Выбрать главу

»Wo sind sie? Wie sind sie gestorben?«

»Wir bringen dich zu ihnen, dann kannst du selbst sehen.«

Detective Mesic öffnete die Schlafzimmertür. »Hier ist es ziemlich dunkel«, sagte er. »Moment mal, ich mach schnell die Jalousien hoch.«

Er zog an der Schnur und sofort drangen helle Sonnenstrahlen durch die Scheibe. Mesic machte den Schrank auf und wieder zu, zog geräuschvoll die Wäscheschubladen auf und zu. »Hier ist nichts, Sir.« Ralph sah Bonnie stumm und entgeistert an. Dan schob sie zur Haustür.

Duke und Ray tauchen auf

Auf der Südostseite der Riverside-Deponie inmitten eines stinkenden Müllgebirgszuges trafen sie auf vier Streifenwagen, zwei Fahrzeuge der Gerichtsmedizin und einen Krankenwagen. Sie standen fein säuberlich in einer Reihe nebeneinander wie zur Besichtigung auf einem Schulfest. Dan hielt neben dem ersten Streifenwagen.

»Hier?«, fragte Bonnie.

»Wir haben sie hier gefunden, weil wir hier nach ihnen gesucht haben. Wir wussten sogar, wo genau auf der Deponie sie höchstwahrscheinlich liegen würden.«

Er öffnete ihr die Tür und gemeinsam schritten sie über zerquetschte Cornflakes-Packungen, aufgerissene Windeln und fauliges Gemüse. Ein brennender Gestank stieg von der nahen Müllverbrennungsanlage auf und verdichtete den ohnehin kaum zu ertragenden mittäglichen Smog. Detective Mesic hustete.

Keiner sprach. Es gab nichts zu sagen. Dan führte Bonnie durch die Reihe von Polizisten, Fotografen und Gerichtsmedizinern, die um eine bestimmte Stelle herumstanden. Und da lagen sie einträchtig nebeneinander: Duke und Ray. So wie man einst im Wilden Westen erlegte Revolverhelden in offenen Särgen für Schaulustige ausstellte.

Nur dass Duke und Ray nicht in Särgen lagen. Sie lagen in aufgeschlitzten, blutgetränkten Matratzen. In den Matratzen, auf denen David Hinsey und Maria Carranza gestorben waren. Duke und Ray waren nackt und aufgedunsen und von Maden übersät. Beiden war die Brust geöffnet worden. Duke war entmannt worden. Zwischen seinen Beinen hing eine Traube fetter, grünlich glänzender Schmeißfliegen.

Bonnie stand da und starrte lange Zeit auf ihre Familie hinab. Dan hatte die Arme gefaltet und wartete geduldig.

»Du hast mir damals erzählt, du hättest erst die Matratzen auf die Deponie gebracht und wärst dann nach Hause gefahren«, sagte er schließlich. »Aber weil du dir über den gesamten Tagesablauf so unsicher warst, hab ich das noch mal überprüft. Demnach hast du die Matratzen erst um vier Uhr siebenundvierzig hier abgeliefert, kurz bevor die Deponie zumachte. Um drei Uhr zwei hast du Esmeralda angerufen. Zu diesem Zeitpunkt waren Ray und Duke wahrscheinlich schon tot. Du musstest nur noch die Matratzen aufschlitzen, ihre Körper hineinlegen, die Matratzen wieder notdürftig zunähen und sie hier wegwerfen. Wir hatten Glück, dass noch kein Bulldozer sie für immer begraben hatte.«

Bonnie betrachtete Dukes deformiertes, geschwollenes Gesicht, dann sah sie auf Ray, aber die beiden sahen nicht einmal mehr aus wie ihr Mann und ihr Sohn. »Es war Itzpapalotl«, sagte sie leise. »Ich habe sie um Hilfe gebeten, wollte von ihr einen Ausweg wissen. Sie kam und hat mich frei gemacht – frei wie ein Schmetterling.«

Auf dem Anrufbeantworter

»Bonnie? Hier ist Howard Jacobson. Du hast mir vor einiger Zeit diese Raupe gebracht, erinnerst du dich? Parnassius mnemonsyne, der Apollofalter. Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren, dass ich herausgefunden habe, woher die Falter kommen. Offenbar waren die Larven in einer größeren Lieferung grünem Kohl aus Mexiko. Durch El Niño und das ungewöhnlich warme Wetter konnten sie sich sprunghaft vermehren. Jedenfalls werden die Falter sogar aus Santa Barbara und Bakersfield gemeldet. Tja, leider ist das alles wenig dämonisch – und ob der grüne Kohl mit den Toten zu tun hat? Man kann halt nicht alles haben, was? Lass dich mal wieder blicken.«

Nacht

In dieser Nacht wurde Bonnie in ihrer Zelle von einem Rascheln geweckt. Stöhnend drehte sie sich auf die andere Seite. Da hörte sie es wieder. Sie öffnete die Augen und setzte sich auf.

Die Gestalt in der finstersten Ecke der Zelle hatte ein ausdrucksloses schneeweißes Gesicht und Flügel mit metallisch glänzenden Spitzen. Ein leises Wispern ging von ihr aus. Als sie sich näherte, kratzte etwas über den Betonboden, so als hätte sie Klauen.

»Itzpapalotl«, flüsterte Bonnie.

Die Gestalt beugte sich über sie und breitete die Flügel aus. Bonnie sah die Augen und die schwarze, messerscharfe Zunge.

»Nimm mich mit dir«, flehte Bonnie, »bitte, nimm mich mit.«

Frei

Natürlich hatten sie sie durchsucht, aber sie hatten nicht daran gedacht, dass sie eine Expertin war auf dem Gebiet der unendlichen Möglichkeiten, sich selbst umzubringen. Sie fanden Bonnie Winter, als sie um sechs Uhr drei die Zellentür öffneten. Sie lag auf dem Rücken und starrte geradeso an die Decke, wie sie am Morgen, als Duke und Ray verschwunden waren, an die Decke gestarrt hatte. Auf dem Zellenboden war eine Blutlache. Sie wurde stetig größer. Bonnie Winter war tot.

Sie hatte einen Knopf der Matratze abgerissen und mit dem Finger das Loch so weit vergrößert, dass sie eine Feder herausziehen konnte. Mit dem scharfen Ende der Feder hatte sie sich die Pulsadern an beiden Handgelenken geöffnet.

Um elf Uhr siebzehn kam Dan Munoz in die Zelle. Lange blieb er an der Tür stehen und fragte sich, was sie so weit getrieben haben mochte.

Die beiden Falter mit den fast durchsichtigen Flügeln, die am Fenstergitter saßen, sah er nicht. Nachdem Dan gegangen war, erhoben sie sich in die Luft, flogen durch die offene Tür, den Gang hinunter an den Wachen vorbei nach draußen ins Licht der Morgensonne, in die Freiheit.