»… auf möglichst originelle Weise umgebracht zu werden, ja«, unterbrach ihn Gwenderon. »Oder vor Lassar niederzuknien und ihm zu berichten, was du hier gesehen hast.« Zornig schüttelte er den Kopf. »Kein Wort mehr, Resnec. Ich werde dieses Gespräch vergessen, und du tätest gut daran, es ebenfalls zu tun.«
»Aber ich …«
»Kein Wort mehr, habe ich gesagt!«, sagte Gwenderon streng. »Ich lasse nicht zu, dass du uns alle in Gefahr bringst, nur weil du glaubst uns irgendetwas schuldig zu sein!«
»Du glaubst, ich würde euch verraten.«
Gwenderon antwortete nicht.
»Du glaubst, ich würde die erste Gelegenheit nutzen, zu Lassar zurückzukehren. Warum sollte ich so etwas Dummes tun? Warum hätte ich herkommen sollen, wenn es so wäre?« Resnec trat erregt auf ihn zu und hob die Arme. Wenn er noch einen Schritt näher käme, dachte Gwenderon, würde er ihn niederckschlagen. »Verdammt, Gwenderon, ich …«
Irgendwo in der Dunkelheit hinter Resnec bewegte sich ein Schatten. Plötzlich erscholl ein heller, sirrender Laut. Resnec schrie auf, sprang mit einer blitzartigen Bewegung vor Gwenderon und stieß ihn zurück, und plötzlich ertönte ein dumpfer Schlag und aus Resnecs Schrei wurde ein unartikuliertes Stöhnen. Seine Augen wurden groß vor Schmerz und Unglauben. Er taumelte, griff Halt suchend mit beiden Händen nach Gwenderon und stürzte schließlich mit einem seufzenden Laut zu Boden. Aus seiner verletzten Schulter ragte der Schaft eines Pfeiles.
Alles ging unglaublich schnell. Gwenderon hörte das helle Peitschen der Bogensehne ein zweites Mal, warf sich zur Seite und spürte einen dumpfen, betäubenden Schlag im Gesicht.
Er fiel, sprang fast sofort wieder auf die Füße und brach dann rücksichtslos durch das Unterholz. Irgendwo hinter ihm im Wald erscholl der misstönende Schrei eines Hornes. Sekunden später hörte man aufgeregtes Rufen aus dem Lager. Gwenderon aber achtete nicht darauf. Er stürmte mit gezücktem Schwert und brüllend vor Wut weiter, auf den Schatten und das verräterische Blitzen von Metall zu, das er gesehen hatte.
Der Mann war dabei, mit fliegenden Fingern seinen dritten Pfeil auf die Sehne zu legen, als Gwenderon ihn erreichte. Als er den grauhaarigen Riesen heranstürmen sah, warf er sich blitzschnell zur Seite, trat nach seinen Beinen und riss den Bogen wie einen Schild über den Kopf.
Das Schwert zerschmetterte das fingerdicke Eibenholz, zerriss das Kettenhemd des Attentäters, als bestünde es aus Papier, und hinterließ einen handlangen, blutigen Riss auf seickner Haut. Jeder normale Mensch hätte sich vor Schmerz gekrümmt oder wenigstens geschrien, aber der Angreifer schien die Verletzung nicht einmal zu spüren. So schnell, dass Gwenderon die Bewegung kaum sah, rollte er herum, sprang auf die Füße und schmetterte Gwenderon mit einem wütenden Hieb die Klinge aus der Hand.
Gwenderon taumelte. Seine Waffenhand war gelähmt, wo ihn die Faust des Mannes getroffen hatte, und noch ehe er dazu kam, schützend die Arme hochzureißen, traf ihn ein zweiter, unglaublich harter Schlag, der ihn gegen einen Baum prallen und haltlos in die Knie brechen ließ. In der Hand des rasenden Schattens, der plötzlich über ihm war, blitzte ein Dolch.
Und dann war plötzlich ein zweiter Schatten hinter dem ersten, eine rasche, schlagende Bewegung, und der Dolch, der auf Gwenderons Gesicht gezielt hatte, flog im hohen Bogen davon. Gwenderon stöhnte. Seine Rippen schmerzten, als hätte ihn eine Lanze getroffen. Er konnte kaum atmen. Die beiden kämpfenden Schatten vor ihm verschmolzen zu einem einzigen wirbelnden Umriss mit schemenhaft erkennbaren Armen und Beinen, und plötzlich erscholl ein heller, knackender Laut und einer der Schatten erschlaffte und sank reglos zu Boden.
Gwenderon blieb sekundenlang schwer atmend hocken, ehe er die Kraft fand, sich auf Hände und Knie hochzustemmen und zu den beiden reglosen Körpern hinüberzukriechen. Rescknec lag stöhnend auf dem Rücken, das Gesicht eine Grimasse der Qual, die Hand auf die Schulter gepresst, die der Pfeil des Attentäters ein zweites Mal durchbohrt hatte. Der Attentäter lag neben ihm, den Kopf in unmöglichem Winkel zur Seite geneigt, das Genick gebrochen. Die Dunkelheit machte den Toten zu einem schwarzen Schatten, aber Gwenderon musste ihn nicht genau sehen, um zu wissen, dass er auf die gleiche Weise gekleidet sein würde wie der Mann, der ihn vor Tagesfrist angegriffen hatte. Und dass er in seiner Tasche eine kleine, durchbrochene Goldmünze finden würde: den Kopfpreis, den Lassar auf ihn ausgesetzt hatte.
Nach einer Weile richtete sich Gwenderon auf, schob das Schwert in den Gürtel und beugte sich zu Resnec herab. Im Lager waren Feuer aufgeflammt und die Stille der Nacht war dem aufgeregten Rufen Dutzender Stimmen gewichen. Hastige Schritte näherten sich ihnen, Metall blitzte, Schatten umringten sie, und als Gwenderon aufsah, erkannte er in zweien von ihnen Mannon und Guarr und etwas hinter ihnen, vor Schrecken erstarrt, aber den Bogen mit aufgelegtem Pfeil in der Hand, Animah. In ihrem Blick war ein Vorwurf, den Gwenderon nicht mehr verstand.
»Was war das?«, fragte der Zwerg aufgeregt. »Ein Attentäckter?«
Gwenderon nickte. Er fühlte sich wie betäubt. »Ja«, erwiderte er halblaut. »Ein Attentäter, Mannon. Ein Mann von den Inseln.« Er ballte die Faust, hob die Hand vor das Gesicht und ließ den Arm dann mit einer kraftlosen Bewegung wieder sinken. »Ein Gruß von Lassar«, murmelte er. »Damit wir uns nicht sicher fühlen.«
Mannon antwortete nicht, aber der Ausdruck von Schrecken in seinen dunklen Zwergenaugen wuchs. Plötzlich fuhr er zusammen und deutete mit der Hand auf Gwenderons Gesicht.
»Du blutest ja!«
Gwenderon hob verwirrt die Hand, tastete nach seiner Wange und fühlte warmes Blut, das aus einem fingerlangen Schnitt unter seinem Auge quoll und sein Gesicht besudelte. Es tat weh, jetzt, als er sich der Wunde bewusst wurde.
Trotzdem machte er nur eine wegwerfende Handbewegung, nachdem er sich mit dem Hemdsärmel das Blut aus dem Gesicht gewischt hatte.
»Das ist nichts«, sagte er. »Ein Kratzer. Mehr nicht.«
Er lächelte, um seine Worte zu unterstreichen, wandte sich wieder um und ging abermals neben Resnec in die Hocke.
Resnec war bei Bewusstsein, aber in seinen Augen lag ein fiebriger Glanz. Sein Gesicht zuckte vor Schmerz, als Animah auf seiner anderen Seite niederkniete und mit spitzen, kundigen Fingern nach dem Pfeil in seiner Schulter tastete. Dann, ganz plötzlich, klärte sich sein Blick und er sah Gwenderon an.
»Nun, Gwenderon«, flüsterte er. »Glaubt Ihr jetzt, dass Ihr nicht einmal hier sicher seid?«
Gwenderon schwieg. Das plötzliche Auftauchen des Attentäckters hatte ihn mehr erschreckt, als er jetzt schon zuzugeben bereit war. Er hatte gehofft, dass sie wenigstens hier sicher seien.
»Dieser Pfeil galt dir«, vermutete Animah.
Gwenderon nickte. »Er hätte getroffen«, sagte er zögernd. Seine nächsten Worte, die er an Resnec wandte, kosteten ihn große Überwindung. »Es sieht so aus, als verdanke ich dir mein Leben, Resnec. Ich danke dir.«
Resnec lachte mühsam. »Und gleichzeitig fragst du dich, ob der Pfeil nicht doch sein wirkliches Ziel getroffen hat, nicht wahr? Du fragst dich, ob es wirklich Zufall war, dass der Mann ausgerechnet jetzt auftauchte. Schließlich …« Er stockte, presste schmerzhaft die Lippen zusammen und fuhr mit leiser, immer wieder stockender Stimme fort: »Schließlich gibt es keine bessere Möglichkeit, das Vertrauen eines Mannes zu gewinnen, als ihm das Leben zu retten, nicht wahr?«
Gwenderon schwieg. Resnec sprach tatsächlich nur das aus, was auch er dachte, wenngleich vielleicht auch nicht in dieser Offenheit und Härte. Er spürte, wie ihn alle anderen anstarrten. Es war ihm peinlich, dass er so leicht zu durchschauen war.
»Was muss ich noch tun, um Euch zu beweisen, dass ich auf Eurer Seite stehe, Gwenderon?«, stöhnte Resnec. »Ihr würdet mir nicht einmal glauben, wenn ich Euch Lassars Kopf brächte, wie? Aber ich werde Euch … beweisen, dass ich kein Verräter bin.«