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Unruhe, die am jenseitigen Ende des Lagers entstand, weckte ihn. Gwenderon blinzelte, sah das milde Licht des späten Nachmittags durch das Blätterdach seiner Hütte schimmern und dachte im ersten Moment daran, dass die Hütten ihnen keinen Schutz vor der Kälte und dem Schnee bieten würden, wenn der Winter erst einmal kam. Dann drangen die Geräusche abermals und heftiger in sein Bewusstsein und er vertrieb überflüssige Gedanken an Schnee und Eisregen und stand auf.

Er hatte lange geschlafen; fast den ganzen Tag. Die Sonne neigte sich bereits und stand nur noch als zerfranster Halbkreis über den südlichen Wipfeln des Waldes und die Schatten wurden bereits lang; dunkle Finger, die sich über den Platz erstreckten und absurd geknickt an der Palisade des Fluchtturmes emporkrochen. Dort, wo die Schatten herkamen, war Aufregung entstanden; ein gutes Dutzend Männer hatte sich am westlichen Ende des Lagers zusammengefunden, vielleicht noch einmal die gleiche Anzahl Raetts, und zwischen ihnen stand eine gewaltige zweischneidige Axt, die ein lächerlich gebauter Knirps hielt. Über den Köpfen der so zusammengekommenen Menge ragten die Oberkörper zweier berittener Raetts auf, neben denen die schwarzhaarige Animah ritt, und neben ihr wiederum …

Der Anblick fegte auch den letzten Rest von Müdigkeit aus Gwenderons Geist. Für die Dauer von zwei, drei Herzschlägen blieb Gwenderon noch wie versteinert stehen, dann lief er los, wurde schneller und legte das letzte Drittel des Weges schließcklich im Laufschritt zurück. Die Männer, die sein Näherkommen bemerkten, wichen respektvoll vor ihm zur Seite, bis er die vier Pferde und ihre ungleichen Reiter erreichte. Er blieb stehen, starrte erst die beiden Raetts, dann ganz kurz Animah und schließlich den Mann in ihrer Begleitung an.

»Resnec!«

Gwenderon erschrak beinahe selbst über den kaum mehr unterdrückten Hass in seiner Stimme. Auch Resnec fuhr zusammen und sah ihn mit neu erwachendem Misstrauen an. Aber er sagte kein Wort, sondern wandte sich mit einem fast Hilfe suchenden Blick an Animah.

»Ihr seht recht, Gwenderon«, sagte Animah nach einer Weickle. »Es ist Resnec. Aber urteilt nicht vorschnell.«

Gwenderon hörte gar nicht hin. Mit einer rüden Bewegung stieß er einen Raett beiseite, der ihm im Wege stand, trat an Resnecs Pferd heran und ergriff es grob an den Zügeln. Das Tier scheute, als es seine Aggressivität spürte; Gwenderon brachte es mit einem zweiten, noch härteren Ruck zur Räson.

»Was wollt Ihr hier?«, fauchte er. »Wer hat Euch gesagt, wo unser Lager ist, und was –« Er brach ab, fuhr mit einem Ruck herum und starrte Animah an. »Bringst du ihn als Gefangenen?«

»Wenn es dein Wunsch ist, ja«, antwortete Resnec an Animahs Stelle. Es waren die ersten Worte, die er sagte, und Gwenderon erschrak, als er seine Stimme hörte. Sie klang … alt. Die Stimme eines gebrochenen Mannes. Aber seine Wut fegte auch diesen Gedanken beiseite. Ohne ein weiteres Wort griff er zu Resnec hinauf, packte ihn grob am Arm und zerrte ihn aus dem Sattel. Resnec keuchte vor Schmerz und fiel beicknahe und Gwenderon sah erst jetzt, dass seine Schulter dick bandagiert war und sein Arm in einer Schlinge hing. Trotzdem lockerte er seinen Griff nicht.

»Was sucht Ihr hier?«, schrie er. »Wer hat Euch erlaubt in diesen Teil des Waldes zu kommen?«

»Wir erlauben«, mischte sich eine pfeifende Stimme ein. Gwenderon fuhr zornig herum und starrte in Guarrs ausdrucksckloses Mäusegesicht. Die Knopfaugen des Raett funkelten, aber Gwenderon war nicht sicher, ob es Spott oder Zorn war, den er darin las.

»Resnec unser Gefangener«, radebrechte Guarr weiter. »Wir entscheiden. Wir nehmen. Wir bringen.« So einfach die Wahl dieser Worte war, so eindeutig waren sie. In die umständlichere Sprache der Menschen übertragen bedeuteten sie nicht weniger, als dass sich Gwenderon gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern sollte. Er verstand Guarrs Worte sehr wohl – aber sie fachten seinen Zorn nur noch mehr an.

»Dieser Hund wird nicht hier im Lager bleiben!«, sagte er erregt. »Er wird nicht einmal –«

»Urteile nicht vorschnell, Gwenderon«, sagte Animah ruhig.

Gwenderon fuhr abermals herum, funkelte sie wütend an und versetzte Resnec aus purer Bosheit einen Stoß, der ihn gegen die Flanke seines Pferdes taumeln und um ein Haar stürzen ließ. Einer der beiden Raetts, die ihn begleitet hatten, stieß einen schrillen Pfiff aus, den Guarr – eine Spur höher und befehlender, – wie Gwenderon spürte – erwiderte. Die Barthaare des Riesennagers sträubten sich erregt. Animah seufzte und schüttelte den Kopf.

Plötzlich fühlte er sich unendlich allein. Er spürte, dass er einen Fehler begangen hatte, einen, der ihn nahe an die Grenze der Lächerlichkeit gebracht hatte, und sein Zorn stieg abermals und erreichte nun fast die Grenzen eines körperlichen Schmerckzes. Hilflos ballte er die Fäuste, starrte der Reihe nach Resnec, Animah, Guarr und schließlich Mannon an und dann wieder Resnec.

»Also gut«, sagte er, mühsam beherrscht und noch immer mit schriller, schwankender Stimme. »Anscheinend bin ich der einzige Idiot, der nicht weiß, was hier vorgeht. Was bedeutet dein Kommen, Resnec? Antworte – und ich rate dir, antworte gut oder ich schneide dir eigenhändig die Kehle durch.« Seine Hand klatschte gegen das Hosenbein; dorthin, wo er normalerckweise sein Schwert trug. Jetzt lag die Waffe zusammen mit seinen übrigen Sachen in seiner Hütte. Aber die Geste verlor dadurch nichts von ihrer Drohung.

»Resnec ist hier, um sich uns anzuschließen«, sagte Animah.

»Wenn Ihr es erlaubt«, fügte Resnec hinzu. Abermals fiel Gwenderon auf, wie alt und kraftlos seine Stimme klang. Und mit einem Male sah er auch noch mehr, Dinge, die ihm bisher entgangen waren, weil es nur winzige Kleinigkeiten waren und er viel zu erregt gewesen war darauf zu achten. Jetzt, als Rescknec ganz nahe vor ihm stand, konnte er sie nicht mehr verleugcknen: Resnec schien um zehn Jahre gealtert, obgleich seine Züge so hart und straff waren wie immer. Aber etwas war daraus gewichen, eine Verschlossenheit, die erst durch ihr plötzliches Fehlen überhaupt sichtbar geworden war. Resnec wirkte verckbraucht; ein Mann, der eine Schlacht zu viel geschlagen und einmal zu viel Blut und Tod gesehen hatte. In seinen Augen war etwas, was Gwenderon schaudern machte. Es waren Augen, dachte er, die … ja – es waren die Augen eines Mannes, der Gott gesehen hatte.

»Du willst dich uns anschließen?«, fragte er, als das Schweigen zwischen ihnen peinlich zu werden begann. »Aus freien Stücken, einfach so?« Er versuchte zu lachen, aber es blieb bei einem Versuch. Die Herablassung in seiner Stimme geriet zur Hilflosigkeit.

»Wer schickt dich?«, fauchte er. »Lassar? Oder ist es deine eigene Idee, dich bei uns einzuschleichen, um deinem Herrn Informationen über unser Lager und unsere Stärke zu bringen? Vielleicht lässt er dich ja dann wieder seine Stiefel lecken.«

Resnec lächelte traurig. »Ich hatte befürchtet, dass Ihr so reagieren würdet, Gwenderon«, sagte er. »Ich kann Euch versteckhen. Ich würde nicht anders denken, wäre ich an Eurer Stelle. Aber glaubt mir – ich bin nicht mehr euer Feind.«

Gwenderon lachte. »Oh, dann bist du geläutert, wie?« Wücktend deutete er auf die beiden Raetts, die noch immer nicht von ihren Pferden gestiegen waren. »Was haben sie getan? Sich vier Wochen mit dir unterhalten und dir die Schönheit des Waldes gezeigt? Oder dich einfach davon überzeugt, dass wir gewinnen werden und du besser daran tätest, dich auf die Seite der Sieger zu schlagen, solange du es noch kannst?«

»Du tust ihm unrecht, Gwenderon«, sagte Animah. Sie saß ab, kam auf Gwenderon zu und stellte sich wie durch Zufall so zwischen ihn und Resnec, dass sie den Blickkontakt zwischen ihnen unterbrach. Gwenderon starrte sie trotzig an.

»Ich hätte ein anderes Wort gewählt, aber du hast Recht«, sagte Animah. »Resnec ist geläutert. Er hat die Wahrheit erkannt, das ist alles.«

»Welche Wahrheit?«, fauchte Gwenderon, der sich mehr und mehr in die Defensive gedrängt fühlte. »Was soll das alles beckdeuten? Er stellt uns eine Falle, tötet die meisten meiner Freunde, hilft Cavin zu entführen, und dann taucht er vier Wochen später wieder auf und –«