Die verdorrten Farnbüschel knisterten unter seinen Stiefeln wie trockenes Pergament, als sich der Mann umwandte und geduckt auf das Lager zuhuschte.
12
Er hatte vorgegeben, die Wachen noch einmal kontrollieren zu wollen, aber in Wahrheit war es eine Flucht. Gwenderon fühlte sich verstört und verunsichert wie niemals zuvor. Ihr Gespräch hatte sich im Kreise gedreht und wieder einmal zu nichts geführt, und so gerne er Resnec die Schuld daran gegeben hätte, wusste er doch, dass das nicht stimmte. Den größten Teil der Zeit, die er im Lager war, verbrachte er mit Beratungen und Plänen, die zu nichts anderem führten als zu Kopfschmerzen und Ärger. Es war wohl so, wie Animah gesagt hatte – ihr Aufstand war jung und jeder von ihnen musste das Rebellenhandckwerk erst noch lernen. Tatsache war, dass sie sich wie die Tiere hier im Wald verkrochen und sich bisher nicht einmal geeinigt hatten, wie sie Lassar bekämpfen sollten; geschweige denn es taten. Die wenigen Nadelstiche, die sie ihm bisher versetzt hatten, taten ihm nicht einmal weh. Bisher hatte sich nicht nur Gwenderon stets an die Hoffnung auf den Herbst geklammert, vielleicht auch das nächste Frühjahr, wenn sie genug Waffen und Männer zusammenhatten, um eine offene Konfrontation mit Lassar wagen zu können.
Aber was – wenn Resnec Recht hatte? Wenn sie im nächsten Frühjahr aus dem Wald brachen und sich plötzlich auf der Seite des Unrechts sahen, weil für die Welt draußen, auf deren Hilfe sie so bitter angewiesen waren, sie es waren, die Hochwalden bedrohten?
Gwenderon bemerkte, dass sich seine Gedanken im Kreise zu drehen begannen. Das ungute Gefühl, das ihn schon den ganzen Tag über gequält hatte, war schlimmer geworden und hatte im Laufe der letzten Minuten fast die Intensität eines körperlichen Schmerzes erreicht. Auf seinen Gedanken schien ein dumpfer, betäubender Druck zu lasten. Er kam sich vor wie ein Mann, der auf die aufgeschlagenen Seiten eines Buches starrte und plötzlich feststellen muss, dass er das Lesen verlernt hatte. Selbst das Denken fiel ihm schwer.
Nach einer Weile hörte er Schritte. Als er den Kopf wandte, erkannte er Resnecs schlanke Gestalt als flachen Schattenriss gegen das Schwarz des Himmels. Demonstrativ wandte er sich ab. Er wollte nicht reden. Schon gar nicht mit Resnec.
Aber Resnec ignorierte seine Geste, obwohl er sie bestimmt bemerkte. Schweigend trat er neben ihn, blickte einen Moment zu Boden und deutete dann zum Waldrand.
»Ihr kontrolliert die Wachen?«, fragte er. »Darf ich Euch begleiten?«
»Nein«, knurrte Gwenderon und ging weiter. Resnec ignorierte seine Antwort und folgte ihm. Gwenderon ballte stumm die Faust und beherrschte sich mit aller Gewalt, sie Resnec nicht ins Gesicht zu schlagen.
»Was willst du?«, fragte er wütend. »Dich in mein Vertrauen schleichen?«
»Es erbitten«, antwortete Resnec ruhig. »Aber das hat wohl wenig Sinn, wie?«
»Ganz recht«, sagte Gwenderon. »Was –«
»Was«, unterbrach ihn Resnec mit ganz leicht erhobener, aber auch nicht zorniger Stimme, »muss ich tun, um Euch zu beweisen, dass ich nicht mehr Euer Feind bin, Gwenderon?«
»Nimm dein Schwert und stürze dich hinein«, fauchte Gwenderon. »Das wäre zum Beispiel ein Beweis.« Resnecs Augen verdunkelten sich noch mehr, aber er schluckte die scharfe Antwort, die ihm sichtlich auf der Zunge lag, herunter und schüttelte nur den Kopf.
»Glaubt nicht, dass ich Euch nicht verstehe, Gwenderon«, sagte er. »Wäre ich an Eurer Stelle, würde ich wohl nicht anders reagieren.«
»Warum bist du dann hier?«, fragte Gwenderon. »Wenn du dich wirklich von Lassar losgesagt hast, wie du behauptest, warum steigst du dann nicht auf dein Pferd und reitest, bis du über den Rand der Welt fällst?«
Resnec seufzte. »Weil man vor Lassar nicht davonlaufen kann«, sagte er. »Du kannst Lassars Freund sein oder sein Feind, Gwenderon, nichts dazwischen. Ganz egal, wo ich mich vor ihm verbergen würde, er würde mich finden. Ich kann ihm dienen oder ihn bekämpfen.«
»Wenn du glaubst, wir würden dich vor ihm beschützen, dann täuschst du dich«, sagte Gwenderon böse. »Wir haben genug mit unseren eigenen Problemen zu tun, Resnec.«
»Ich suche keinen Schutz«, erwiderte Resnec. »Wahrscheincklich wird er mich töten, so wie er euch alle töten wird, aber hier habe ich wenigstens eine Chance. Und ich kann euch nützlich sein. Ich weiß mehr über Lassar als irgendein anderer.«
Gwenderon wollte antworten, stieß aber dann nur ein zorniges Schnauben aus und wandte sich mit einem Ruck um. Eine dünne, aber sehr beharrliche Stimme in seinen Gedanken sagte ihm, dass Resnec möglicherweise doch die Wahrheit sprach. Aber er wollte sie nicht hören.
Schweigend gingen sie nebeneinander durch das Lager, erreichten die Lücke in der noch nicht ganz geschlossenen Palicksade und drangen ein paar Schritte tief in den Wald ein. Gwenderon blieb stehen, hob die Hände an den Mund und ahmte den Ruf eines Nachtvogels nach. Hoch oben über ihnen in den Zweigen raschelte es und der Ruf wurde erwidert; zweimal hintereinander und in leicht veränderter Tonlage. Gwenderon nickte zufrieden und ging weiter.
Nacheinander kontrollierten sie sämtliche Posten, bis sie das Lager einmal umrundet hatten und wieder am Ausgangspunkt angelangt waren. Aber auch dann machte Gwenderon noch keine Anstalten zurückzugehen, sondern blieb stehen und starrte scheinbar gedankenverloren in die Nacht. Er wartete darauf, dass Resnec sich endlich zum Teufel scherte und ihn allein ließ. Aber Resnec rührte sich nicht.
Schließlich wurde es Gwenderon zu viel. »Also«, sagte er. »Was ist es, Resnec? Ich habe keine Lust, die ganze Nacht hier draußen zu verbringen – also sag mir, was du sagen willst.«
Resnec lächelte flüchtig. »Bin ich so leicht zu durchschaucken?«
Gwenderon antwortete gar nicht.
»Es gibt tatsächlich etwas, was ich mit dir bereden wollte«, begann Resnec umständlich. »Aber ich wollte erst allein mit dir sprechen; ohne die anderen.« Plötzlich wirkte er verlegen. »Du traust mir immer noch nicht«, sagte er.
»Nein«, sagte Gwenderon kalt.
»Trotzdem möchte ich erst mit dir reden«, beharrte Resnec. »Gerade weil du mir nicht traust, ist es wichtig. Es ist ein Plan, auf den mich Guarr gebracht hat, vorhin, bei eurer … Unterreckdung. Es ist vielleicht eine verzweifelte Idee, aber ich glaube, dass ich eine Chance hätte.«
»Wobei?«, fragte Gwenderon. Misstrauisch blickte er Resnec an, aber der wich einen Schritt weit in die Dunkelheit zurück, bis sein Gesicht zu einem hellen Fleck wurde und Gwenderon den Ausdruck auf seinen Zügen nicht mehr erkennen konnte.
»Du weißt wobei«, sagte er leise. »Guarr hatte vollkommen Recht mit dem, was er sagte. Wir müssen zuschlagen, ehe sie es können.«
»Und wie? Keiner von uns käme auch nur auf fünfhundert Schritt an Hochwalden heran.«
»Keiner von euch«, bestätigte Resnec. »Das stimmt. Aber ich vielleicht.«
»Du bist verrückt!«, entfuhr es Gwenderon, aber Resnec unterbrach ihn mit einer Handbewegung und fuhr leise, aber sehr erregt fort: »Das bin ich nicht. Ich wollte es schon vorhin vorckschlagen, aber ich habe befürchtet, dass Mannon und dieses Rattengesicht genauso reagieren würden wie du jetzt. Ich bin vielleicht der Einzige, der eine Chance hat, Hochwalden zu betreten und auch lebend wieder zu verlassen.«
»Und wie?«, fragte Gwenderon. »Bist du vielleicht immun gegen Lassars Zauber?«
»Das nicht. Aber ich kenne ihn wie kein Zweiter, Gwenderon. Ich war so lange sein Sklave, dass ich gelernt habe so wie er zu denken. Ich weiß, dass es gefährlich ist, aber ich bin sicher, dass ich eine Chance habe. Und ich bin es euch allen schuldig. Lass es mich versuchen, Gwenderon. Ich könnte mich in die Burg schleichen und versuchen …«