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4

Eigentlich hatte Stackhouse vorgehabt, die beiden Extraktionsteams auf dem Flug mit der Challenger zu begleiten, aber Mrs. Sigsby entschied, das selbst zu erledigen. Das stand ihr zu, weil sie die Chefin war. Dennoch war der entsetzte Gesichtsausdruck, mit dem Stackhouse auf diese Idee reagierte, geradezu beleidigend.

»Sparen Sie sich den skeptischen Blick«, sagte sie. »Was meinen Sie wohl, wessen Kopf rollt, wenn das in die Hose geht?«

»Der Kopf von uns beiden und noch ein paar mehr.«

»Ja, aber wessen Kopf wird zuerst drankommen und am weitesten rollen?«

»Julia, das Ganze ist ein Außeneinsatz, und an so was haben Sie noch nie teilgenommen.«

»Ich habe Team Ruby Red und Team Opal dabei, also vier gute Männer und drei toughe Frauen. Außerdem haben wir Tony Fizzale, der früher bei den Marines war, Dr. Evans und Winona Briggs. Die war bei der Army und kennt sich mit der Planung solcher Sachen aus. Sobald der eigentliche Einsatz beginnt, wird Denny Williams die Leitung übernehmen, aber ich habe vor, dabei zu sein und will meinen Bericht aus erster Hand schreiben.« Sie machte eine Pause. »Falls ein Bericht notwendig ist, und ich habe allmählich den Eindruck, dass wir den nicht vermeiden können.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Halb eins. »Keine weiteren Diskussionen. Wir müssen jetzt in Aktion treten. Sie sehen hier nach dem Rechten, und wenn alles gut läuft, bin ich heute Nacht um zwei wieder da.«

Er begleitete sie zur Tür und dann den ungepflasterten, mit einem Tor gesicherten Weg entlang, der zu der zweispurigen Asphaltstraße drei Meilen weiter östlich führte. Es war ein heißer Tag. In dem dichten Wald, durch den sich der verfluchte Junge irgendwie hindurchgekämpft hatte, zirpten die Grillen. Vor dem Tor wartete mit laufendem Motor ein Van vom Typ Ford Windstar mit Robin Lecks am Steuer. Hinter ihr saß Michelle Robertson. Beide Frauen trugen Jeans und ein schwarzes T-Shirt.

»Von hier nach Presque Isle sind es neunzig Minuten«, sagte Mrs. Sigsby. »Von Presque Isle nach Erie in Pennsylvania weitere siebzig Minuten. Dort holen wir Team Opal ab. Von Erie nach Alcolu in South Carolina sind es in etwa zwei Stunden. Wenn alles gut geht, sind wir heute Abend um sieben in DuPray.«

»Bitte melden Sie sich regelmäßig, und denken Sie dran, dass Williams die Führung übernimmt, sobald es richtig losgeht. Nicht Sie.«

»Tue ich.«

»Julia, ich halte das wirklich für einen Fehler. Ich sollte dabei sein, nicht Sie.«

Mrs. Sigsby sah ihm in die Augen. »Wenn Sie das noch einmal sagen, knalle ich Ihnen eine.« Sie ging zum Wagen, wo Denny Williams ihr die Seitentür öffnete. Bevor sie einstieg, drehte sie sich noch einmal zu Stackhouse um. »Und sorgen Sie dafür, dass man Avery Dixon anständig untertunkt und in den Hinterbau schafft, bevor ich wiederkomme.«

»Donkey Kong gefällt die Idee gar nicht.«

Sie bedachte ihn mit einem Furcht einflößenden Lächeln. »Erwecke ich den Eindruck, dass ich mich groß darum scheren würde?«

5

Tim sah zu, wie der Zug davonfuhr, dann kehrte er in den Schatten des Vordachs zurück. Sein T-Shirt war schweißgetränkt. Zu seinem Erstaunen stand Norbert Hollister immer noch da. Wie üblich trug er seine Weste mit Paisleymuster und eine schmutzige Khakihose, die heute knapp unter seinem Brustbein von einem geflochtenen Gürtel zusammengehalten wurde. Tim fragte sich nicht zum ersten Mal, wie man eine Hose derart hoch tragen konnte, ohne sich brutal die Eier zu quetschen.

»Was machen Sie denn noch hier, Norbert?«

Hollister zuckte die Achseln und grinste, wobei er Zähne entblößte, die Tim vor dem Mittagessen lieber nicht in Augenschein genommen hätte. »Ach, ich vertreib mir bloß die Zeit. Am Nachmittag ist in meiner Bude nicht besonders viel los.«

Als ob das am Morgen oder Abend anders wäre, dachte Tim. »Tja, wie wär’s denn, wenn Sie sich allmählich mal vom Acker machen?«

Norbert zog einen Beutel Red Man aus der Gesäßtasche und stopfte sich ein Stück von dem Kautabak in den Mund. Kein Wunder, dass seine Zähne eine solche Farbe hatten. »Seit wann sind Sie hier denn der große Zampano?«

»Das hat sich wohl wie eine Bitte angehört«, sagte Tim. »War aber keine. Abmarsch!«

»Schon gut, schon gut, so ’nen Wink mit dem Zaunpfahl kapier ich schon. ’nen schönen Tag noch, Mr. Nachtklopfer.«

Norbert watschelte davon. Tim sah ihm stirnrunzelnd hinterher. Er begegnete ihm manchmal in Bev’s Eatery oder bei Zoney’s, wo Hollister sich geröstete Erdnüsse oder auch mal ein hart gekochtes Ei aus dem Glas auf der Theke besorgte, aber sonst verließ der Mann nur selten das Büro in seinem Motel, wo er sich Sport und Pornos reinzog. Der Fernseher dort war mit einer Satellitenschüssel gekoppelt, weshalb er im Gegensatz zu denen in den Gästezimmern funktionierte.

Orphan Annie wartete im Büro von Mr. Jackson auf Tim. Sie saß am Schreibtisch und blätterte in den Papieren im Eingangs- und im Ausgangskorb.

»Das geht Sie nichts an, Annie«, sagte Tim milde. »Und wenn Sie das Zeug durcheinanderbringen, kriege ich eins aufs Dach.«

»Is sowieso nix Interessantes drin«, sagte sie. »Bloß Rechnungen und Listen und so Sachen. Allerdings hat er ’ne Punktekarte für den Topless-Schuppen drüben in Hardeeville. Noch zwei Punkte, dann darf er mittags kostenlos ans Büfett. Aber wenn ich mir vorstelle, ich müsste beim Essen auf die sabbernden Mösen von irgendwelchen Frauen starren… bäh.«

Das hatte Tim sich noch nie konkret vorgestellt, und nachdem er es jetzt getan hatte, hätte er lieber darauf verzichtet. »Ist der Doc noch bei dem Jungen?«

»Jep. Ich hab das Bluten zum Stillstand gebracht, aber von jetzt an muss er die Haare lang wachsen lassen, weil sein Ohr nie wieder aussehn wird wie früher. Jetzt hörn Sie mir mal zu. Die Eltern von dem Jungen sind ermordet worden, und ihn hat man gekidnappt.«

»Im Rahmen der Verschwörung?« Über die Verschwörung hatte er sich bei seinen Rundgängen als Nachtklopfer oft mit Annie unterhalten.

»Genau. Die sind mit diesen schwarzen Autos gekommen, da können Sie sich drauf verlassen, und wenn sie rauskriegen, dass er hier ist, kommen sie ihn holen.«

»Alles klar«, sagte Tim. »Ich werde es mit Sheriff John besprechen. Danke, dass Sie seine Wunden gereinigt und auf ihn aufgepasst haben, aber ich glaube, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.«

Sie stand auf und schüttelte ihren Poncho aus. »Genau, reden Sie mit Sheriff John. Ihr müsst alle auf der Hut sein, denn wenn sie kommen, sind sie bis an die Zähne bewaffnet. In Maine gibt’s einen Ort, der heißt Jerusalem’s Lot, und die Leute, die wo da gewohnt haben, könnte man nach den schwarzen Autos fragen. Wenn man da noch irgendwelche Leute finden tät. Die sind nämlich alle vor vierzig Jahren verschwunden. Über den Ort redet George Allman die ganze Zeit.«

»Schon kapiert.«

Mit rauschendem Poncho ging sie zur Tür, wo sie sich umdrehte. »Sie glauben mir nich, und das wundert mich überhaupt nich. Wieso auch? Ich war schon, Jahre bevor Sie hergekommen sind, der komische Vogel hier in der Stadt, und wenn der Herr mich nich vorher zu sich ruft, werd ich die Rolle noch spielen, wenn Sie längst wieder weg sind.«

»Annie, ich hab absolut nicht…«

»Pst!« Sie warf ihm unter ihrem Sombrero einen strengen Blick zu. »Is schon in Ordnung. Aber jetzt passen Sie mal auf. Ich hab es Ihnen erzählt… aber wissen tu ich’s von ihm. Von dem Jungen, meine ich. Das heißt, wir sind zu zweit, okay? Und denken Sie dran, was ich gesagt hab. Die kommen in schwarzen Autos.«

6