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Auf dem sorgsam geglätteten Stein waren Linien zu erkennen: ineinander verschlungene Schlangenlinien, die einen sonderbar asymmetrischen – und unmöglich zu beschreibenden Umriss bildeten. Mannon zögerte und Gwenderon spürte deutlich, wie viel Überwindung es ihn kostete, seine Angst noch einmal niederzukämpfen und die Axt zur Hand zu nehmen. Als er es schließlich tat, waren seine Bewegungen voller Hast und nicht sehr sicher.

Die doppelt geschliffene Schneide knirschte bedrohlich, als Mannon sie in den schmalen Spalt im Stein schob und als Heckbel benutzte. Für einen winzigen Moment sah es eher so aus, als würde sie unter seinem Druck zerbrechen, statt den Spalt im Fels zu erweitern, aber dann erscholl ein sonderbar heller, seufzender Laut und vor den Füßen des Zwerges schwang ein gewaltiger Felsquader in die Tiefe; nahezu lautlos und sanft wie eine Feder. Gwenderon versuchte vergeblich den Mechacknismus zu erkennen, der den tonnenschweren Fels so sanft zu bewegen imstande war.

»Wohin –«, begann Cavin. Mannon fuhr herum und schnitt ihm mit einer erschrockenen Geste das Wort ab. »Keinen Laut!«, keuchte er. »Ich beschwöre Euch, keinen Laut mehr jetzt! Ganz gleich, was geschieht!«

Cavin verstummte erschrocken. Seine Augen wurden dunkel vor Angst, während sein Blick der schrägen, steil in die Tiefe führenden Rampe zu folgen versuchte, die unter der Falltür zum Vorschein gekommen war. An ihrem unteren Ende lastete Dunkelheit, eine Schwärze von wahrhaft stofflicher Art, wie eine Mauer.

Hintereinander folgten sie dem Zwerg in die Tiefe. Das graue Leuchten war auch hier allgegenwärtig, sodass sie die schmacklen, in den bloßen Fels hineingemeißelten Stufen deutlich erkennen konnten, die der Rampe folgten, als wäre sie nicht nur für menschliche, sondern auch für die Füße anderer Wesen geschaffen, denn sie waren zu hoch und zu schmal, um wirkcklich darauf gehen zu können. Irgendwo, wenige Meter unter ihnen, verloren auch sie sich in grauer Unendlichkeit, als wäre der Schacht mit leuchtendem Wasser gefüllt, und einen Mockment lang musste sich Gwenderon mit aller Gewalt gegen die Vorstellung wehren, dass dieser Höllenschacht geradewegs bis ins Zentrum der Erde hinabführte und ein einziger Fehltritt einen Sturz über Meilen und Meilen zur Folge haben könnte.

In Wahrheit war er nur wenige Dutzend Schritte tief. Aber es war ein entsetzliches Gefühl, nicht zu sehen, wohin einen der nächste Schritt führen würde.

Selbst als sie den Grund des Schachtes erreichten und wieder festen Boden unter den Füßen hatten, wurde es nicht besser. Die Angst gehörte so sehr zu dieser unterirdischen, verbotenen Welt wie ihr lichtschluckender Fels und der graue Schein.

Sie befanden sich in einer kleinen, vollkommen runden Kammer, von der zahllose niedrige Stollen abzweigten; offenckbar der Ausgangspunkt eines ungeheuerlichen Labyrinthes, das sich weit unter dem Wald erstreckte. Gwenderon dachte einen Moment darüber nach, welche finsteren Geheimnisse und üblen Dinge sich wohl noch in seinen schwarzen Eingeweiden verbergen mochten, zog es aber vor, doch nicht weiter darüber nachzudenken, und sah stattdessen den Zwerg fragend an. Mannon erwiderte seinen Blick ruhig, sah sich kurz um und deutete mit der Hand auf einen der abzweigenden Tunnel.

Noch einmal zögerte Gwenderon der Einladung zu folgen, dann vertrieb er seine Angst endgültig, duckte sich und drang mit raschen Schritten hinter dem Zwerg in den felsigen Gang ein. Irgendwo vor ihm bewegte sich etwas, sehr deutlich diesckmal, und Gwenderon war sicher, dass es nicht Mannon war – aber er schob den Gedanken mit aller Willenskraft von sich und zwang sich dazu, sich nur auf das vor ihm liegende Stück Weges zu konzentrieren.

Es war nicht sehr weit. Schon nach einem guten Dutzend Schritte endete der Gang, vor einer gewaltigen, schwarzen Tür aus Basalt, auf der sich die sinnverwirrenden Muster und Linicken der Falltür weiter oben wiederholten. Diesmal mussten sie Mannons Axt nicht zu Hilfe nehmen, um weiterzukommen: Die Tür schwang wie von Geisterhand (wieso wie?, dachte Gwenderon hysterisch. Es waren Geisterhände!!!) bewegt auf und der Zwerg ging weiter.

Mannon blieb so abrupt stehen, dass Gwenderon die Bewegung nicht mehr rechtzeitig bemerkte und gegen ihn prallte. Instinktiv senkte er die Hand auf das Schwert, führte die Beckwegung aber nicht zu Ende, als der Zwerg rasch und warnend die Hand hob und mit einer Kopfbewegung nach vorne wies. Lautlos trat Gwenderon neben ihn und spähte in die Halle hinckein.

»Was ist los?«, flüsterte er.

Mannon blickte ihn zornig an und legte warnend den Zeigefinger auf die Lippen. »Still«, flüsterte er. »Wartet hier!«

Er wartete Gwenderons Antwort nicht ab, sondern huschte einen Schritt zur Seite, um in die Deckung eines zyklopischen, schwarzen Basaltbrockens zu gelangen, bedeutete Gwenderon mit Gesten, ihm zu folgen, und nahm nun doch seine Waffe zur Hand; allerdings sehr langsam, wobei er die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken hindurchgleiten ließ, damit sie kein verräterisches Scharren verursachte.

Auch Gwenderon griff abermals nach seinem Schwert, zog die Waffe jedoch noch nicht, sondern blickte den Zwerg mit einer Mischung aus Angst und Unsicherheit an. Mannon erwickderte seinen Blick, aber seine Augen waren leer: Gwenderon war sicher, dass der Zwerg ihn nicht wirklich sah. Eine Weile blieb Mannon in Deckung, in sonderbar erstarrter Haltung und gebannt lauschend, dann stand er sehr langsam auf und deutete ein Nicken an.

»Es ist alles in Ordnung«, flüsterte er. »Wir können weitergehen. Dort vorne!«

Gwenderon blickte gebannt in die Richtung, in die Mannons ausgestreckter Arm wies. Er sah nichts als unscharfe Formen, verwaschen, als betrachte er sie durch einen Schleier schnell stürzenden grauen Wassers, und huschende Bewegung, die wohl nur seiner eigenen Angst entsprang. Vor ihnen erstreckte sich eine weitere, ungeheuerliche Höhle, so groß, dass sich Gwenderons Verstand weigerte ihre wirkliche Größe zur Kenntnis zu nehmen.

»Wie weit … ist es noch?«, fragte er stockend. Sein Gaumen war so trocken, dass er kaum noch sprechen konnte.

»Nicht mehr weit«, erwiderte Mannon im Flüsterton. »Noch durch diese Halle, dann geht es hinauf. Wenigstens … hoffe ich das«, setzte er stockend hinzu.

Gwenderon starrte ihn an. »Du hoffst?«, wiederholte er ungläubig. »Was soll das heißen? Kennst du den Weg oder nicht?«

»Ich war niemals hier«, erwiderte Mannon ruhig. »Niemand war das, Gwenderon. Aber ich kenne den Weg. Und nun kommt.« Er straffte sich, fuhr herum und ging weiter, so schnell, dass Gwenderon keine Gelegenheit fand, ihn zur Rede zu stellen. Gwenderon folgte ihm, die rechte Hand auf dem Schwert, die linke am Zügel seines Pferdes, so fest, dass das Leder hörbar ächzte.

Schatten und Kälte und die verzerrten Echos ihrer Schritte folgten ihnen. Und die Halle war nicht mehr leer.

Jetzt, als er einmal darauf aufmerksam geworden war, sah er es deutlich: Inmitten des grauen Lichtes bewegte sich … ein Schatten.

Gwenderon konnte nicht erkennen, woher er kam – das flackernde graue Licht verwischte alles, was weiter als wenige Schritte entfernt lag, bis zur Unkenntlichkeit – aber er war groß und massig und er bewegte sich.

»Mannon?«, fragte er. »Bist du das?« Seine Stimme hallte unheimlich von den Wänden wider und der Schatten hörte für einen Moment auf, sich zu bewegen. Dann kam er weiter auf sie zu. Und irgendetwas an ihm war entsetzlich falsch.

»Zum Teufel, ihr sollt den Mund halten!«, erscholl Mannons Stimme aus der Dunkelheit, ein gutes Stück vor und rechts von dem Schatten. Seine Gestalt tauchte aus den pulsenden Scheckmen auf, das Gesicht eine Grimasse des Entsetzens, seine Haut glänzend vor Schweiß.

»Was … was ist das?«, stammelte Gwenderon.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Mannon. »Der … Wächter, von dem ich sprach. Ich beschwöre Euch, schweigt jetzt und geht weiter. Es ist nur noch ein kurzes Stück. Und seid still – das gilt auch für euch andere!«, fügte er mit erhobener Stimme hinzu, an die Männer gewandt, die ihm und Gwenderon wie zitternde Schatten folgten. Die Höhle fing seine Worte auf und verzerrte sie zu einem entsetzlichen Gelächter. »Ganz gleich, was geschieht, beachtet es nicht. Folgt nur mir. Und wehrt euch nicht. Wer seine Waffe zieht, ist verloren!«