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Niemand widersprach, als er diesmal das Zeichen zum Weicktergehen gab, und auch Gwenderon nahm schweigend den Zückgel fester zur Hand und bemühte sich, den Abstand zu Mannon nicht größer als zwei Schritte werden zu lassen. Ein paar Mal sah er zu den anderen zurück. Sie folgten ihm in geringer Entfernung, aber er konnte nicht einmal die Gestalt Cavins identifizieren; ihre Gestalten waren verschwommene Schemen, die sich in grauer Helligkeit aufzulösen schienen wie trockenes Laub in leuchtender Säure. Und da war der Wächter, von dem Mannon gesprochen hatte, der Schatten, tausendfach schlimmer als Lassars Kreaturen, lauernd, sie umschleichend, niemals wirklich sichtbar, aber da.

Dann auf einmal begann einer der Männer zu schreien.

Für einen winzigen Moment glaubte Gwenderon das Blitzen von Metall zu sehen, ein sich aufbäumendes Pferd und ganz deutlich das schreckverzerrte Gesicht des Kriegers, dann legte sich ein anderer, viel gewaltigerer Schatten über den Mann und sein Tier, und plötzlich war nur noch wirbelnde Schwärze da, und ein grässlicher, nicht enden wollender Schrei, der tausendfach gebrochen von den unsichtbaren Wänden der Höhle wickderhallte.

Dann waren alle drei verschwunden – der Mann, sein Tier und der schwarze Schatten.

23

Das Trommeln der Hufschläge war verklungen, und nachdem das riesige Tor mit einem dumpfen Schlag geschlossen worden war, hatte sich erneut das tiefe, bedrohliche Schweigen des Todes über Hochwalden ausgebreitet. Es war vollends Tag geworden und trotzdem herrschte auf dem lang gestreckten Rechteck des Hofes noch Dunkelheit: Die Schatten waren tiefer und schärfer abgegrenzt als gewöhnlich und das Licht war bleiern und schien zu flackern, als hinge ein unsichtbarer Schleier vor dem gelben Ball der Sonne, der ihrem Licht jeden Rest von Wärme und Lebenskraft nahm.

Die Männer auf den Mauern waren immer noch die geisterckhaften Statuen und auch in den endlosen Gängen und Treppenfluren der Burg regte sich nicht die geringste Spur von Leben.

Hochwalden, die Festung König Oros, die Beschützerin des Schwarzeichenwaldes und Symbol für dessen Unantastbarkeit, hatte sich in ein gewaltiges steinernes Grab verwandelt.

Und doch war sie nicht leer.

Das Leben war aus ihren Mauern verjagt worden, aber zusammen mit Lassar, dem Herrn der Schatten und seinen Kreackturen, hatte etwas anderes, unbeschreiblich Finsteres Einzug in die uralten Mauern gehalten. Es war still.

Es dauerte einen Moment, bis Lassar begriff, dass es gerade dieses Schweigen war, was nicht stimmte. Hochwalden durfte nicht still sein. Nicht so still …

Von plötzlicher Sorge erfüllt fuhr er herum, stürmte durch die Halle und die Treppe hinauf, die zu Oros Gemächern führte.

Wenige Schritte vor dem Thronsaal fand er den ersten Toten.

Es war ein Mann seiner Garde. Er lag verkrümmt in einer großen, schon halb geronnenen Lache seines eigenen Blutes. Seine Augen waren im Tode geweitet, und ein Ausdruck des Schreckens hatte sich in seinen Blick gebrannt, der selbst Lassar schaudern ließ. Die rechte Hälfte seines Gesichts war auf furchtbare Weise zerstört; eine Wunde, wie sie keine Lassar bekannte Waffe schlagen konnte. Es sah aus, dachte er, als hätte ihn die Pranke eines Raubtieres getroffen. Dann fiel ihm der Rattengestank auf.

Der Schattenfürst blieb stehen, ließ sich dicht neben dem Leichnam auf ein Knie sinken und streckte zögernd die Hand nach ihm aus.

Seine Haut war noch warm. Was immer ihn umgebracht hatte, musste noch in der Nähe sein.

Lassar richtete sich mit einem Ruck auf, fuhr kampfbereit herum und tastete gleichzeitig mit den unbegreiflichen Sinnen eines Magiers die Runde ab, auf der Suche nach der Gefahr, dem … Etwas, das diesen Krieger getötet hatte und vermutlich nicht alleine war.

Aber er fand nichts. Rings um ihn herum herrschte das Schweigen des Todes. Er registrierte nicht die geringste Spur von Leben.

Überhaupt nichts …

Ein rascher, eisiger Schauer lief auf kribbelnden Spinnenfückßen seinen Rücken hinab, als er begriff, dass er auch die Anckwesenheit seiner eigenen Kreaturen nicht mehr fühlte. Es war, als wäre Hochwalden nun vollends ausgestorben.

Langsam wandte er sich wieder um, ging auf die geschlosseckne Tür des Thronsaales zu und öffnete sie.

Er war auf den Anblick vorbereitet gewesen; trotzdem traf es ihn wie ein Hieb.

Der große, nahezu leere Saal bot ein Bild der Verwüstung. Überall war Blut, waren zerbrochene Waffen und verkrümmt daliegende, schwarz bepelzte Leiber. So wie die Krieger dalagen, musste der Tod warnungslos über sie hereingebrochen sein, so schnell und plötzlich, dass sie nicht einmal mehr Zeit gefunden hatten, eine Warnung auszustoßen.

Lassar zögerte. Sein Blick starrte auf die kleine Tür im Hintergrund des Thronsaales. Dahinter lag ein kleiner, fensterloser Raum, leer bis auf ein Bett und eine hölzerne Truhe. Als er gegangen war, hatte der Leichnam des Magiers dort gelegen, mit verschränkten Armen, den Stab auf der Brust! Die Tür war verschlossen worden, von zwei Kriegern bewacht, die strengcksten Befehl hatten, niemand außer Lassar selbst hindurchzulassen.

Jetzt stand sie eine Handbreit offen und die beiden Wachen, die er davor postiert hatte, lagen tot auf dem Boden.

Lassars Besorgnis wuchs langsam zu bohrender Furcht, während er den Thronsaal durchquerte und sich der Kammer näherte.

Zwei Schritte vor der Tür blieb er stehen, hob die Hand und murmelte ein sonderbar klingendes Wort. Die Tür schwang wie von Geisterhand bewegt auf und Lassars Blick fiel auf das schmale, hölzerne Bett dahinter.

Es war leer.

Auf dem ehemals weißen Linnen waren noch große, hässliche Flecke bräunlich eingetrockneten Blutes zu erkennen, und auf dem Boden, vor dem Bett, wie zu einem spöttischen Abschiedsgruß geordnet, lagen die zersplitterten Schäfte von zwei schwarzen Pfeilen.

Die Pfeile, die den Magier getötet hatten.

Aber Lassar war sich plötzlich gar nicht mehr sicher, dass er wirklich tot war.

Denn Faroan, der Magier von Hochwalden, war verschwunden.

24

Es war früher Morgen, als sie die Höhle verließen. Auf dem letzten Stück war der Weg besser geworden, sodass sie in die Sättel hatten steigen können. Gwenderon wusste nicht mehr, wie lange sie durch die unterirdischen Höhlen und Tunnel geritten waren, wie viele Meilen sie zurückgelegt hatten, eingeschlossen in Fels und Dunkelheit und erstarrte Zeit. Er wusste nicht mehr, wie viele finstere Abgründe sie überschritten hatten und auf welchen verbotenen Pfaden sie gewandelt waren. Es konnten nicht mehr als etliche Stunden gewesen sein, aber er hatte das Gefühl, nach Jahren zum ersten Mal wieder das Licht der Sonne zu sehen, nach einer Ewigkeit zum ersten Mal wieckder frei atmen zu können.

Er vertrieb den Gedanken, ließ sein Pferd ein paar Schritte vom Höhleneingang zurückweichen und stieg müde aus dem Sattel. Mannon hatte gesagt, dass die Wege, über die er sie führen wollte, für Menschen verboten waren, und er hatte Recht damit. Wie Recht, das erkannte Gwenderon erst jetzt, als er auf das Flüstern der Furcht in seiner Seele lauschte und in die grauen, erschöpften Gesichter der anderen blickte.

Gwenderon war – hinter dem Zwerg und Karelian – der Erste gewesen, der den Tunnel verließ. Während er auf die anderen wartete, sah er sich erleichtert um. Sie waren wieder auf einer Lichtung, und mit Ausnahme des Felsens, in dessen Flanke die Höhle gähnte wie ein gewaltiges, aufgerissenes, steinernes Maul, gab es absolut nichts Außergewöhnliches zu sehen.

Die Sonne schien schon eine Weile, aber sie stand noch nicht hoch genug, um über den Wipfeln der Bäume sichtbar zu sein. Sie mussten einen Tag und eine Nacht im Reich des grauen Lichtes gewesen sein. Bestimmt. Gwenderon sah sich einen Moment unschlüssig um, ging dann zu Karelian und Mannon zurück, sagte aber zu ihnen kein Wort, sondern ließ seinen Blick über die doppelte Reihe erschöpfter Männer gleiten, die nacheinander aus dem Felsentor herauskam.