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Der Späher kam zurück. Mit erstaunlicher Lautlosigkeit durchbrach er den Waldrand, hockte sich neben Gionn nieder und begann eine Folge rascher, unglaublich hoher Pfeif- und Quietschtöne auszustoßen. Seine Klauenhände bewegten sich in komplizierter Folge, und plötzlich – eigentlich zum ersten Mal – fiel Resnec auf, dass sich auch Ohren, Barthaare und Schwanz des Wesens nicht willkürlich, sondern in einem ganz bestimmten Ablauf bewegten. Die Raetts waren nicht nur auf das gesprochene Wort angewiesen. Resnec schauderte, während er Gionn und Fakor bei ihrer rasend schnellen Unterhaltung zusah. Der Gedanke, dass diese beiden Wesen als Tiere geboren waren und als denkende Individuen sterben würden, erfüllte ihn mit Entsetzen.

»Nun?«, fragte er, als sich Gionn nach kaum einer Minute umwandte und ihn aus seinen schwarzen Knopfaugen anstarrte.

»Fakor sagt, Burg leer«, pfiff Gionn. »Alle fort. Lassar, Cavin, Krieger, niemand mehr da.«

»Das ist unmöglich«, widersprach Resnec impulsiv. »Das Tor steht offen, Gionn. Sie würden Hochwalden nicht allein zurücklassen?!«

»Wozu Tor und Riegel schließen, wenn niemand da?«, gab Gionn quietschend zurück. »Fakor nicht irren. Niemand in Burg. Wir gehen.«

»Das ist eine Falle!«, behauptete Resnec. Es war einfach unckmöglich, dass Cavin – und erst recht Lassar! – so leichtsinnig sein sollten. »Wahrscheinlich lauern sie in einem Versteck und warten nur darauf, dass wir kommen!«

Fakor pfiff einen Kommentar und Gionn übersetzte: »Nieckmand Versteck, Mensch. Fakor fragen kleine Brüder. Burg leer. Nichts lebt.«

»Kleine Brüder?« Resnec runzelte demonstrativ die Stirn. »Wer soll das sein?«

»Burg sicher«, beharrte der Raett. »Wir gehen. Komm.«

Resnec wollte abermals widersprechen, aber dann besann er sich auf die Tatsache, dass Gwenderon sehr deutlich gesagt hatte, wer diesen Angriff führen solle. Mit einem Ruck richtete er sich auf und starrte den gewaltigen Schatten Hochwaldens an. Es war unmöglich, dachte er immer wieder.

Aber er widersprach nicht mehr.

24

Lassar deutete auf einen Punkt auf der Karte, der mit einem roten Kreuz markiert worden war, ein Stück schräg rechts über der kleineren, grünen Markierung, die ihre eigene Position kennzeichnete.

»Ihr Lager ist genau hier. Zwei Stunden von uns entfernt.« Ein rasches, düsteres Lächeln huschte über seine Züge und erlosch wieder. »Die Falle ist zugeschnappt.«

»Seid Ihr sicher, Lassar?«, fragte Cavin.

Lassar schnaubte. »So sicher, wie man nur sein kann. Meine Späher sind zuverlässig, mein König. Sie sehen auch dort, wo menschliche Augen versagen. Die Rebellen sitzen in der Falle. Gwenderons Kopf gehört Euch – wie ich es versprach.«

Cavin nickte, blickte den Schattenfürsten aber weiter mit unckverhohlenem Zweifel an.

Es war der zweite Tag, seit sie Hochwalden verlassen und in den Wald eingedrungen waren, und bisher hatten sich alle Vorckaussagen Lassars als richtig erwiesen. Sie waren, aufgeteilt in ein Dutzend Gruppen unterschiedlicher Stärke, nach Norden marschiert, um sich mit der zweiten Hälfte des Söldnerheeres zu vereinigen, die den Wald umgangen hatte und aus entgegengesetzter Richtung vorgedrungen war; zusammen fast zweihundert Mann, die sich – wenn Lassars Späher die Wahrckheit berichtet hatten – einer nicht einmal halb so starken Rebellenarmee gegenübersahen. Zudem waren es zweihundert kampferprobte Männer, deren Handwerk das Töten war; und trotzdem hätte sich Cavin gewünscht, sie hätten gewartet, bis auch die übrigen Söldner eingetroffen wären. Gwenderon war kein Narr, sondern der Waffenmeister seines Vaters, ein Mann, der sein Handwerk mindestens so gut verstand wie die gekaufckten Mörder, die in ihrer Begleitung ritten. Und wenn er auch eine Armee aus Träumern und Narren befehligte, so hatten sie doch den Wald auf ihrer Seite; ein Labyrinth aus Schatten und undurchdringlichem Unterholz, in dem ein einzelner Mann es mit einem Heer aufnehmen konnte. Cavin war sich ihres Sieges nicht halb so sicher wie Lassar.

Aber bisher waren sie kaum auf nennenswerten Widerstand gestoßen, sah man von einigen kleineren Scharmützeln ab, die die Söldner aber rasch beendet hatten.

Trotzdem fiel es ihm schwer zu glauben, dass alles so leicht sein sollte. Sie führten keinen Krieg, dachte er, sondern veranstalteten eine Treibjagd. Eine Treibjagd, bei der die Opfer Menschen waren. In wenigen Augenblicken würde er sein Zelt verlassen und auf sein Pferd steigen und zwei Stunden später würde alles vorbei sein. Die Rebellen hatten keine Chance mehr.

Aber das Gefühl des Triumphes, das er jetzt eigentlich empfinden sollte, kam nicht.

Vielleicht, dachte er, weil es ein zu teuer erkaufter Sieg war. Zum ersten Mal, seit sich die Welt drehte, hatten fremde Krieger den Schwarzeichenwald betreten; Männer unter dem Drachenbanner Hochwaldens zwar, aber trotzdem Fremde.

Er hatte das Gefühl, an etwas gerührt zu haben, das nicht berührt werden durfte.

Cavin wischte die Karte mit einer zornigen Geste vom Tisch und stand auf. Lassar lächelte dünn. Sein Gesicht war wie eine halb transparente Schattenmaske, durch die das Weiß der Zeltplane hindurchschimmerte.

Lassar verlor an Glaubhaftigkeit, je tiefer sie in den Wald eindrangen, dachte Cavin. Selbst ihm, der von magischen Dingen nur sehr wenig wusste, war nicht verborgen geblieben, wie schwer es dem Herrn der Schatten in dieser Umgebung fiel, seine Erscheinung aufrechtzuerhalten.

Nebeneinander verließen sie das Zelt.

Das Lager befand sich auf einer sanften Anhöhe, die kaum groß genug schien, die zwanzig Zelte und die mehr als hundert Pferde und Männer aufzunehmen, die es bevölkerten. Und dies war nur die Hälfte der kleinen Armee, die ihm gefolgt war. Plötzlich kam es ihm gar nicht mehr so sonderbar vor, dass die Rebellen sich kaum gewehrt hatten. Welche Aussicht hatte eine Hand voll armseliger Rebellen gegen diese Woge aus Stahl und Kraft, die den Wald überschwemmte?

»Die Männer sind bereit, mein König«, sagte Lassar. »Sie warten auf Euren Befehl.«

Warum kamen ihm seine Worte so höhnisch vor?, dachte Cavin. Verwirrt blieb er stehen und sah Lassar an.

Hier draußen, im letzten Licht der Sonne, wirkte der Herr der Schatten unwirklicher denn je, als sei er nicht mehr als ein Hauch aus düsterem Nebel, der durch eine pure Laune des Zufalls menschliche Umrisse angenommen hatte. Und – ja, irgendwie schienen die Farben in seiner Umgebung blasser, als schrecke – etwas in der Natur dieses Waldes vor ihm zurück.

Cavin vertrieb diesen Gedanken. Wieder glaubte er Gwenderon zu sehen und wieder fühlte er eine Welle heißen, brennenden Hasses in sich emporsteigen.

»Ihr habt Recht, Lassar«, sagte er. »Bringen wir es zu Ende.«

Ein sonderbares Gefühl von Kraft durchströmte ihn, als er zu den wartenden Reitern hinüberging und sich in den Sattel schwang.

25

Der Ruf eines Waldvogels durchschnitt die Nacht. Er war nicht sehr laut, und jemandem, der nicht wie Gwenderon und seine Begleiter seit Jahren in diesem Wald lebte und jeden Laut der Natur kannte, wäre nichts Besonderes daran aufgefallen. Doch für die fünfunddreißig Männer und Raetts, die sich eine halbe Meile vor dem Lager im Schutze der Dunkelheit postiert hatten, war er ein Alarmsignal.

»Sie kommen«, flüsterte Karelian. »Früher, als ich gehofft hatte.«

Gwenderon zog behutsam sein Schwert aus dem Gürtel, legte die Waffe vor sich auf den Boden und löste den Bogen vom Rücken. Dann nahm er eine Hand voll Pfeile aus dem Köcher, prüfte sie pedantisch der Reihe nach und warf einen von ihnen fort, ehe er die anderen griffbereit neben sich in den weichen Waldboden steckte. Erst dann wandte er den Kopf und antwortete auf Karelians Worte.

»Und mehr, als ich befürchtet habe«, sagte er. »Die Späher haben mehr als hundert Krieger gemeldet, allein aus dieser Richtung.« Er deutete mit einer Kopfbewegung nach Süden, dann nach Norden. »Und mindestens noch einmal so viele aus der entgegengesetzten.«