Lassars Werk, dachte er. Die Worte hallten wie bitterer Spott hinter seiner Stirn wider. Lassars Werk. So wie die grausame Posse, die Lassar ihm vorgespielt hatte.
»Warum, Faroan«, fragte er laut. »Warum hat er mich nicht einfach umgebracht, so wie er meinen Vater umgebracht hat?«
Weil er es nicht konnte, erwiderte der Magier auf seine lautlose Weise. Er selbst hat dir die Antwort auf diese Frage gegeben. Auch seine Macht ist nicht so groß, dass er es wagen würde, sich den Schwarzeichenwald mit Gewalt zu nehmen. Du warst nur sein Werkzeug.
»Sein Werkzeug?« Cavin ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. »Ich habe getötet, Faroan. Ich habe die umgebracht, die mich schützen wollten!«
Lassar ist ein Meister der Täuschung, erwiderte Faroan. Selbst vermag er nichts; er wirkt immer nur durch andere. Niemand hätte sein Spiel durchschaut, an deiner Stelle. Und sein Plan ist fehlgeschlagen. Du hast Gwenderon nicht getötet und seine Söldner werden euch vergeblich suchen. Ich bringe euch an einen Ort, an dem ihr in Sicherheit seid.
»Und wohin?«, fragte Cavin.
Faroan lächelte. An einen Ort, bis zu dem seine Macht nicht reicht, sagte er. Du kennst ihn, Cavin. Lassar selbst hat ihn dir gezeigt. Und nun kommt mit mir, Cavin, Karelian und Gwenderon. Meine Zeit ist begrenzt und es gibt noch so viel zu tun.
Er wandte sich um und ging in den Wald hinein. Der junge König und sein ergrauter Waffenmeister folgten ihm und in einiger Entfernung auch Karelian, der Mann, der Faroan geholt hatte und der doch am wenigsten wusste, worum es bei diesem so sinnlos erscheinenden Krieg überhaupt ging.
Aber kurz bevor Cavin hinter dem Magier in den Wald zurücktrat, wandte er noch einmal den Blick und sah in die Richtung zurück, in der der Feuerschein der brennenden Burg den Himmel erhellte.
»Noch ist nicht alles verloren«, sagte er laut, wie zu sich selbst. »Ich werde Hochwalden wieder aufbauen. Und dann, Lassar, werde ich mich rächen für all das, was du mir angetan hast. So wahr ich der Sohn des Waldkönigs bin.«
Aber es war seltsam – er dachte dabei weniger an den alten Vater, den er nie richtig gekannt hatte, sondern an das Bild der mächtigen Eiche, die im Herzen des Waldes stand.
Megidda
1
Wie immer, wenn er sich der Festung näherte, scheute sein Pferd und weigerte sich, freiwillig weiterzugehen, und wie immer, wenn er durch das gewaltige schwarze Tor ritt, hatte er das Gefühl, gleichzeitig eine zweite Grenze zu überschreiten, eine unsichtbare Barriere aus Kälte, etwas, wofür er keine Worte hatte, das seine Haut prickeln und die feinen Härchen in seinem Nacken und auf seinen Handrücken sich aufstellen ließ wie knisterndes Katzenfell. Und wie immer berührte die Furcht mit dürren Fingern seine Seele, kaum dass er das Tor durchschritten hatte und der Hof vor ihm lag. Die Ruinen der riesigen, quaderförmigen Gebäude erhoben sich wie ein künstlich aufgetürmtes Gebirge vor ihm und ihre schwarzen Schlagschatten stanzten Löcher in die Wirklichkeit. Auch dort, wo das Licht der schon tief stehenden Sonne noch hinreichte, herrschte etwas wie graues Zwielicht; noch keine richtige Dämmerung, aber auch kein wirklicher Tag, weil es beides hier in der Megidda nicht gab. Die Kälte war hier noch ein wenig unangenehmer als draußen im Wald.
Cavin lenkte sein Pferd auf den flachen Quader aus schwarckzem Basalt zu, den sie als Stall benutzten, wartete, bis die Tür geöffnet wurde und ein Raett heraustrat, um sein Tier zu nehmen, und stieg erst dann aus dem Sattel. Seine Muskeln waren steif vom langen Reiten und seine Hände schmerzten vor Kälte, trotz der fellgefütterten Handschuhe, die er übergestreift hatte. Der Wind, der ihm durch das Tor gefolgt war, überschüttete ihn mit staubfeinem, eisigem Schnee. Er drehte das Gesicht aus dem Wind, erwiderte den grüßenden Pfiff des Raett mit einer müden Geste und wandte sich nach rechts, dem rechteckigen Schatten des Turmes zu, in dem sie so etwas wie eine Enklave menschlichen Lebens geschaffen hatten. Unter seinen Stiefeln knirschte Eis, als er mit raschen Schritten den Hof überquerte und die Treppe hinaufging. Ein unförmiger Umriss tauchte aus dem Schatten des Torbogens auf, lugte einen Moment aus kleicknen glitzernden Knopfaugen zu ihm herab und verschmolz wieder mit dem Lavaschwarz hinter ihm, als er Cavin erkannte. Cavin unterdrückte ein Lächeln. Es war ein sonderbarer Anckblick, ein in Felle und Pelze gehülltes Wesen zu sehen, das selbst nur aus Fell und Pelz bestand. Die Raetts wirkten in ihrer Winterkleidung so unbeholfen, dass sie einen schon fast komickschen Anblick boten; selbst für ihn, der nun wahrlich Zeit genug gehabt hatte, sich daran zu gewöhnen. Aber der Gedanke entglitt ihm, ehe er sich länger damit beschäftigen konnte, und als er die Halle durchquerte und die nächste, nach oben führende Treppe in Angriff nahm, fühlte er schon wieder nichts mehr als Müdigkeit und Schwäche. Er war drei Tage fort gewesen und zwei von diesen drei Tagen hatte er im Sattel verbracht; selbst unter normalen Umständen schon eine Tortur. Im Winter, und in der Situation eines gejagten Tieres, das bei jedem Knacken eines Zweiges, bei jedem Laut, jedem jähen Lichtreflex zusammenfuhr, eine Qual. Und wozu? Missmutig dachte er an die Vorhaltungen, die ihm Gwenderon gleich machen würde – noch dazu mit Recht –, und seine Laune sank um weicktere Grade.
Die Treppe mündete in einem kurzen, sehr hohen Gang von dreieckigem Querschnitt, an dessen jenseitigem Ende eine Tür aus schwarzem Eisen lag. Auf dem Boden davor lag ein zusammengerollter Raett und schnarchte so laut, dass sich Cavin einen Moment wunderte, das Geräusch nicht schon draußen vor dem Tor gehört zu haben. Seine Klauenhände umklammerten einen Speer, um dessen Schaft sich sein nackter Schwanz gewickelt hatte und auf dessen Klinge seine Wange ruhte wie auf einem Kissen. Cavin lächelte müde, stieg mit vorsichtigen Bewegungen über den Schlafenden hinweg und öffnete die Tür so leise, wie er konnte. Sein Lächeln wurde etwas amüsierter, als sich der Raett im Schlaf bewegte und leise, quiekende Töne ausstieß. Trotz des Ehrfurcht gebietenden Äußeren der riesigen Kreatur empfand Cavin ein rasches, warmes Gefühl von Symckpathie. Mit jedem Tag, der verging, schien sich der Unterschied zwischen den Raetts und ihren menschlichen Kampfgefährten zu verwischen; was auch bedeutete, dass sie durchaus menschliche Unarten annahmen, wie ein Nickerchen während der Wache zu halten, zum Beispiel. Guarr würde toben vor Wut, wenn er den schlafenden Raett fand, aber Cavin hatte nicht vor, ihn anzuschwärzen. Er hielt es sowieso für schieren Unsinn, hier im Inneren der Megidda Wachen zu postieren – einen Angreifer, dem es gelang, sie zu finden und ihre Mauern zu erstürmen, würden auch ein paar Wachen nicht mehr aufhalten können. Nicht einmal, wenn es zwei Meter große Ungeheuer waren, die nur aus Zähnen und Klauen und unglaublich starken Muskeln bestanden.
Ein Hauch angenehmer Wärme streifte sein Gesicht, als er die Tür öffnete und hindurchschlüpfte. Das rote Licht von Fackeln vertrieb den grauen Schimmer, der den Rest der Festung erfüllte, er hörte Stimmen und ging schneller. Schließlich gelangte er in einen Teil des Gebäudes, in dem die Anwesenheit von Menschen nicht mehr zu übersehen war: Auf dem Boden lagen Matten aus geflochtenem Gras, eiserne Fackelhalter waren in die Wände getrieben worden, deren schwarzer Basalt mit Teppichen und vielleicht wenig künstlerisch, aber sehr liebeckvoll gemalten Bildern behängt war. Nicht alle diese Bilder stammten von menschlichen Händen. Manche – und es wurden mehr! – waren von Künstlern erschaffen, deren Hände klauenckbewehrt waren. Sie zeigten größtenteils rohe Tier- und Landckschaftsdarstellungen, manchmal aber auch Dinge, die Cavin nicht zu identifizieren imstande war, die ihn aber mit einem dumpfen Unbehagen erfüllten.
Er streifte seinen Mantel ab, warf ihn achtlos über einen Stuhl und durchquerte den Raum, der nur Lüftungsscharten in den Wänden hatte wie alle Kammern und Flure in dieser schwarzen Burg. Gwenderons Stimme drang hinter einer nur halb geschlossenen Tür hervor. Cavin klopfte, drückte die Tür auf, ohne eine Antwort abzuwarten, und bückte sich unter dem niedrigen Sturz hindurch, um sich nicht den Schädel anzuckschlagen. Gwenderon war nicht allein – auf der anderen Seite des niedrigen Tisches, vor dem er Platz genommen hatte, hockten Guarr und zwei weitere struppige Schatten, und zwischen ihnen, wie ein Zwerg zwischen Riesen, saß ein Mann, über dessen linkem Auge sich eine Klappe spannte. Cavin erinnerte sich nicht, ihn jemals zuvor gesehen zu haben, aber das besagte nichts; mit jedem Tag, der verging, wuchs die Zahl der Männer, die die schwarze Festung im Herzen des Waldes erreichten.