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»Er wird sterben«, murmelte er.

Vielleicht, antwortete das lautlose Wispern hinter seiner Stirn. Doch die Wege der Zukunft sind offen, Faroan. Es liegt in unserer Macht, sie zu beeinflussen. Und es mag Schlimmeres geben als den Tod.

»Aber –«

Ich verstehe deinen Schmerz, Freund, unterbrach ihn das lautlose Wispern. Und doch muss es kommen, wie es vorausbestimmt ist. Das Schicksal der Welt liegt nicht in deinen Händen und nicht in meinen, sondern einzig in denen Cavins.

»Eines Kindes!«, begehrte Faroan auf.

Eines Kindes, das den Mut hat, Dinge zu tun, vor denen selbst Männer zurückschrecken, antwortete die Stimme. Sieh.

Faroan drehte sich gehorsam herum. Im letzten, grau werdenden Licht des Tages erblickte er eine schmale Gestalt in einem wuchtigen Pelzmantel, der die Schultern zu erdrücken schien, die er wärmen sollte. Mit gemessenen, sehr langsamen Schritten, aber auch – wie Faroan fast überrascht feststellte – ohne auch nur einmal zu stocken überquerte sie den mit Trümmern übersäten Hof der Zyklopenfestung und näherte sich der gemauerten Einfriedung des Hügels, blieb schließlich doch einen Moment stehen und wandte sich nach rechts, der Treppe zu, die auf den künstlich aufgeschichteten Hügel hinckaufführte. Vor der riesigen Mauer, die unter dem Baumgiganten selbst winzig wirkte, sah sie verloren und klein aus. Schon die Schatten, die dieses schwarze Monstrum warf, mussten sie erschlagen.

»Cavin?«, sagte er überrascht. »Er kommt hierher?«

Es ist nicht das erste Mal, Freund, wisperte die Stimme. Er war oft hier, seit du ihn herbrachtest. Immer, wenn er Rat suchte. Er spürt, was geschehen wird. Er weiß es nicht, aber er spürt es. Er sucht dich.

»Mich?«, sagte Faroan verwirrt.

Die Wahrheit. Er glaubt, nur dich zu suchen, aber er sucht die Wahrheit. Er ist ratlos. Diesmal wird er Antworten bekommen.

Faroan erschrak, als ihm die wahre Bedeutung der lautlosen Worte bewusst war. »Aber was soll ich ihm sagen? Wir … wir müssen ihn warnen!«, murmelte er. Obwohl er leise sprach, waren seine Worte fast wie ein Schrei; voller Verzweiflung, aber auch erfüllt von dem Wissen, dass seine Bitte abgeschlagen werden musste.

Nein, antwortete die Stimme. Du weißt, dass das unmöglich ist, mein Freund. Es steht zu viel auf dem Spiel.

»Er … er wird ihn vernichten«, stammelte Faroan. »Er weiß ja nicht einmal, gegen wen er kämpft!«

Vielleicht, sagte das lautlose Wispern in ihm. Doch ich glaube, dass er der Aufgabe gewachsen sein wird. Er ist stark.

»Stark!« Faroan ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. »Was nutzen Stärke und Kraft gegen Lassars Verschlagenheit! Lass mich ihn wenigstens warnen!«

Nein, beharrte die Stimme. Du hast schon mehr getan, als du durftest, als du ihnen erlaubtest hierher zu kommen. Er hätte den Weg alleine finden müssen.

»Das … das war nicht meine Idee«, verteidigte sich Faroan. Aber die Stimme lachte nur. Du solltest nicht versuchen mich zu belügen, mein Freund, sagte sie sanft. Zumal es nicht nötig ist. Du weißt es nicht, aber hättest nicht du Karelian den Gedanken eingegeben, diesen letzten Zufluchtsort zu wählen, so hätte Lassar es getan.

»Lassar?«, wiederholte Faroan verstört. »Ich … ich verstehe nicht …«

Warte ab, mein Freund, sagte die Stimme. Du wirst verstehen. Bald. Sehr bald schon. Und nun geh. Cavin wartet auf dich.

»Aber was soll ich ihm sagen?«, stöhnte Faroan.

Du weißt es. Ich habe dich gerufen, damit du ihm die Antworten gibst, die er hören will. Die sein müssen. Du kennst seine Frage und du kennst die Antworten.

Oh ja, er wusste es. Und er wusste auch, dass er Cavin damit vielleicht umbringen würde. Aber er wusste auch, dass es sinncklos war, noch einmal widersprechen zu wollen. Zögernd wandckte er sich um, ging den Weg zurück, den er gekommen war, und blieb abermals stehen.

Es dauerte lange, bis Cavin kam, und als er am Fuße der Rieckseneiche erschien, waren seine Schritte langsam und schlepckpend, als kämpfe er gegen einen unsichtbaren Widerstand an, der ihn zurückhalten wollte. Gegen seinen Willen musste Farockan den jungen König bewundern. Niemand, nicht einer der zahllosen Behüter des Schwarzeichenwaldes, die vor ihm die Megidda betreten hatten, hatte den Mut gehabt, auch diesen letzten Schritt zu tun. Cavin wusste es nicht, aber er war einem Gott nahe. Sehr nahe.

Lautlos näherte sich Faroan der schmalen Gestalt Cavins und blieb erst stehen, als dieser den Kopf wandte und ihn anblickte. In seinen Augen war keine Überraschung, kein Schrecken, nur eine tiefe, unendlich tiefe Erleichterung. Sein Blick bohrte sich wie ein glühendes Messer in Faroans Seele.

»Du bist also gekommen«, murmelte Cavin schließlich. »Ich hoffte, dass ich dich hier finde, Freund.«

»Du solltest nicht hier sein«, erwiderte Faroan. »Niemand sollte das.« Einen Moment lauschte er auf Widerspruch, aber die lautlose Stimme in seinen Gedanken schwieg. Faroan war nicht zu weit gegangen mit seiner Warnung. Aber weit genug.

»Ich brauche deinen Rat, Faroan«, sagte Cavin. »Ich brauche ihn nötiger, als ich jemals etwas gebraucht habe. Lassars Trupckpen –«

»Ich weiß«, unterbrach ihn Faroan. »Ich weiß, was geschieht, und ich weiß, welche Frage du stellen willst. Ich darf sie dir nicht beantworten. Noch nicht.«

Cavin war enttäuscht und er machte keinen Versuch, seine Enttäuschung zu verbergen. »Dann kannst du mir nicht helfen?«

»Helfen?« Faroan lächelte. »Die Entscheidung, die du fällen musst, kann dir niemand abnehmen, Cavin. Nur du allein kannst sie treffen. Aber es wird die richtige sein. Höre auf die Stimme deines Blutes und sie wird die richtige sein. Mehr kann und darf ich dir nicht sagen.«

»Wenn ich tue, was du sagst, dann müssen wir kämpfen«, sagte Cavin traurig. »Lassar wird nicht davon ablassen, den Wald erobern zu wollen. Er hat gar keine andere Wahl mehr.« Er schwieg einen Moment. »Dieser heilige Ort wird in einem Ozean von Blut versinken, wenn seine Krieger den Wald betreckten, Faroan. Ist es wirklich das, was du willst? Was –«, er hob die Hand und deutete auf den Baum hinter Faroan, »– er will?«

Faroan erschrak. Was wusste Cavin von ihm? Dann begriff er, dass er nichts wusste, dass es nur eine theatralische Geste war, zu der ihn seine Jugend verleitete. Er lächelte.

»Alles wird kommen, wie es kommen muss«, antwortete er. »Die Entscheidung liegt bei dir.«

»Dann wird das Töten weitergehen«, murmelte Cavin niedergeschlagen.

»Der Tod ist nicht alles«, erwiderte Faroan. Seine Stimme klang traurig. »Manchmal muss das Alte weichen, um dem Neuen Platz zu machen. Und das ist alles, was ich dir sagen kann.«

Cavin sagte nichts mehr, aber seine Hand senkte sich auf den Griff des Schwertes herab, der aus seinem Gürtel ragte, und sein Blick war voller Trauer. Trauer und Angst, wenngleich es eine Angst vor etwas war, das er noch gar nicht kannte. Faroan spürte eine heiße, schmerzende Welle von Mitleid in sich aufsteigen, was er diesem Jungen genommen hatte und was er ihm noch würde nehmen müssen. Aber er schwieg weiter. Und als er sich nach einer Weile herumdrehte und mit langsamen, gemessenen Schritten in die Richtung zurückging, aus der er gekommen war, und schließlich aus dem Reich des Schweigens und Alters wieder zurück in die Illusion trat, die die anderen Wirklichkeit nannten, war es nicht nur der Regen, der seine Wangen benetzte.