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Ein blasses, grünblaues Licht empfing ihn. Für einen Mockment machte sich noch einmal Angst in ihm breit, eine nackte, kreatürliche Angst, die verdächtig nahe an Panik grenzte. Er verscheuchte sie aber vollends, ging schneller und stand nach wenigen Schritten in einer niedrigen, kuppelförmig gewölbten Höhle, die leer war bis auf einen sargähnlichen Altar aus schwarzem Fels.

»Faroan«, murmelte er. »Wo immer du bist – verzeih mir.«

Die Wände schienen seine Worte zu verschlucken. Es gab kein Echo, keinen Laut, nur eine Stille, die so absolut war, dass sie alles überstieg, was er jemals erlebt hatte. Etwas in dem grünblauen Schein, der aus dem Nichts kam und die Höhle erhellte, schien sich zu ändern. War da nicht eine Bewegung?, dachte er nervös. Änderte sich nicht irgendetwas in dem Spiel von Licht und Schatten?

Diesmal kostete es ihn seine gesamte Überwindung, seine Furcht noch einmal zurückzudrängen und ganz an den offenen Sarg heranzutreten.

Er war leer. Eine fingerdicke Staubschicht bedeckte seinen Boden, und wenn er genau hinsah, dann glaubte er noch die Umrisse des menschlichen Körpers zu erkennen, der einst darin gelegen hatte. Natürlich war das Einbildung. Aber mit jeder Minute, die Gwenderon länger in dieser Höhle war, war er weckniger sicher, wo die Grenzen der Wirklichkeit endeten und die Illusion begann.

Nervös fuhr er sich mit dem Handrücken über Kinn und Lipckpen, beugte sich vor und streckte die Finger nach dem mannsckhohen, knorrigen Stab aus, der unter der flockigen Decke aus Staub lag. Seine Hand begann zu zittern und noch einmal zögerte er, von der plötzlichen, absurden Angst erfüllt, dass irgendetwas unsagbar Schreckliches geschehen würde, würde er den letzten Schritt tun und den Frieden dieses Ortes endgültig brechen.

Hieß es nicht, dass die Götter die bestraften, die es wagten, die Toten zu bestehlen?

Aber dann griff er entschlossen zu. Die Welt stürzte nicht ein, und keine Geisterhände kamen aus dem Nichts, um ihm das Herz aus dem Leibe zu reißen; alles, was er fühlte, waren staubverkrustetes Holz und Kälte.

Wenig später band er sein Pferd los und ritt zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. An seinem Sattel hing ein fast mannslanger Stab aus versteinertem Holz, sorgsam in gegerbte Lederstreifen eingewickelt, die er eigens zu diesem Zweck mitgebracht hatte, und so befestigt, dass er ihn beim Reiten nicht behinderte, er ihn aber jederzeit ergreifen konnte. Er fühlte sich wie ein Dieb. Ein Dieb und ein Verräter. Aber er hatte keine Wahl gehabt.

Gwenderon war so in seine düsteren Gedanken versunken, dass ihm die Stille im ersten Moment nicht einmal auffiel. Der frisch gefallene Schnee, der nun, mit einiger Verspätung, auch auf den Waldboden gerieselt war, dämpfte ohnehin jeden Laut, sodass alles, was er hörte, die schnaubenden Atemzüge seines Pferdes und das gelegentliche Brechen eines Zweiges waren. Aber schließlich schien es ihm beinahe zu still.

Gwenderon verhielt sein Pferd, sah sich aus misstrauisch zusammengepressten Augen um und lauschte. Er hörte noch immer nichts, aber nach einer Weile glaubte er etwas zu sehen: einen großen, verschwommenen Umriss, der sich immer geschickt in den Schatten hielt und stets zu verschwinden schien, gerade wenn er glaubte ihn endgültig ausgemacht zu haben. Seine Hand kroch zum Schwert.

»Lass die Waffe stecken, Gwenderon. Ich bin nicht dein Feind.« Unterholz knackte, ein wenig Schnee rieselte aus einem Baum, als sich seine Äste bewegten, dann trat ein übermannshoher, schwarzgrauer Koloss aus dem Gebüsch. »Wäre ich es, wärst du längst tot, Mensch«, fügte der Raett in beinahe amüsiertem Tonfall hinzu.

Gwenderon atmete auf, blickte den Raett jedoch weiter mit kaum gemindertem Misstrauen an. »Was willst du?«, fragte er.

»Wer bist du?«

»Mein Name ist Gesset«, antwortete der Riesennager pfeifend. »Wenigstens ist es das, was ihr Menschen aus ihm macht, wenn ihr ihn aussprecht. Das da sind meine Brüder.« Eine krallenbewehrte Hand deutete auf eine Stelle hinter Gwenderon, und als er sich im Sattel herumdrehte, bemerkte er sieben oder acht weitere rattengesichtige Gestalten, die wie aus dem Nichts zwischen dem verschneiten Unterholz aufgetaucht waren. Gesset hatte Recht, dachte er mit einer Mischung aus Zufriedenheit und Unbehagen: Hätte er ihn für seinen Feind gehalten, wäre er jetzt schon tot.

»Ich … kenne dich«, sagte er zögernd. Es war schwer, die Raetts zu unterscheiden, denn für Menschenaugen sahen sie fast alle gleich aus; trotzdem kam ihm Gesset vage bekannt vor. Er war sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben.

»Meine Brüder und ich waren bei euch, als ihr die Flöße angegriffen habt«, bestätigte Gesset. »Du hast ein gutes Gedächtcknis, Mensch.«

»Schickt dich Cavin?«, fragte Gwenderon zornig. »Hat er dir aufgetragen mich zurückzubringen, oder sollst du nur auf mich Acht geben, damit ich keine Dummheiten mache?«

»Weder das eine noch das andere, Mensch«, antwortete Gesset ungerührt. Es war nicht zu erkennen, ob er den beleidigenden Ton überhaupt registriert hatte. »Guarr bat uns, dir zu folgen und ein wenig auf dich zu achten, das ist richtig. Aber nur, weil meine Brüder und ich uns ohnehin entschlossen hatten unserer eigenen Wege zu gehen.«

Gwenderon blieb misstrauisch. Absurderweise war es gerade die scheinbare Offenheit des Raett, die ihn störte. »Was soll das heißen?«, fragte er. »Gehört ihr zu Guarr oder nicht?«

»Niemand gehört jemandem«, antwortete Gesset mit einem dünnen, schrillen Raett-Lachen. »Wir sind für König Cavin und gegen Lassar, aber niemand sagt uns, was wir zu tun oder zu lassen haben.«

»Gegen Lassar?« Gwenderon zog eine Grimasse. »Dann wäre es besser für euch, ihr würdet euch Cavin anschließen. In der Megidda seit ihr wenigstens sicher.« Er wollte weiterreiten, aber Gesset vertrat ihm rasch den Weg und ergriff das Zaumzeug seines Pferdes.

»Wir gehen nicht dorthin«, sagte er bestimmt. »Es ist ein schlechter Platz. Gehst du zurück?«

Gwenderon überlegte einen Moment. Wenn er ehrlich war, hatte er bisher nicht darüber nachgedacht, wohin er gehen würde. Auf jeden Fall nicht zurück zu Cavin. Nicht jetzt.

»Nein«, sagte er.

»Dann bleib bei uns«, sagte Gesset. »Unser Lager ist am Fluss, nicht weit von Lassars Heer entfernt. Zwei zusammen sind stärker als zwei allein.«

Gwenderon starrte den Raett unschlüssig an, drehte sich im Sattel herum und blickte der Reihe nach in das halbe Dutzend anderer Rattengesichter, das ihn anstarrte. War es wirklich ein Zufall, dass ihn die Raetts ausweglos einschlossen? »Ich verckstehe«, murmelte er. »Und wenn nicht, seht ihr euch leider gezwungen mich gewaltsam mitzunehmen, wie? Natürlich nur zu meinem eigenen Schutz.«

Es war das erste Mal, dass er einen Raett grinsen sah.

»Vielleicht«, antwortete Gesset. »Doch warum sollen wir streiten? Deine und unsere Ziele sind dieselben.«

»So?«, fragte Gwenderon zornig.

»Auch wir sind dagegen, das Heer durch den Wald ziehen zu lassen«, erklärte Gesset. »Es gibt viele wie uns.«

»Dann kommt mit mir und kämpft!«

»Aber es gibt noch mehr, die denken wie Guarr«, fuhr der Raett fort, ohne mit mehr als einem flüchtigen Lächeln auf Gwenderons ungestüme Worte zu reagieren. »Wählen wir den Kampf, so wird auch ihr Blut fließen. Welches Recht haben wir, über ihr Leben zu entscheiden, Mensch? Guarr bat uns, Lassars Heer im Auge zu behalten. Plant er Betrug, so werden wir es merken. Komm mit uns, und du bist frei, solange du nicht versuchst den Waffenstillstand zu brechen.«

Einen Moment lang war Gwenderon ernsthaft versucht, den Raett schlichtweg über den Haufen zu reiten. Aber nur einen Moment. Dann lächelte er resigniert, schlug dem Raett freundckschaftlich auf die Schulter und schwang sich mit einer müden Bewegung aus dem Sattel. Welchen Unterschied machte es schon, ob die Raetts nun offen oder unsichtbar in seiner Nähe waren? Er war ein Narr gewesen sich ernsthaft einzubilden, Guarrs zahllosen Ohren und Augen entgehen zu können. Wenn er floh, erreichte er damit nicht mehr als sich lächerlich zu machen. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, war er sehr froh, nicht mehr allein zu sein.