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Wir haben nicht viel Zeit, sagte Avery. Bald kommt jemand von denen, um uns in unsere Zimmer zu bringen.

»Wahrscheinlich Corinne«, sagte Kalisha.

»Ja«, sagte Helen. »Die Böse Hexe des Ostens.«

»Also, was machen wir?«, fragte George.

Einen Moment lang schien Avery ratlos zu sein, weshalb Kalisha Angst bekam. Dann streckte der kleine Junge, der noch am selben Tag gedacht hatte, sein Leben würde im Wassertank enden, die Hände aus. »Kommt«, sagte er. Bildet einen Kreis.

Alle außer Iris trotteten vorwärts. Helen Simms nahm Iris bei den Schultern und schob sie in den unregelmäßigen Kreis, den die anderen gebildet hatten. Len blickte sich sehnsuchtsvoll nach dem Fernseher um, dann seufzte er und streckte die Hände aus. »Scheiß drauf. Was soll’s!«

»Genau, scheiß drauf«, sagte Kalisha. »Nichts zu verlieren.« Mit der linken Hand nahm sie Lens rechte, mit der rechten Nickys linke. Iris schloss den Kreis, und sobald sie mit Jimmy Cullum auf der einen und Helen auf der anderen Seite verbunden war, hob sich ihr Kopf.

»Wo bin ich? Was tun wir da? Ist der Film vorüber?«

»Pst!«, machte Kalisha.

»Mein Kopf fühlt sich besser an!«

»Gut. Aber jetzt leise.«

Die anderen stimmten ein: Pst… pst… Iris, pst.

Jedes Pst war lauter. Etwas veränderte sich. Etwas lud sich auf.

Hebel, dachte Kalisha. Da sind Hebel, Avery.

Von der anderen Seite des Kreises her nickte er ihr zu.

Es war keine Kraft, zumindest noch nicht, und sie wusste, dass es ein verhängnisvoller Fehler wäre, etwas anderes anzunehmen, aber das Potenzial von Kraft war deutlich zu spüren. Wie wenn man die Luft einatmete, kurz bevor ein gewaltiges Sommergewitter losbrach.

»Leute?«, sagte Len zaghaft. »Mein Kopf ist ganz klar. Ich kann mich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so klar war.« Er sah Kalisha mit einer Art Panik an. »Lass mich nicht los, Sha!«

Alles in Ordnung, dachte sie in seine Richtung. Du bist in Sicherheit.

Doch das war er nicht. Keiner von ihnen war das.

Kalisha wusste, was nun geschehen würde, was nun geschehen musste, und sie fürchtete sich davor. Natürlich wollte sie es auch. Nur war es mehr, als es zu wollen. Es war eine Gier danach. Sie waren Kinder, die über einen brisanten Sprengstoff verfügten, was vielleicht falsch war, aber es fühlte sich total richtig an.

»Denkt nach«, sagte Avery mit leiser, klarer Stimme. »Denkt mit mir nach, Leute.«

Als er anfing, waren der Gedanke und das ihn begleitende Bild stark und klar. Nicky schloss sich ihm an. Katie, George und Helen ebenfalls. Kalisha kam dazu, dann auch die übrigen. So wie sie am Ende der Filme einen Sprechchor bildeten, taten sie es auch jetzt.

Denkt an die Wunderkerze. Denkt an die Wunderkerze. Denkt an die Wunderkerze.

Da waren die farbigen Punkte, heller, als sie es je gewesen waren. Da kam das Summen, lauter, als es je gewesen war. Da war die Wunderkerze, sprühend hell.

Und plötzlich waren sie nicht mehr nur elf. Plötzlich waren sie achtundzwanzig.

Das ist die Zündung, dachte Kalisha. Sie fürchtete sich; sie jubelte; sie fühlte sich heilig.

O MEIN GOTT!

19

Als Tim die Geschichte von Luke zu Ende erzählt hatte, saß Sheriff John mehrere Sekunden schweigend auf dem Disponentenstuhl, die Hände über seinem ansehnlichen Bauch verschränkt. Dann griff er nach dem USB-Stick, studierte ihn, als ob er so etwas noch nie gesehen hätte, und legte ihn wieder weg. »Er hat euch gesagt, dass er nicht weiß, was da drauf ist, hab ich das richtig verstanden? Hat das Ding einfach von dieser Haushälterin bekommen, zusammen mit einem Messer, mit dem er sich das Ohrläppchen amputiert hat.«

»So hat er es erzählt«, bestätigte Tim.

»Er ist unter ’nem Zaun durchgekrochen, durch den Wald getigert, auf einem Boot flussabwärts gegondelt wie einst Huck und Jim und dann in einem Güterwagen fast die ganze Ostküste runtergefahren.«

»Laut seiner Aussage, ja«, sagte Wendy.

»Tja, das ist ’ne tolle Geschichte. Besonders gefällt mir das mit der Telepathie und dem Rumschieben von irgendwelchen Sachen. Wie die Geschichten, die alte Omas sich erzählen, wenn sie sich zum Stricken oder Marmeladekochen treffen. Da geht’s dann um so was wie Blutregen und Warzenbesprechen. Wendy, wecken Sie den Jungen doch mal auf. Behutsam, ich sehe, dass er ’ne Menge durchgemacht hat, egal was seine wahre Geschichte ist. Aber wenn wir uns ansehen, was auf dem Ding da ist, soll er dabei sein.«

Wendy durchquerte den Raum und rüttelte Luke an der Schulter. Zuerst sanft, dann ein bisschen stärker. Er murmelte etwas, stöhnte und versuchte, sich ihr zu entziehen. Sie ergriff seinen Arm. »Komm schon, Luke, mach die Augen auf und…«

Luke setzte sich so plötzlich auf, dass Wendy rückwärts stolperte. Seine Augen waren offen, ohne etwas zu sehen, die Haare standen ihm wirr vom Kopf ab. »Die tun gerade was! Ich hab die Wunderkerze gesehen!«

»Wovon redet er da?«, fragte George Burkett.

»Luke!«, sagte Tim. »Alles okay, du hast nur ge…«

»Tötet sie!«, brüllte Luke, während in dem kleinen Verwahrungstrakt der Polizeistation alle vier Zellentüren zukrachten. »Vernichtet diese Dreckskerle!«

Vom Disponententisch erhoben sich Papiere wie ein Schwarm aufgeschreckter Vögel. Tim spürte einen Windstoß, der ihm das Haar zerzauste. Wendy stieß einen leisen Schrei aus. Sheriff John war aufgesprungen.

Tim trat zu dem Jungen und schüttelte ihn fest. »Wach auf, Luke, wach auf!«

Die durch den Raum flatternden Papiere sanken zu Boden, während die versammelten Polizisten, Sheriff John eingeschlossen, Luke mit offenem Mund anstarrten.

Luke griff mit den Händen in die Luft. »Weg da«, murmelte er. »Weg von mir!«

»Schon gut«, sagte Tim und ließ Lukes Schulter los.

»Nicht du, die Blitze. Die Stass-Li…« Er stieß die Luft aus und fuhr sich mit der Hand durch die schmutzigen Haare. »Okay. Sie sind weg.«

»Warst du das?«, fragte Wendy und zeigte auf die herabgefallenen Papiere. »Warst du das wirklich?«

»Irgendwas war es auf jeden Fall«, sagte Bill Wicklow. Er starrte auf die Kontrolluhr für den Nachtklopfer. »Die Zeiger auf dem Ding da haben sich gedreht… und zwar wie irre… aber jetzt stehen sie still.«

»Die tun gerade etwas«, sagte Luke. »Meine Freunde tun irgendwas. Das hab ich gespürt, obwohl ich so weit weg von ihnen bin. Wie konnte das passieren? O Gott, mein Kopf!«

Der Sheriff trat zu Luke und streckte ihm die Hand hin. Tim sah, dass er die andere auf den Griff seiner im Holster steckenden Waffe gelegt hatte. »Ich bin Sheriff Ashworth, mein Junge. Na, wie wär’s?«

Luke schüttelte ihm die Hand.

»Gut. Ein guter Anfang. Jetzt will ich die Wahrheit wissen. Warst du das gerade eben?«

»Ich weiß nicht, ob ich das war oder die anderen«, sagte Luke. »Eigentlich können sie es gar nicht gewesen sein, sie sind ja so weit weg, aber mir ist auch nicht klar, wie ich das gewesen sein könnte. So was hab ich in meinem ganzen Leben noch nie zustande gebracht.«

»Deine Spezialität sind eigentlich Pizzableche«, sagte Wendy. »Aber bloß welche, die leer sind.«

Luke lächelte schwach. »Stimmt. Die Blitze habt ihr nicht gesehen? Irgendeiner von euch? So einen Haufen farbiger Punkte?«