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»Wer?«, fragte er einfach.

»Willhard, Herr.« Es war Norrot, der antwortete, und Gwenderon erschrak, als er seine Stimme hörte: ein erschöpftes Krächzen, das verzerrt unter dem Helm des Kriegers hervordrang. Norrots Gesicht war bleich wie das eines Toten.

Willhard, dachte Gwenderon betäubt. Ausgerechnet er. Nach Norrot hatte der dunkelhaarige, stets gut gelaunte Krieger sein größtes Vertrauen genossen. Für einen Moment weigerte er sich einfach, zu glauben, dass ausgerechnet er von allen es gewesen sein sollte, der die Nerven verloren hatte. Es war ungerecht. Es war einfach nicht richtig, dass nicht einer von Cavins idiotischen Schulmeistern die Beherrschung verloren hackben sollte, sondern einer seiner besten Krieger.

Seine Gedanken mussten wohl ziemlich deutlich auf seinem Gesicht geschrieben stehen, denn Mannon sah plötzlich zu ihm auf und versuchte zu lächeln. Es misslang. Der Zwerg wirkte erschöpft. Sein breitflächiges, fast zur Gänze von einem gewaltigen Bart beherrschtes Gesicht erschien im Morgenlicht grau und eingefallen und in seinen Augen stand ein fiebriger Glanz. Was immer er getan hatte, musste schwer gewesen sein. Es hatte ihn viel Kraft gekostet.

»Es tut mir Leid, Gwenderon«, sagte er. »Genau das war es, was ich verhindern wollte. Ich habe versagt.«

Gwenderon begriff den wahren Sinn von Mannons Worten erst nach Sekunden. »Soll das heißen, du … du hast gewusst, dass so etwas passiert?«

»Befürchtet«, berichtigte ihn Mannon ruhig. »Sie verlangen fast immer ein Opfer. Manchmal auch mehr. Ich hoffte es verckhindern zu können. Ich habe versagt.«

»Wenn jemand versagt hat, dann der Krieger«, mischte sich Karelian ein. Gwenderon drehte sich zu ihm herum und sah ihn voller Wut an, aber Karelian hielt seinem Blick stand. Animah war hinter ihn getreten und überragte ihn um Haupteslänge. Sie sah so erschöpft aus wie alle und sonderbarerweise war es gerade der Anblick ihres grauen, eingefallenen Gesichtes, der Gwenderon davon abhielt, Karelian die Antwort zu geben, die er verdiente. Stattdessen wandte er sich von ihm ab und machte eine vage Geste in den Wald hinein.

»Wo sind wir?«, fragte er. Nach den dunklen widerhallenden Echos, die ihre Worte unter der Erde begleitet hatten, kam ihm der Klang seiner eigenen Stimme fremd vor.

»Eine halbe Wegstunde von Hochwalden entfernt«, antwortete Karelian an Mannons Stelle.

»Eine halbe Wegstunde?«, wiederholte Gwenderon. Er deucktete zum Himmel hinauf. »Dann haben wir nicht viel Zeit gewonnen«, fuhr er an den Zwerg gewandt und in vorwurfsvollem Ton, fort. »Es ist wieder Morgen. Ich frage mich, weshalb Willhard sterben musste.«

»Es ist nicht wieder Morgen, Gwenderon«, sagte Animah sanft. »Es ist noch immer Morgen.«

Gwenderon drehte sich herum, als er die Stimme der Waldckläuferin hörte. »Noch … immer?«, wiederholte er erstaunt.

»Das ist völlig unmöglich«, mischte sich eine weitere Stimme ein. »Wir sind Stunden durch dieses Rattenloch gekrochen. Willst du behaupten, es wäre keine Zeit vergangen?«

Prinz Cavin war dicht an sie herangeritten und als Einziger nicht abgesessen. Sein Gesicht wirkte wie das aller anderen blass und erschöpft. Auch in seinen Augen glomm der Funke der Furcht, die von ihren Herzen Besitz ergriffen hatte.

»Es wird schon so sein, mein Prinz«, antwortete Gwenderon matt, obgleich Animahs Worte auch ihn mit einer tiefen, mit Furcht gemischten Verwirrung erfüllten. Aber er hatte keine Lust zu streiten. Nicht jetzt, und schon gar nicht mit Cavin. »Ihr könnt dem Zwerg vertrauen.«

Mannon sah ihn beinahe erstaunt an, schwieg aber. Nur auf Animahs Lippen erschien ein dünnes, kaum merkliches Lächeln.

»Aber das ist unmöglich!«, widersprach Cavin. »Wie …«

»Dem Zwergenvolk sind Wege und Pfade bekannt, die zu verstehen uns Menschen nicht gewährt ist«, unterbrach ihn Karelian ungeduldig. »Glaubt mir, Prinz – was Ihr auf Euren Schulen gelernt habt, ist nicht alles. Dieser Wald ist ein Ort großer Magie. Denkt nicht darüber nach.« Sein Lächeln wurde ein wenig spöttischer, als er hinzufügte: »Davon bekommt Ihr nur Kopfschmerzen.«

Cavin starrte ihn einen Moment mit neu aufflammendem Zorn an, dann riss er sein Pferd mit einem unnötig harten Ruck herum und galoppierte zu seinen Begleitern zurück.

Karelian sah ihm stirnrunzelnd nach. »Ich fürchte, Ihr werdet es nicht leicht haben, Gwenderon«, seufzte er. »König Oro ist alt und es wird nicht mehr lange dauern, bis Cavin seine Nachfolge antritt. Ich möchte nicht an Eurer Stelle sein, wenn er erst König auf Hochwalden ist. Er wird Euch die Schweineställe ausmisten lassen. Wenn Ihr Glück habt.«

Gwenderon lächelte. »Ihr müsst ihm Zeit geben, Karelian«, sagte er. »Er ist noch jung.«

»Zeit?« Etwas an der Art, in der Karelian das Wort aussprach, irritierte Gwenderon. Er sah auf und blickte dem Waldckläufer ins Gesicht. In das spöttische Lächeln und den Ausdruck von Erschöpfung hatte sich Sorge gemischt. »Ich fürchte, genau das ist es, was Ihr nicht habt, Gwenderon. Zeit.«

Gwenderon fragte den Waldläufer nicht, wie er seine Worte gemeint hatte. Wahrscheinlich hätte er doch nur ein neues Rätcksel zur Antwort bekommen und er war müde und erschöpft und wollte nicht mehr diskutieren. Mit einem lautlosen Achselzucken wandte er sich um und stieg wieder in den Sattel.

Nacheinander versammelten sich die Krieger und Edelleute um ihn und nach einer Weile hörte auch der junge Prinz auf, weiter zu schmollen, und lenkte sein Pferd wieder in die Mitte der zusammengeschmolzenen Gruppe, wo sein Platz war.

Gwenderon betrachtete ihn mit einer Mischung aus Sorge und Verwirrung. Was war nur mit ihm los? Er war zum Mann herangewachsen, in den Jahren, in denen er ihn nicht gesehen hatte, und trotzdem benahm er sich kaum anders als der rotznäcksige, vorlaute Bengel, den Gwenderon vor so vielen Jahren bis an die Grenzen des Schwarzeichenwaldes geleitet hatte.

Der Waffenmeister vertrieb den Gedanken mit einem leisen Seufzer, tätschelte seinem Pferd gedankenverloren den Hals und blinzelte die Müdigkeit fort, die in seinen Augen brannte.

»Reiten wir«, sagte er leise.

Aber weder Karelian noch der Zwerg rührten sich von der Stelle. Mannon stierte benommen vor sich hin, während Karelian mit kleinen, hektischen Bewegungen den Kopf hierhin und dorthin drehte und den Waldrand absuchte. Sein Mund war zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammengepresst.

»Was habt Ihr?«, fragte Gwenderon.

»Ich … weiß nicht«, murmelte Karelian ohne ihn anzusehen. »Etwas ist nicht so, wie … wie es sein sollte.«

»Was bedeutet das?«, fragte Gwenderon barsch. »Fürchtet Ihr einen …«

»Ich weiß es nicht«, fiel ihm Karelian ins Wort. »Ich spüre nur, dass irgendetwas vorgeht.«

»Etwas Böses«, pflichtete ihm Mannon bei. »Lassars Atem ist überall. Ich spüre, wie er seine Klauen auch nach diesem Wald ausstreckt.« Auf seinem bärtigen Zwergengesicht erschien ein Ausdruck tiefer Sorge. »Ihr müsst auf der Hut sein, wenn Ihr weiterzieht.«

»Ihr?« Gwenderon sah den Zwerg fragend an. »Heißt das, du kommst nicht mit?«

»Nein.« Mannon schüttelte den Kopf. »Meine Aufgabe ist erfüllt. Die Gefahren, die jetzt noch auf Euch lauern, muss Euer Schwert abwehren, Gwenderon.«

Gwenderon war enttäuscht. Er wusste selbst nicht zu sagen warum, aber er hatte wie selbstverständlich angenommen, dass Mannon sie nach Hochwalden begleiten würde. Die Gefahr, die sie gemeinsam überstanden hatten, verband sie.

Aber vielleicht war das nur eine romantische Vorstellung, die gar nicht stimmte. Er straffte sich. »Ich danke Euch, Mannon«, sagte er. »Auch im Namen des Prinzen. Und richtet meinen Dank auch dem Volk der Zwerge aus, wenn ihr zu ihm zurückkehrt.«