»Jetzt!«, schrie Gwenderon.
Gleichzeitig ließ er seinen ersten Pfeil fliegen. Das Geschoss jagte, eine sprühende Spur aus Funken hinter sich herziehend, auf das zuvorderst stehende Floß zu, bohrte sich handtief in das Holz und setzte den frischen Teer in Brand, mit dem die Lücken zwischen den Stämmen gefüllt waren. Nahezu im selben Augenblick schossen auch die anderen. Ein Dutzend winziger glühender Kometen schien aus dem Ufergestrüpp zu brechen und sich auf die Flotte von hilflos daliegenden Flößen herabzucksenken. Nicht alle trafen ihr Ziel und nicht alle Ziele, die getroffen wurden, fingen tatsächlich Feuer. Aber als Cavin seinen zweiten Pfeil auf die Sehne legte, leckten die Flammen bereits an drei nebeneinander liegenden Flößen, und eines davon brannte bereits so lichterloh, dass es nicht mehr zu retten war. Der Anblick ihres so überraschenden Erfolges fegte Cavins Furcht davon und verwandelte sie in Kampfeslust. Hastig legte er einen zweiten Pfeil auf die Sehne, setzte ihn in Brand und schoss ohne lange zu zielen.
Zu einer dritten Salve kamen sie nicht mehr. Plötzlich war das Unterholz rings um sie herum voller Bewegung; Schatten und blitzendes Metall brachen wie eine Woge über sie herein und das Peitschen der Bogensehnen ging in den wütenden Schreien der Angreifer unter. Ein brennender Pfeil jagte eine Handbreit an Cavins Gesicht vorbei und traf einen der Krieger, ein zweiter erhob sich ziellos in die Luft und fiel torkelnd auf das Eis herab, weit entfernt von jeglichem Ziel. Cavin ließ seicknen Bogen fallen, riss stattdessen das Schwert aus dem Gürtel und fing im letzten Moment einen Keulenschlag ab, verlor aber durch den Hieb das Gleichgewicht, stürzte hintenüber und schlitterte hilflos ein Stück weit auf den Fluss hinaus, ehe er wieder auf die Füße kam. So schnell es auf dem spiegelglatten Eis überhaupt möglich war, hastete er zum Ufer zurück.
Er sah jetzt, dass die Angreifer weniger zahlreich waren, als es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte – acht, vielleicht zehn von Lassars Kriegern, die durch einen bösen Zufall in ihrer unmittelbaren Nähe gewesen sein mussten, als sie zu schießen begannen. Noch bevor er das Ufer erreichte und wieckder in den Kampf eingreifen konnte, war die Hälfte von ihnen besiegt, tot oder kampfunfähig, und die anderen wurden zurückgedrängt, jetzt, da der Vorteil der Überraschung nicht mehr auf ihrer Seite war. Und trotzdem mochte dieser kleine Trupp reichen, ihren Plan zum Scheitern zu verurteilen, denn aus dem Hauptlager, keine hundert Schritte weiter flussabwärts, erschollen jetzt wütende Rufe, und mit einem Male erzitterte das Eis unter dem Dröhnen eisenbeschlagener Hufe.
Cavin war mit einem Satz neben Gwenderon, der mit einem hünenhaften Krieger rang, schlug dem Mann den Schwertknauf in den Nacken und deutete auf den Fluss hinab. »Noch eine Salve!«, keuchte er. »Und dann nichts wie weg!« Noch während Gwenderon seinen Bogen aufhob, hetzte er weiter, rannte einen weiteren Angreifer durch sein pures Ungestüm über den Haufen und vertrieb den letzten von Lassars Kriegern mit einem wütenden, beidhändig geführten Hieb, der ihm das Schwert aus den Fingern prellte. Mit einem raschen Blick überzeugte er sich davon, dass keiner ihrer Männer ernsthaft verwundet war, hob seinen eigenen Bogen auf und feuerte einen letzten brennenden Pfeil auf die Flöße. Im grellroten Licht der Flammen sah er Reiter auf das Ufer zusprengen, und nicht sehr weit von ihnen entfernt schien das Unterholz lebendig geworden zu sein, wo sich ein weiterer Trupp von Lassars Kriegern näherte.
»Zurück!«, schrie Cavin. »Zu den Pferden!«
Sein Befehl wäre kaum mehr nötig gewesen. Die Männer hatten die näher kommenden Krieger bemerkt und begannen sich hastig zurückzuziehen; die letzte Salve brennender Pfeile galt nicht mehr den Flößen, sondern den Reitern, die zwischen diesen heransprengten. Nur zwei Geschosse trafen ihr Ziel und rissen die Männer in vollem Galopp aus den Sätteln, aber selbst wenn es zehnmal so viele gewesen wären, hätte das kaum einen Unterschied gemacht. Es war eine Woge aus Stahl, die da über den Fluss heranbrandete, hundert oder mehr Reiter, durch die sie einfach niedergewalzt wurden.
Cavin schleuderte seinen Bogen davon, fuhr herum und lief zum Wald hoch, so schnell er konnte. Sein Fuß verfing sich; er fiel, kam blitzschnell wieder auf die Füße. Der Boden unter seinen Füßen zitterte, als die ersten Reiter das Ufer erreichten und ihre Tiere rücksichtslos die flache Böschung hinaufdrängckten.
Cavin erreichte den Waldrand und blieb in einem Busch hängen, dessen Dornen wie kleine Nadeln durch seinen Pelz drangen. Verzweifelt schlug er mit dem Schwert zu, um sich Luft zu verschaffen, rannte im Zickzack zwischen den dicht stehenden Bäumen hindurch und beschleunigte sein Tempo noch, als er das Stampfen eisenbeschlagener Hufe hinter sich hörte. Ein Speer verfehlte ihn um Haaresbreite und fuhr mit einem saugenden Geräusch in den Boden, er sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln, ließ sich blitzschnell zur Seite fallen und hörte einen wütenden Schrei, als die Klinge, die seinen Schädel hätte treffen sollen, gegen einen Baum prallte und abbrach. Er drehte sich auf den Rücken, packte sein Schwert mit beiden Händen und stieß die Klinge nach oben ohne zu zielen. Sie traf. Das Pferd, das ihn hätte niedertrampeln sollen, bäumte sich auf, machte einen ungelenken Schritt zurück und brach wie vom Blitz getroffen zusammen, seinen Reiter unter sich begrabend.
Aber die Gefahr war keineswegs vorüber. Hier im Wald waren sie den schwerfälligen Reitern an Schnelligkeit überlegen und die Dunkelheit schützte sie zusätzlich, aber es waren viele, unglaublich viele. Cavin wurde erneut angegriffen, kaum dass er wieder auf die Füße gekommen war, wehrte ungeschickt einen Schwerthieb ab und prallte rücklings gegen einen Baum, als ihn ein Schildstoß traf. Seine linke Seite war plötzlich gelähmt. Eine Klinge hackte nach seinem Gesicht, verfehlte es nur knapp und riss eine schmerzhafte Wunde in seinen Oberckarm. Blindlings schlug er zurück, spürte, wie sein Schwert auf eisenharten Widerstand traf und ihm aus der Hand geprellt wurde, und warf sich blindlings zur Seite. Eine Speerspitze krachte in den Baum, dort, wo er gerade noch gestanden hatte, eine zweite traf zwischen seinem Arm und seinem Leib hindurch und schrammte schmerzhaft an seinen Rippen entlang. Cavin griff nach dem Schwert, erhob sich mit einem wütenden Ruck und schlug blindlings um sich.
Es war aussichtslos. Mit zwei, vielleicht auch drei Angreifern wäre er fertig geworden, denn ihre gewaltigen Schlachtrosse stellten hier im Wald wohl eher eine Behinderung für die Männer dar, aber mit einem Male sah er sich von mehr als einem Dutzend riesiger, dräuender Schatten umgeben. Ein Keulenhieb traf seinen Arm und lähmte ihn vollends, dann erhielt er einen Schildstoß in den Rücken, torkelte haltlos nach vorne und sah einen gewaltigen Stiefel auf sein Gesicht zurasen.