimmen des Waldes gelauscht, die auch er nicht immer zu enträtseln verstand, in seine Kristallkugel geblickt – nichts. Nichts, außer einer sehr starken Vorahnung von Gefahr und Untergang, einer sehr großen Gefahr und eines sehr gründlichen Unterganges sogar – aber mehr konnte er den Zeichen nicht entnehmen. Es war, als hätte er all seine Macht verloren. Oder als gäbe es da etwas, das sie störte.

Faroan war von tiefer Sorge erfüllt, als er sich nach einer Weile umwandte und zu dem hölzernen Podest hinüberging, auf dem die Kristallkugel lag. Das Flackern des Kaminfeuers und sein eigenes Gesicht spiegelten sich in der polierten Oberfläche, aber es war nicht sein Gesicht, das ihm entgegenblickte, die gewölbte Oberfläche der Kugel verzerrte es zu einer Grickmasse und der tanzende rote Lichtschein der Flammen tauchte es in Blut. Es war ein böses Omen. Ein weiteres, böses Omen in einer endlosen Kette schlimmer Vorzeichen.

Der weißhaarige Magier atmete tief ein, hob die Hände und umschloss die Kugel in einer beschwörenden Geste. Das verckzerrte Spiegelbild seines Gesichts verschwand und für einen Moment schienen wesenlose graue Schatten das Innere des Kristalls auszufüllen, während Faroans Lippen unhörbare Worte formten. Die Kristallkugel wäre dabei nicht einmal nötig gewesen; ebenso gut hätte er einen Stein nehmen können oder eine Schale mit Pferdemist. Sie war eine der Konzessionen, die selbst der so mächtige Stand der Magier an die Welt gemacht hatte, und natürlich nicht einmal uneigennützig. Aber daran verschwendete Faroan in diesem Moment keinen Gedanken. Irgendetwas war … anders.

Die Schatten verdichteten sich, bildeten Formen und Umrisse und trieben wieder auseinander. Bilder entstanden und vergingen so schnell, wie sie gekommen waren.

Dann …

Das wogende Grau in der Kugel ballte sich zu Klumpen, grauen, faserigen Gebilden, die mit klebrigen Fäden miteinander verbunden schienen. Ein rotes, bösartiges Licht erschien im Herzen der Kristallkugel, ein Flackern und Lohen wie der Blick eines Dämonenauges, eingebettet in ein Netz aus Schwärze …

Faroan löste seine Hände von der Kugel und taumelte mit einem Schrei zurück. Seine Finger zitterten und plötzlich perlte Schweiß auf seiner Stirn. Seine Augen waren unnatürlich geweitet. Sekundenlang starrte er auf die Kugel, in der noch immer graue und schwarze Schemen tanzten.

»Lassar …«, keuchte er und alles Grauen, zu dem er überhaupt fähig war, lag im Klang dieses Namens. »Lassar …«

Plötzlich fuhr er herum. Er packte seinen Stab, stürmte zur Tür und auf den Gang hinaus, lauthals Oros Namen rufend. Der Posten, der auf dem Korridor vor seiner Kammer Wache hielt, blickte ihm verstört nach, aber Faroan ignorierte ihn. So schnell ihn seine alten Beine trugen, rannte er den Gang hinab, stürmte die enge Wendeltreppe hinunter und eilte zum Thronsaal.

Oro war allein, wie er erwartet hatte. Der große, spärlich eingerichtete Raum war in die Dunkelheit getaucht, die mit der Nacht durch die Fenster hereingekrochen war, und es war noch kein Feuer entzündet worden. Nur beiderseits des Throns standen zwei Kohlebecken voller Glut, die eine Insel aus dunkelrocktem Licht im Saal schufen, jenseits derer die Dunkelheit nur umso lastender erschien.

»Lassar!«, keuchte Faroan. »Bei allen Göttern, Oro, wir hackben uns geirrt. Lassar wird …«

König Oro brachte ihn mit einer raschen, befehlenden Geste zum Verstummen. Hinter seinem Thron bewegten sich Schatten; zwei Männer seiner Leibgarde, die bisher unsichtbar im Dunkel gestanden hatten.

»Du bist erregt, mein Freund«, sagte der König. »Beruhige dich und dann sprich. Was ist mit Lassar und worin haben wir uns geirrt?«

Faroan zwang sich gewaltsam zur Ruhe, schloss für einen Moment die Augen und atmete ein paar Mal gezwungen tief ein und aus, ehe er antwortete. Aber seine Stimme bebte noch immer vor Erregung. Seine Hand schloss sich so fest um den Magierstab, dass seine Knöchel knackten.

»Nicht wir haben uns getäuscht, mein König«, sagte er. »Sondern ich. Ihr hattet Recht. Er wird uns angreifen.«

»So?« Oro lächelte auf eine sonderbare Weise, aber Faroan war viel zu erregt, um darauf zu achten.

»Ich fürchte, er hat schon damit begonnen«, stieß er hervor. »Seine Magie …«

»Ist doch ein wenig stärker, als du geglaubt hast, nicht wahr, mein Freund?«, unterbrach ihn Oro.