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Wenn er wenigstens gewusst hätte, warum sie hier waren! Aber nicht einmal das hatte ihm sein Vater verraten. Und die Wachen, die er gefragt hatte, hatten nur mit einem stummen Achselzucken geantwortet und gesagt, er solle sich gedulden.

Gedulden, dachte Cavin zornig. Wie lange? Bis sein Vater tot aus dem Sattel fiel, gestorben an einer Anstrengung, die selbst seinen um vierzig Jahre jüngeren Sohn an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit brachte? Was wollte dieser alte Narr beweicksen?

Sie erreichten eine Stelle, an der sich der Weg gabelte, und anders als die Male zuvor ritt der Mann an der Spitze der kleicknen Kolonne nicht weiter, sondern hielt sein Pferd an und wartete, bis Oro und Cavin an seine Seite gekommen waren. Dann deutete er nach links. »Dort drüben ist die Lichtung, Herr. Wir werden hier auf Euch und den Prinzen warten.«

Oro nickte. Selbst diese Bewegung wirkte müde. Sein Gesicht war mit Schlamm bespritzt, den die Pferdehufe hochgeschleudert hatten. Ein Ast hatte einen dünnen, aber heftig blucktenden Kratzer in seine Wange geschlagen, und das Blut vermischte sich mit dem Regen, der über sein Gesicht lief, und dem Schmutz zu einem bizarren Muster, das das Gesicht des Königs wie eine Grimasse erscheinen ließ. »Es ist gut, Kommandant«, sagte er. »Gönnt Euren Männern eine Pause. Aber seid auf der Hut vor den Rebellen.«

Cavin starrte abwechselnd seinen Vater und den Soldaten an. Sein Pferd scheute, sodass er Mühe hatte, es unter Kontrolle zu halten, und vor Anstrengung keuchte. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass wir allein weiterreiten, Cavin«, antckwortete Oro. Er hob rasch die Hand, um Cavins Widersprach im Keim zu ersticken. »Kein Sterblicher, in dessen Adern nicht das Blut der Herren von Hochwalden fließt, darf uns zu dem Ort begleiten, zu dem ich dich führen werde«, sagte er mit grockßem Ernst. »Und nun komm. Es ist nicht mehr viel Zeit.«

Nicht mehr viel Zeit?, dachte Cavin verwirrt. Wofür?

Aber Oro gab ihm auch diesmal keine Gelegenheit, die Frage laut auszusprechen oder ihn gar zum Umkehren zu bewegen. Ohne eine Antwort abzuwarten gab er seinem Pferd die Sporen und trabte weiter, in der entgegengesetzten Richtung zur Lichtung, auf der die Soldaten warten würden. Cavin sah ihm verckwirrt nach und wollte ihm folgen, aber der Krieger neben ihm hielt ihn noch einmal zurück.

»Wartet, Herr«, sagte er. Mit einer raschen Bewegung löste er seinen Waffengurt mit dem Schwert und hielt ihn Cavin hin.

»Nehmt das Schwert, Herr«, sagte er, als Cavin zögerte danach zu greifen. »Bitte.«

Widerstrebend gehorchte der Prinz, band sich den Gurt aber noch immer nicht um, sondern blickte den dunkelhaarigen Krieger nur verstört an. Seine Augen waren unter dem heruntergeklappten Visier seines Helmes nur als glitzernde Schatten zu erkennen. Trotzdem glaubte Cavin, einen deutlichen Ausckdruck von Angst darin zu sehen. »Was soll ich damit?«, fragte er beunruhigt.

Der Mann machte eine vage Handbewegung. »Ich hoffe nichts«, antwortete er. »Aber der Schwarzeichenwald ist nicht mehr sicher, mein Prinz. Nicht einmal hier. Und König Oro ist ein alter Mann, der einem Angriff schutzlos ausgeliefert wäre. Nehmt diese Waffe – mir und Eurem Vater zuliebe.«

Verwirrt schnürte sich Cavin den mittelalterlichen Gurt um die Taille und rückte das Schwert so zurecht, dass es ihn beim Reiten nicht behinderte. Dann folgte er seinem Vater. Oro hatte mittlerweile einen gehörigen Vorsprung gewonnen, denn er trieb sein Pferd unbarmherzig an, nahm aber dann sein Tempo zurück und wartete, bis Cavin zu ihm aufgeschlossen hatte.

Über die greisen Züge seines Vaters huschte ein rasches Lächeln, als er die Waffe an Cavins Seite sah. Aber er schwieg auch diesmal, und als der Prinz eine Frage stellen wollte, machte er nur eine unwillige Handbewegung. Cavin schwieg. Der Wald wurde finsterer. Der Regen, der längst aufgehört hatte, setzte neu ein, als sich die Zweige so weit auf den Weg herabneigten, dass sie sie mit ihren gekrümmten Rücken und Helmen berührten und das Wasser herausschüttelten, das sich im Blattwerk gesammelt hatte.

Länger als eine halbe Stunde ritten sie wortlos nebeneinanderher. Der Weg wurde ein wenig besser; die Bäume standen hier so dicht, dass der Regen den Boden kaum mehr erreicht hatte, und obwohl sie weiter durch einen feinen Schleier aus Feuchtigkeit sprengten, den ihre eigenen Schritte hervorriefen, mussten sich die Pferde nicht mehr nach jedem einzelnen Schritt mühsam aus fesselhohem, saugendem Morast herauskämpfen. Dafür wurde der Pfad schmaler und bald war das Unterholz so dicht, dass es ihren Weg zur Rechten und zur Linken wie eine stachelige, grüne Mauer umgab.

Schließlich – Cavin hatte die Hoffnung, ihr unbekanntes Ziel jemals zu finden, schon beinahe aufgegeben – erreichten sie eine weitere Weggabelung und wieder hielt Oro an. Lange, endlose Minuten, wie es Cavin vorkam, blickte er abwechselnd nach rechts und links. Dann – als wäre er in Gedanken zu einem Entschluss gekommen – nickte er und stieg wortlos aus dem Sattel.

Cavin wollte ihm helfen, aber Oro ignorierte seine ausgestreckte Hand und bedeutete ihm nur, ebenfalls abzusitzen. Cavin gehorchte. Aber schließlich hielt er es vor Ungeduld und Neugierde nicht mehr aus: »Was bedeutet das alles, Vater? Warum führst du mich hierher und warum hast du die Wachen zurückgeschickt?«

Oro blickte ihn mit sonderbar ernstem Ausdruck an. »Weil das, was ich dir zeigen werde, nicht für ihre Augen bestimmt ist«, antwortete er. Er deutete nach rechts, wo sich der Weg in schattigem Grün und seltsam körperlicher Finsternis verlor. Wasser lief über seinen Helm und sein Gesicht, sammelte sich in seinem Bart und verlieh ihm das Aussehen eines gütigen greisen Meergottes.

»Der Grund, aus dem ich dich zurückrief, mein Sohn, liegt dort vorne. Das wahre Geheimnis des Schwarzeichenwaldes. Dein Erbe.«

Irgendetwas in der Art, wie Oro sprach, ließ Cavin frösteln. Einen Moment lang starrte er seinen Vater verstört an, dann wandte er sich um und versuchte die Finsternis am Ende des Weges zu durchdringen. Aber er sah nichts außer Dunkelheit und Grün in allen nur denkbaren Schattierungen.

»Komm«, sagte Oro.

Sie gingen los. Die Schritte des alten Königs gewannen merklich an Kraft, als sie in den schattigen Tunnel aus grünem Licht und Zweigen eindrangen, und Cavin hatte den Eindruck, dass sich seine Schultern strafften, als gäbe ihm das, worauf sie sich zubewegten, noch einmal die Kraft und Stärke zurück, die ihm die Jahre genommen hatten.

Er wusste nicht, wie lange sie nebeneinander durch den Wald gingen. Sein Zeitgefühl geriet irgendwie durcheinander und für Momente hatte er das gleiche bizarre Gefühl, das er schon einmal verspürt hatte, als Mannon sie durch die Schatten geführt und eine Tagesreise in wenigen Augenblicken überwunden hatte, nur dass er dieses Mal überhaupt keine Angst empfand, sondern sich im Gegenteil mit jedem Schritt sicherer fühlte; fast, als gäbe es da etwas, was ihn beschützte, und sei es nur vor seiner eigenen Angst. Irgendwann – vielleicht nach Minuten, vielleicht auch nach Stunden – begann der Wald rechts und links vor ihnen zurückzuweichen und der schmale Weg wurde zu einer gewaltigen, kreisrunden Lichtung, viel größer als Hochwalden, größer selbst als die größte Stadt, die er während seiner Studienreisen durch die Welt gesehen hatte.