Выбрать главу

Der Nebel quoll immer rascher und rascher durch die Türritzen, bis die Tür hinter einer dichten, wogenden Wand grauer Schwaden verschwunden war. Seltsamerweise spürte Cavin gar keine Furcht. Die Erscheinung war unheimlich und hätte ihn beängstigen können. Aber es war, als flüsterte in ihm eine lautlose Stimme und sagte ihm, dass er nichts zu befürchten hatte.

Die grauen Schwaden ballten sich weiter zusammen. Ein unsichtbarer Sturmwind schien plötzlich durch das Zimmer zu fahren. Vorhänge und Kleider und Papier wirbelten durcheinckander. Der Nebel begann zu brodeln. Ein dunkler, nur vage erkennbarer Umriss formte sich in den grauen Schwaden, dann …

»Faroan!«, murmelte Cavin.

Die Gestalt war nur unscharf zu sehen, blass und farblos und wie ein Spiegelbild in bewegtem Wasser, das immer wieder auseinander treiben wollte. Aber er erkannte das Gesicht trotzckdem: die Augen, die ihm früher immer so freundlich zugelächelt hatten, den schmalen, von einem messerscharf ausrasierten Bart eingefassten Mund, aus dem er so vielen Geschichten und Mären gelauscht, und die Hände, die ihm so oft freundlich über das Haar gestrichen hatten –

Es war Faroan, der Hofzauberer von Hochwalden! Aber hatte sein Vater ihm denn nicht erzählt, er wäre tot?

»Faroan«, murmelte Cavin. »Was … wo kommst du …«

Die Schattengestalt hob die Hand.

»Hör mir zu, Cavin«, flüsterte sie. Ihre Stimme klang unheimlich, wie ein Hauch aus einer anderen, düsteren Welt. Cavin schauderte. Und plötzlich fiel ihm auch auf, wie sehr sich der greise Magier verändert hatte. In seinen Augen stand ein Ausdruck unendlich tiefen, qualvollen Schmerzes geschrieben und seine Lippen waren zusammengepresst wie zu einer dünnen, blutleeren Narbe.

»Hör mir zu, Cavin«, wiederholte die Geistergestalt. »Du bist in Gefahr. Ganz Hochwalden ist in großer Gefahr. Oro ist nicht …«

Die Gestalt begann zu zerfließen. Etwas im Inneren des Neckbels änderte sich, ohne dass Cavin sagen konnte was. Das Grau schien plötzlich eine Spur tiefer, die Umrisse des alten Magiers wirkten unschärfer. Er konnte das Gesicht nicht mehr erkennen und die Stimme wurde leiser.

Erschrocken trat er auf Faroan zu und hob die Hand, blieb aber dann mitten in der Bewegung stehen, als sich die Gestalt wieder zu festigen begann.

»…ne Zeit zu verlieren!«, verstand er. »… ist verraten worden. Lassar hat … Hinterhalt …«

Die Nebel zuckten wie ein großes, lebendes Wesen. Plötzlich hatte Cavin das heftige Empfinden eines Schmerzes, der nicht sein eigener war. Faroans Gestalt begann immer rascher und rascher zu verblassen, bis sie kaum mehr von den treibenden Nebelschwaden zu unterscheiden war. Seine Stimme wurde zu einem Flüstern und erstarb.

Dann, so schnell wie die Erscheinung gekommen war, war sie wieder verschwunden. Aber Cavin blieb weiter reglos steckhen und starrte auf die Stelle, an der sie gewesen war. Der Neckbel löste sich auf und verblasste wie ein Trugbild. Mit ihm wichen auch die Kälte und der Atem des Unheimlichen, die das Zimmer für einen Moment erfüllt hatten.

»Faroan …«, flüsterte Cavin. »Wo bist du? Was wolltest du mir sagen? So antworte doch!«

Aber die Stille blieb. Nur die Schatten rechts und links der Tür schienen ein ganz kleines bisschen tiefer geworden zu sein, und als Cavin erneut fröstelte, war es keine äußere Kälte, die ihn frieren ließ.

Plötzlich fühlte sich Cavin allein. So allein und verloren wie niemals zuvor in seinem Leben …

2

Der Griff der beiden Raetts war hart; sehr viel härter, als nötig gewesen wäre, um Resnec zu halten. Aber selbst wenn es ihm gelungen wäre, sich loszureißen – was unmöglich war –, und selbst wenn es ihm außerdem gelungen wäre, schneller und ausdauernder zu laufen als die beiden schwarzfelligen RaettKreaturen – was noch unmöglicher war –, und selbst wenn er den Weg aus diesem schwarzen Labyrinth des Wahnsinns hicknausgefunden hätte – was nun völlig unmöglich war –, es hätte ohnehin keinen Ort gegeben, wohin er hätte fliehen können.

Resnec erinnerte sich nicht, wie er hierher gekommen war. Er wusste nicht mehr, ob sie eine Stunde durch den Wald gezogen waren oder eine Woche oder vielleicht nur einen Augenblick, der ihm zwar endlos erschienen war, in Wahrheit aber keine Zeit beansprucht hatte. Manchmal, in den Nächten, in denen er wach lag und die Dunkelheit über sich anstarrte, die sich in nichts von der der Tage unterschied, glaubte er sich an einen Weg zu erinnern, einen Wald – nicht den Schwarzeichenwald, ganz und gar nicht! –, der Stunden mit monotoner Gleichförmigkeit beiderseits des Weges vorbeigezogen war wie eine Mauer, jenseits derer die Welt einfach aufhörte.

Im Laufe der Tage hatte Resnec die Überzeugung gewonnen, dass es wirklich so war: Hinter der lichtschluckenden Mauer seines Gefängnisses erhob sich eine Barriere aus ineinander gekrallten Dornen und verfilztem Gestrüpp und dahinter war nichts mehr. Er war in einem Teil der Welt gefangen, der nicht zum Schwarzeichenwald, nicht zu diesem Kontinent, vielleicht nicht einmal mehr zu diesem Universum gehörte. Er wünschte sich, endlich sterben zu können. Aber vielleicht war er ja schon tot.

Manchmal drohten Resnecs Sinne zu schwinden, nicht kurz, nicht für Augenblicke oder Stunden, sondern gänzlich; er hatte das Gefühl, in einer gewaltigen Wolke aus Finsternis und Kälte zu schweben, die seinen Körper und viel mehr noch seinen Geist durchdrang und beides aufzulösen drohte, als wäre er nur ein Stück der Ewigkeit, das sich durch einen puren Zufall zu einem Körper (und einer Seele?) zusammengeballt hatte und nun wieder in den Urzustand zurückfloss. Es war keine Angst in dieser Vorstellung, allerhöchstens ein Gefühl großen, sehr wohltuenden Friedens. Er hätte es begrüßt, in diese Leere eingehen zu können. Aber irgendetwas war da, das ihn stets zurückhielt.

Resnec fühlte sich schwach. Er wusste nicht, wie lange er hier war, aber es mussten viele Tage sein, vielleicht Wochen. Mehrere Dutzend Male waren die Raetts gekommen und hatten ihm zu essen und Wasser gebracht; Nahrung, die aufzunehmen er sich zu Anfang geweigert hatte, bis ihn sein Körper zwang das zu tun, was sein Stolz ihm verbot. Trotzdem schien die Zeit spurlos an seinem Körper vorübergegangen zu sein. Seine Wunden heilten nicht. Seine Schulter war zu einem unförmigen Klumpen aus Schmerz geworden, der dünne, feurige Fäden in jeden Teil seines Körpers spann, und auf seiner Zunge war der Geschmack von Blut. Wenn er die Augen schloss, um der entsetzlichen Dunkelheit seines Kerkers zu entgehen, dann sah er Faroans Gesicht. Manchmal wurde es zu dem Lassars, und nur zu oft überzogen sich die schmalen Züge des Schattenkönigs jäh mit schwarzbraunem Fell und die grundlosen Schattenaugen wurden zu den matt blinkenden Knopfaugen seiner halb tierischen Kerkermeister. Vielleicht wurde er auch verrückt. Vielleicht war das die Strafe, die Faroan ihm zugedacht hatte – nicht der Tod, keine endlosen Folterqualen, sondern die immer währende Verdammnis des Wahnsinns.

»Gehen«, krächzte der Raett. Resnec schrak jäh hoch, verzog das Gesicht vor Schmerz und stolperte ein wenig schneller zwischen den beiden schwarz bepelzten Riesen einher. Für einen Moment fand er in die Wirklichkeit zurück, begriff, dass sie ihn – wieder einmal – aus seinem Kerker geholt hatten, um ihn zu jenem schrecklichen Ort im Zentrum dieses steingewordenen Alptraumes zu bringen, seinem schwarzen, schlagenden Herzen, das unter einem Himmel aus geronnener Finsternis lag, für immer verborgen vor den Augen der Menschen. Aber seine Sinne verwirrten sich rasch wieder. Beinahe willenlos stolperte er zwischen den beiden Raetts einher. Ein paar Mal hatte er vor lauter Schwäche das Bewusstsein verloren, als sie ihn aus seickner Zelle geholt hatten, und sie hatten ihn getragen, und einmal hatte er auch versucht, sich schlafend oder bewusstlos zu stellen, aber die beiden Raetts waren nicht darauf hereingefallen und hatten ihn geschlagen; nicht sehr fest, aber doch heftig genug, dass er es kein zweites Mal versuchte.