»Das mag für das Land gelten, aus dem du gekommen bist, Resnec«, sagte Mannon überzeugt. »Vielleicht auch für den Rest der Welt, aber nicht für den Schwarzeichenwald. Seine Magie verliert hier ihre Macht.«
»So?«, fragte Resnec böse. »Vielleicht solltest du nach Hochwalden reiten und Lassar dies sagen, Zwerg. Er scheint das nämlich nicht zu wissen.«
»Mannon hat Recht, Resnec«, unterbrach ihn Gwenderon zornig. »Es ist schwer zu erklären, und nicht einmal ich weiß genau, warum es so ist – aber der Schwarzeichenwald ist vielleicht der einzige Ort auf der Welt, bis zu dem Lassars Macht nicht reicht. Wäre es anders, würden wir alle nicht mehr leckben.«
Resnecs Gesichtsausdruck machte deutlich, wie sehr er Gwenderons Worte anzweifelte, und der Waffenmeister fuhr fort: »Überlege selbst, Resnec – als du hierher gekommen bist, warst du Lassars treuester Sklave. Du warst völlig in seiner Macht. Dann hast du begonnen zu zweifeln.« Die Provokation in diesen Worten war unüberhörbar. Animah warf ihm einen erschrockenen Blick zu, den Gwenderon ignorierte.
»Das war etwas anderes«, behauptete Resnec. »Ich habe eingesehen, dass Lassar …«
»Eben«, unterbrach ihn Gwenderon. »Du hast eingesehen, dass Lassar im Unrecht ist. Du hattest die Möglichkeit, etwas einzusehen, und zwar zum ersten Mal. Lassars Macht über dich schwand, je länger du dich im Schwarzeichenwald aufgehalten hast. Er mag die Burg beherrschen, aber er ist auch gleichzeitig ihr Gefangener.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Resnec – so leicht ist es leider nicht. Lassar kennt die Gefahr, die der Wald für ihn bedeutet, sehr gut, und er wird den Teufel tun uns hier anzugreifen, wo wir ihn schlagen könnten. Ich fürchte, er hat etwas ganz anderes vor.«
»Aber warum hat dir Faroan nicht gesagt, was?«, begehrte Resnec auf. »Zum Teufel, er muss doch irgendetwas gesagt haben!«
»Das hat er. Er hat uns gewarnt, und es ist so, wie du selbst sagtest – wir dürfen diese Warnung nicht missachten. Aber es besteht auch kein Grund, in Panik zu geraten. Lassar ist mächtig, aber nicht allmächtig.«
»Ach?«, sagte Resnec spitz. »Und wieso sitzt er dann seit vier Wochen seelenruhig in Hochwalden? Wieso sind alle eure Angriffe gescheitert und wieso –«
»Weil wir niemals einen wirklichen Angriff unternommen haben, Resnec«, unterbrach ihn Animah. Sie hatte bisher still am Feuer gesessen und nur zugehört. Jetzt richtete sie sich auf, sah erst Resnec, dann Gwenderon an und sagte noch einmaclass="underline" »Du hast es selbst gesagt, Resnec – er sitzt seelenruhig in Hochwalden und wartet, dass wir etwas unternehmen. Wir hackben ein paar seiner Patrouillen überfallen, einige seiner gekaufckten Mörder gefangen und getötet, und Guarrs Raetts haben die Arbeiter vertrieben, die er geschickt hat, um an der südlichen Grenze Bäume zu fällen. Aber wir brauchen Zeit.« Sie lächelte, als müsse sie sich für ihre nächsten Worte im Vorhinein entschuldigen.
»Unser Aufstand ist jung, Resnec. Wir müssen das Rebellenhandwerk erst noch lernen.«
»Dazu wird euch Lassar nicht die Zeit lassen«, erwiderte Resnec düster.
Gwenderon fuhr auf. »Zum Teufel, was sollen wir tun?«, schnappte er. »Hochwalden angreifen?«
»Wenn es sein muss, ja«, erwiderte Resnec ernst.
Gwenderon schnaubte. »Du redest irr, Resnec! Wir sind nicht einmal fünfzig Krieger, Guarrs Raetts mitgezählt. Lassars Leibgarde allein ist uns an Zahl überlegen, von seinen Schattenkriegern ganz zu schweigen.«
»Die niemand jemals gesehen hat«, warf Mannon ein, verckstummte aber wieder, als Resnec und Gwenderon ihn gleichzeitig anstarrten, der eine mit einem Blick, der ihm sagte, dass er sie sehr wohl gesehen hatte und um ihren Schrecken wusste, der andere voller kaum noch unterdrückter Wut.
»Tatsache ist, dass jeder Tag, der vergeht, ein Tag für Lassar ist«, fuhr Resnec schließlich fort.
»Unsinn! Unsere Zahl wächst mit jedem Tag«, sagte Gwenderon ärgerlich. »Karelian leistet in den nördlichen Bergen gute Arbeit. Noch ein halbes Jahr –«
»Und Lassar sitzt auf dem Thron Hochwaldens«, unterbrach ihn Resnec ruhig. »Ihr versteht noch immer nicht, Gwenderon. Hier, bei Euch, in Euren Wäldern und unter Gleichgesinnten, mag alles ganz einfach aussehen. Aber der Schwarzeichenwald ist nicht die Welt.« Er beugte sich erregt vor und begann mit den Händen zu gestikulieren. »Lassar ist ein mächtiger Mann. Das Bild, das Ihr von ihm habt, ist falsch. Er ist verhasst wie kein Zweiter, aber er ist auch mächtig wie kein Zweiter. Ihr sagt, er beherrscht Cavin und er betrügt ihn, und Ihr habt Recht, aber wird man Euch glauben?«
»Was … meinst du damit?«, fragte Gwenderon verstört.
»Tatsache ist, dass auf Hochwaldens Thron König Cavin sitzt, der legitime Erbe des Reiches. Gebt ihm dieses halbe Jahr, von dem Ihr sprecht, und greift dann Hochwalden an, Gwenderon, und die ganze Welt wird Euch einen Verräter nennen, weil Ihr es dann seid, der sich gegen Hochwalden aufcklehnt. Ihr sagt, Ihr habt Zeit, aber das stimmt nicht. Die Zeit arbeitet für Lassar. Wenn Ihr wartet, bis der Sommer vorbei ist und Euer Heer steht, braucht sich Lassar nicht einmal mehr die Mühe zu machen, Euch zu bekämpfen. Das werden dann andere tun.« Er lachte bitter. »Die Unantastbarkeit des Schwarzeichenwaldes, Gwenderon, das ist es, worauf Ihr baut. Aber sie wird für Lassar arbeiten, wenn Ihr zu lange zögert.«
»Und was schlägst du also vor?«, fragte Gwenderon wütend.
Resnec presste ärgerlich die Lippen zusammen. »Wenn es Cavin ist, von dem uns Gefahr droht, dann müssen wir uns darauf vorbereiten.«
»Und wie?«
»Zubeißen, ehe sie es können«, sagte Guarr. Seine Schnurrckhaare zitterten erregt. »Besser, wir fressen ihn, ehe er uns frisst.«
Gwenderon schnaubte. »Ein Angriff auf Hochwalden wäre der glatte Selbstmord.«
»Eben«, sagte Guarr. Gwenderon wusste, dass es schlichtweg unmöglich war – und trotzdem hatte er für einen Moment das Gefühl, ein rasches, listiges Lächeln über das Gesicht des Riecksennagers huschen zu sehen. »Lassar rechnet nicht mit Angriff auf Hochwalden. Niemand so dumm.«
»Und wir auch nicht«, fiel ihm Gwenderon ins Wort. »Es wäre Wahnsinn. Seine Männer sind uns zehn zu eins überlegen, und selbst wenn es nicht so wäre, stünden wir einem Magier gegenüber, der immerhin mächtig genug war sogar Faroan zu töten. Nimm es mir nicht übel, mein Freund, aber ich fürchte, dein Temperament geht mit dir durch.«
»Nicht offener Angriff«, erwiderte Guarr beleidigt. »Wir kennen Wege unter Erde und durch Schatten. Wir Hochwalden erreichen und Prinzen holen.«
»Und zwischendurch schaut ihr bei Lassar herein und trinkt einen Becher Wein mit ihm, wie?«, murrte Mannon. »Vergiss es, Rattengesicht.«
Guarr zischte und zeigte drohend sein Raubtiergebiss und Mannon wich in gespieltem Schrecken ein Stück zurück. Dann wurde er übergangslos wieder ernst.
»Vielleicht hat der Raett doch gar nicht so Unrecht«, murmelte Resnec plötzlich.
Gwenderon sah überrascht auf und auch zwischen Mannons buschigen Brauen entstand eine steile, fragende Falte.
Resnec wirkte mit einem Male aufgeregt. Sein Gesicht rötete sich. »Starrt mich nicht so an«, sagte er, »ich bin nicht verrückter als ihr drei. Natürlich kommt ein Angriff auf Hochwalden nicht infrage, aber vielleicht ist er auch nicht nötig. Nicht, wenn es stimmt, was ihr mir erzählt habt, dass Lassars Magie wirklich nachlässt, sobald er die Burg verlässt.«
»Natürlich stimmt es«, murrte Mannon. »Aber was nutzt es uns?«
»Nichts«, sagte Resnec. »Aber was nutzt ihm ein Prinz Cavin, der in Hochwalden sitzt und seinen Befehlen gehorcht? Wir können vielleicht nicht hinein in seine Burg, aber wenn er uns angreifen will, ganz gleich ob mit magischen Mitteln oder mit Schwert und Bogen, dann muss er Hochwalden wohl zwangsläufig verlassen, oder?«
Gwenderon nickte. »Und?«
»Alles, was wir tun können«, erklärte Resnec, »ist, Cavin aus der Burg zu locken. Wir müssen ihm irgendwie eine Falle stellen. Haben wir ihn erst einmal in unserer Gewalt, sehen wir weiter.«