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Nach einer guten halben Stunde befahl ihr eine der drei Fraucken, aus dem Bottich zu steigen. Animah gehorchte, griff schwach nach dem Handtuch, das ihr hingehalten wurde, und ließ es dann zu, dass man sie trocknete und mit wohlriechenden Ölen einrieb. Als Letztes wurde sie in ein einfaches weißes Gewand gehüllt, das von einer fingerdicken Kordel um die Taille zusammengehalten wurde.

Dann brachten sie die beiden Krieger fort, die draußen vor dem Haus gewartet hatten.

3

Es war sehr still hier. Selbst er, der so alt war, dass er selbst nicht mehr zu sagen wusste, wie viele Jahre er gelebt, das Kommen und Gehen wie vieler Generationen er gesehen und das Entstehen und Verschwinden wie vieler großer und kleiner Reiche er beobachtet hatte, spürte den Atem der Zeit, wenn er diesen Ort betrat. Werden und Vergehen, Entstehen und Wachsen, der ständige Wechsel zwischen Altem und Neuem, die der Pulsschlag der Welt waren, waren hier außer Kraft gesetzt, bedeutungslos vor der stummen Majestät dieses Ortes. Selbst das Licht wirkte zeitlos, die Schatten wie aus Stein gemeißelt, Farben und Formen mit unauslöschlichen Strichen in die Oberfläche der Wirklichkeit gebrannt. Die Sonne, die durch die Lücken im Blätterdach dieses einen, ungeheuerlichen Baumes schien, war die gleiche, die vor einer Million Jahren die Dunkelheit der Nacht vertrieben hatte, der Boden, auf den er seinen Fuß setzte, unverändert seit der Zeit, da das Leben Einzug auf der Oberfläche dieser Welt gehalten hatte. Der Unterschied zwischen heute und morgen und gestern war nur noch ein Wort, ohne wirkliche Bedeutung. Und selbst er, dem – vielleicht mit Ausnahme Cavins – als einzigem Menschen das Becktreten dieses Ortes gestattet war, spürte die Fremdheit, den Atem des anderen, völlig Unverständlichen, der diesen heiligen Ort erfüllte und den seine Seele als Angst empfing. Er sollte nicht hier sein. Auch König Oro hatte es niemals gewagt, diesen letzten Schritt zu tun, das allerletzte Geheimnis der Megidckda zu ergründen und den Ort zu betreten, der ihr Herz war, und Cavin, sein Sohn und Erbe, hätte es nicht getan, hätte er gewusst, welcher Macht er sich wirklich damit auslieferte. Und doch, während er sich dem urgewaltigen schwarzen Stamm der Rieseneiche näherte, seinen Fuß auf schwarze Lava und zu Stein gewordenes Erdreich setzte, das schon alt gewesen war, als diese Welt entstand, während die Geräusche und das letzte Licht des Tages hinter ihm zurückblieben und er sich in die ewige Dämmerung begab, die unter der Krone des Waldkönigs herrschte, in diesem Moment, hin und her gerissen zwischen Unsicherheit und Angst, spürte er mit unerschütterlicher Geckwissheit, dass auch diese Grenze nicht die letzte war, das Tabu nur der Schutz für ein neuerliches, ungleich größeres Rätsel war. Die gigantische Schwarzeiche war die Herrscherin der Megidda, die Königin des Schwarzeichenwaldes und doch wie er selbst nur Hüterin eines weiteren, vielleicht entsetzlichen Geheimnisses.

Faroan blieb stehen, schloss für einen Moment die Augen und versuchte Ordnung in den Sturm von Gefühlen und durcheinander wirbelnden Bildern zu bringen, der hinter seiner Stirn tobte. Es gelang ihm nicht ganz. Wie jedes Mal, wenn er hierckher kam, begannen seine Gedanken eigene Wege zu gehen, auf Pfaden zu wandeln, die ihn erschreckten und die einer eigenen, ihm selbst unverständlichen Gesetzmäßigkeit gehorchten. Dieckser Ort war alt, unglaublich alt. Es gab Dinge hier, die er nicht verstand und vielleicht auch nicht verstehen sollte. Er machte ihm Angst. Und doch war es der einzige Ort auf der Welt, vielleicht im ganzen Kosmos, an dem er die Lösung für all die uncklösbaren Fragen und Geheimnisse finden konnte, die sein Leckben auf so fürchterliche Weise verändert hatten. Nichts von allem, was während des letzten Jahres geschehen war, war Zufall. So etwas wie Zufall gab es nicht in der Welt der Menschen, von der er noch immer ein Teil war.

Der alte Magier verscheuchte auch diesen Gedanken, straffte die schmalen Schultern und ging weiter, bis der versteinerte Erdboden unter seinen Füßen knorrigem, schon vor einer Million Generationen zu Stein gewordenem Wurzelwerk wich. Ein Hauch trockener Kälte streichelte sein Gesicht wie eine unsichtbare, eisige Hand, dann berührte die gleiche Hand etwas hinter seiner Stirn, und er hörte die Stimme:

Du hast lange gebraucht.

Es war kein Tadel in diesen Worten; kein Vorwurf. Trotzdem verteidigte er sich: »Es war schwer, das Nichts zu durchschreickten. Es wird immer schwerer. Mit jedem Mal.«

Ich weiß, antwortete die Stimme. Ich bin das Nichts. Ein Teil davon.

Faroan versuchte nicht, über den Sinn dieser Worte nachzuckdenken. Er war hier, weil der Baumkönig ihn gerufen hatte, das war alles, was zählte. Es stand ihm nicht zu, nach dem Warum zu fragen. Trotzdem fügte er hinzu: »Wann wirst du mir Ruhe gewähren?«

Bald, antwortete die Stimme. Ich weiß, wie viel ich von dir verlange, mein Freund, denn einst war ich dir ähnlicher, als du je begreifen wirst. Du sehnst dich nach Ruhe und Vergessen. Aber es ist das letzte Mal, dass ich dich rufe.

Faroan erschrak. »Dann … dann ist es so weit?«

Ja. Der Tag der Entscheidung steht bevor. Der Feind rüstet zum entscheidenden Gefecht.

»Lassar?«

Die Stimme antwortete nicht gleich. Und als sie es schließlich tat, war irgendetwas in ihrem lautlosen Klang anders als sonst. Sie klang … besorgt?, dachte Faroan erschrocken.

Nicht Lassar, mein Freund. Auch er ist letztlich nur ein Werkzeug, nicht anders als du und selbst ich. Aber für dich und die, über die du wachen sollst, mag es genügen, den Feind in Lassar zu sehen. Ja. Es ist Lassar. Er ist zurückgekehrt. Und er hat die Schattenkrieger mit sich gebracht.

»Die Schattenkrieger!« Faroan wurde blass vor Schrecken. »Die –«

Die Dreizehn der Vernichtung, ja, bestätigte die Stimme.

»Dann … dann muss ich Cavin warnen!«, sagte Faroan erregt. »Er weiß nicht, was –«

Nein!, unterbrach ihn die Stimme. Du kennst die Regeln, Faroan. Du und ich gegen Lassar und Die Dreizehn. Niemand sonst.

»Regeln!« Faroan hob erregt die Hände. »Dieser Junge hat nicht die geringste Ahnung –«

Du vergisst, wie viel Zeit für die vergangen ist, die deine Freunde waren, seit du sie verlassen hast, Freund, unterbrach ihn die Stimme sanft. Aus dem Kind ist ein Mann geworden. Von allen, die jemals auf dem Thron Hochwaldens saßen, ist Cavin der, der der Aufgabe am ehesten gewachsen ist. Es ist kein Zufall, dass es jetzt geschieht.

»Er weiß ja nicht einmal, welchem Feind er gegenübersteht!«, begehrte Faroan auf. Ein wenig wunderte er sich selbst, woher er den Mut nahm, noch immer zu widersprechen. Aber die Worte, die er gehört hatte, hatten ihn vollends aus dem Konzept gebracht. Er hatte geahnt – gewusst –, dass dieser Tag kommen würde, aber wie für so vieles, was in der Zukunft lag, war die Vorstellung abstrakt für ihn geblieben, und ganz gleich wie lange er darüber nachgedacht, wie viele Jahre seines Leckbens er damit verbracht hatte, sich darauf vorzubereiten, es war doch stets etwas geblieben, das irgendwann einmal sein würde. Nicht morgen, nicht zu irgendeinem greifbaren Zeitpunkt, sondern verborgen hinter den Schleiern des Kommenden. Jetzt war es Wahrheit geworden. Und trotzdem wusste er im gleichen Augenblick, in dem er die Worte sprach, dass alles so kommen würde, wie es vorausbestimmt war.