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Gwenderon blickte nervös zum Turm hinüber. Sein Blick saugte sich an der erst halb fertig gestellten Holzkonstruktion fest. Alles hing von diesem lächerlichen Loch ab, einem nicht einmal zweihundert Meter messenden Tunnel, an dem fünfzig von Guarrs Raetts eine Woche lang gegraben hatten und der bei der geringsten Erschütterung einstürzen konnte. Mit einem Male erschien es ihm wie heller Wahnsinn, das Schicksal des Schwarzeichenwaldes von einem Loch abhängig zu machen, das nicht einmal hoch genug war, dass ein Mann aufrecht darin stehen konnte. Aber es war zu spät, sich jetzt noch eines Besseren zu bedenken.

Cavin und seine Begleiter hatten die Palisade fast erreicht und Gwenderon sah voller Zufriedenheit, dass der Abstand zwischen ihnen und dem Rest des Söldnerheeres weiter gewachsen war – eine Entwicklung, der die Bogenschützen hinter den Palisaden durch gezielte Salven von Pfeilen und Brandgeschossen deutlich nachhalfen.

Dann waren sie heran. Cavins Pferd setzte mit einem gewaltigen Sprung über den Graben hinweg, der jenseits des Holzckzaunes lag, und Karelian stieß das Schwert ein zweites Mal in die Höhe.

In der gleichen Sekunde begann die Palisade zu wanken. Eickne letzte, mörderische Pfeilsalve trieb die Söldner zurück und plötzlich begannen die Bogenschützen zu rennen, fort von der wankenden Mauer aus Holz, die von einem Augenblick auf den anderen ihre Festigkeit verloren hatte. Mit einem ungeheuren Bersten und Krachen stürzte sie zusammen, erschlug zwei von Cavins Begleitern, ein halbes Dutzend der nachdrängenden Reiter und auch zwei oder drei Verteidiger, die nicht schnell genug gewesen waren, und bildete plötzlich eine tödliche Barriere aus wirr über- und untereinander liegenden Balken, an deren zerborstenen Enden sich Mensch und Tier aufspießen mussten, wenn sie versuchten sie zu überrennen. Das Söldnerckheer prallte zurück wie eine gewaltige Woge aus Eisen und Fleisch. Nicht allen gelang es, ihre Tiere schnell genug herumzureißen.

Natürlich wusste Gwenderon, dass auch dieses neuerliche Hindernis die Krieger nicht länger als zwei, vielleicht drei Micknuten aufhalten konnte, trotz des wütenden Beschusses, der abermals eingesetzt hatte und die Söldner weiter zurücktrieb.

Aber sie brauchten nicht mehr als diese zwei oder drei Minuckten.

Er fuhr herum, hob sein Schwert und deutete auf Cavin, dessen Tier ein Dutzend Schritte hinter der niedergestürzten Palicksade zum Stehen gekommen war. Seine Begleiter hatten ihre Waffen und Schilde gehoben und versuchten einen lebenden Schutzwall um ihn zu bilden, aber auf die kurze Distanz schützten sie nicht einmal mehr ihre Rüstungen gegen die Speere und Steine, die die Raetts nach ihnen schleuderten. Eickner nach dem anderen sank aus dem Sattel, bis der Letzte vercksuchte sein Tier herumzureißen und mit einem verzweifelten Satz über die hölzerne Barrikade hinwegzusetzen. Gwenderon sah nicht hin, als sein Todesschrei erklang.

Sein Blick begegnete dem Cavins, und was er darin las, war … Hass.

Einen Hass, wie er ihn niemals zuvor im Blick eines Menschen gesehen hatte.

»Worauf wartest du?«, fauchte Karelian neben ihm. Gwenderon fuhr zusammen, drehte sich fast schuldbewusst herum und gab Animah das verabredete Zeichen. Die Waldläuferin war mit einem Sprung beim Turm und öffnete die Tür, während Gwenderon, Karelian und ein halbes Dutzend ausgesuchter Männer auf Cavin zustürmten. Jenseits der Barrikade formierten sich die Söldner zum letzten, entscheidenden Angriff, und für einen Moment glaubte Gwenderon eine hoch gewachsene Gestalt zwischen ihnen zu erkennen, die nur aus Schatten und schwarzem Rauch bestand. Aber er wusste, dass sie zu spät kommen würden.

Die Männer hatten Cavin erreicht. Der junge König von Hochwalden schrie vor Zorn, schlug mit seinem Schwert um sich und versuchte die Angreifer mit der Standarte zu Boden zu stoßen, aber er stand einer zehnfachen Übermacht gegenüber. Ein Hieb prellte ihm das Schwert aus der Hand, harte Hände griffen nach dem Zaumzeug seines Tieres und zwangen es nieder, dann wurde er aus dem Sattel gezerrt und von einem Dutzend Armen gehalten.

Und dann geschah alles gleichzeitig.

Ein gellender, vielstimmiger Schrei zerriss die Luft. Aus den Augenwinkeln sah Gwenderon, wie Animah rücklings aus dem Turm taumelte, mit blutigem Gesicht, den schlaffen Körper eines Raett mit beiden Armen auffangend, der gegen sie geprallt war und sie mit seinem Gewicht niederwarf. Ein zweiter Raett torkelte aus dem Turm, der Schädel eine einzige blutige Masse, in seinem Rücken die gefiederten Schäfte von fast einem Dutzend Pfeilen, und plötzlich quoll eine Welle aus blitzendem Metall und Lumpen aus dem Turm und breitete sich johlend auf dem Hof aus. Etwas Schwarzes, ungeheuer Großes raste lautlos heran, traf die Barriere aus zerborstenem Holz und zermalmte sie.

Aus, dachte Gwenderon. Er führte den Schritt, den er auf Cavin zu getan hatte, nicht zu Ende. Er spürte keine Furcht, nicht einmal Erschrecken, sondern allerhöchstens so etwas wie eine tiefe, aber erwartete Enttäuschung. Er dachte nur dieses eine Wort. Lassar hatte gesiegt. Ihr närrischer Plan, einen Tunnel zu graben und direkt unter seinen Füßen hindurch den Wald zu erreichen, ehe er es auch nur merkte, und dabei auch noch Cavin mit sich zu nehmen, war gescheitert. Lassar hatte sie in der Falle gefangen, die sie für ihn aufgestellt hatten.

»Zurück!«, brüllte Karelian mit überschnappender Stimme. »Wir sind verraten! Flieht, Gwenderon!«

Gwenderon reagierte nicht. Wie gelähmt stand er da, starrte abwechselnd die näher kommenden Reiter an, vor denen plötzcklich kein Hindernis mehr war, und die Söldner, die noch immer aus dem Turm quollen und gnadenlos niedermachten, was immer sich ihnen in den Weg stellte. Die Männer leisteten Widerckstand, aber sie vermochten den Ansturm der Krieger nicht einckmal zu verlangsamen, geschweige denn aufzuhalten. Von den sechzig Männern und Raetts, die sie gewesen waren, lebten noch dreißig. Und ihr Kampfesmut war gebrochen, jetzt, als sie mit ansehen mussten, wie der Feind ihr Lager auf dem Weg stürmte, auf dem sie hatten fliehen wollen. Gwenderon fühlte sich wie betäubt. Selbst wenn er es gekonnt hätte, wäre er nicht geflohen. Wohin auch?

»Fort!«, brüllte Karelian abermals. Er fuhr herum, packte Gwenderon am Arm und zerrte ihn mit sich, in die einzige Richtung, die ihnen blieb: auf den jenseitigen Rand der Festung und den Wald zu, der wieder sichtbar geworden war, nachdem Lassars Magie die Palisade vernichtet hatte. Ein Söldner vercksuchte ihnen den Weg zu verstellen. Karelian erschlug ihn. Pfeile regneten auf sie herab und etwas schrammte heiß und schmerzhaft an Gwenderons Bein entlang. Er spürte nichts von alledem. Hätte er noch die Kraft dazu gehabt, hätte er Karelians Hand abgestreift und wäre zurückgegangen.

Wie durch ein Wunder erreichten sie den Waldrand ohne aufgehalten oder getroffen zu werden. Karelian blieb keuchend stehen, schob sein Schwert in den Gürtel zurück und sah sich gehetzt um. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Sein Blick irrte unstet über das Unterholz, als suche er etwas.

Gwenderon wandte sich um. Das Rund der ehemaligen Waldfestung war mit Toten und Sterbenden übersät. Hier und da wurde noch gekämpft, aber es konnte nur noch Augenblicke dauern, bis auch der letzte Verteidiger fiel. Mehr als ein Dutzend Söldner bewegte sich auf Karelian und ihn zu.

Sein Blick suchte Cavin. Die Gestalt in der weißgoldenen Prachtrüstung ritt an ihrer Spitze und noch einmal begegneten sich ihre Blicke. Und wieder las Gwenderon diesen unglaublichen, entsetzlichen Hass darin, einen Hass, der schlimmer war als ihre Niederlage, schmerzhafter als der Gedanke an seinen bevorstehenden Tod, entsetzlicher als das Morden und Töten rings um sie herum.

»Jetzt!«, schrie Karelian.

Gwenderon starrte ihn an. »Was …«

Karelian ließ ihm keine Zeit, seine Frage zu stellen, sondern packte ihn grob bei der Schulter und versetzte ihm einen Stoß, der ihn haltlos auf den Wald zutaumeln ließ.