Выбрать главу

»Na, das hört sich schon anders an«, sagte der alte Kerl. »Georgia is gar nich so übel, vor allem wenn man auf Pfirsiche steht. Ich krieg davon die Scheißerei. Du hast doch nix gegen ’n bisschen Mucke, oder?«

»Überhaupt nicht.«

»Wird aber ziemlich laut, muss ich dir sagen. Ich hör nämlich nich mehr so gut.«

»Ich bin einfach froh, unterwegs zu sein.«

Es war Waylon Jennings anstatt REO Speedwagon, aber das störte Tim nicht weiter. Auf Waylon folgten Shooter Jennings und dann Marty Stuart. Die beiden Männer in dem mit Dreck bespritzten Dodge Ram lauschten der Musik, während sie den Highway entlangrollten. Siebzig Meilen weiter hielt der alte Kerl am Straßenrand, tippte an den Schirm seiner Truckercap und wünschte Tim einen wunnerschön Tag.

Bis nach Georgia schaffte Tim es an diesem Abend nicht – er verbrachte die Nacht in einem weiteren miesen Motel neben einem Stand, an dem Orangensaft verkauft wurde–, aber dafür am folgenden Tag. In der Stadt Brunswick (Ursprung eines leckeren Eintopfgerichts) arbeitete er zwei Wochen in einer Recyclinganlage, ohne mehr darüber nachzudenken als über den Entschluss, auf dem Flug von Tampa nach New York seinen Platz freizugeben. Das Geld brauchte Tim nicht, aber er hatte den Eindruck, etwas Zeit zu brauchen. Schließlich befand er sich im Wandel, und so etwas passierte nicht gerade über Nacht. Außerdem war direkt nebenan eine Bowlingbahn mit einem Denny’s. Die Kombination war kaum zu übertreffen.

3

Mit dem Lohn von der Recyclinganlage und dem Geld von der Fluglinie in der Tasche stand Tim in Brunswick an der Nordauffahrt zur I-95 und kam sich für einen Wandersmann ziemlich wohlhabend vor. Nachdem er mehr als eine Stunde in der Sonne gewartet hatte, wollte er schon aufgeben und zum Denny’s zurückgehen, um sich ein Glas Eistee zu bestellen, als ein Volvo-Kombi bei ihm hielt. Der Kofferraum war voller Pappkartons. Die ältere Frau am Lenkrad öffnete das Beifahrerfenster und spähte Tim durch dicke Brillengläser hindurch an. »Groß sind Sie nicht, aber ziemlich muskulös«, sagte sie. »Sie sind doch wohl niemand, der Frauen vergewaltigt, oder? Und eine Psychose haben Sie auch nicht?«

»Nein, Ma’am«, sagte Tim, dachte jedoch: Was sollte ich sonst sagen?

»Tja, was sollten Sie sonst sagen, nicht wahr? Wollen Sie bis nach South Carolina? Darauf deutet jedenfalls Ihre Reisetasche hin.«

Ein anderer Wagen umkurvte den Volvo und raste hupend die Auffahrt hinauf. Ohne darauf zu reagieren, blickte die Frau ruhig weiter auf Tim.

»Ja, Ma’am. Eigentlich will ich sogar nach New York.«

»Ich bringe Sie nach South Carolina – nicht weit in diesen rückständigen Staat hinein, aber doch ein kleines Stück–, wenn Sie mir dafür ein bisschen helfen. Eine Hand wäscht die andere, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Sie kratzen mir den Rücken, und ich kratze Ihren.«

»Gekratzt wird nicht, aber Sie dürfen einsteigen.«

Das tat Tim. Sie hieß Marjorie Kellerman und leitete die Stadtbibliothek von Brunswick. Die wiederum gehörte zu einer Vereinigung von Bibliotheken in den östlichen Südstaaten, die kein Geld hatte, denn: »Trump und seine Spießgesellen haben alles gestrichen. Die haben von Kultur nicht mehr Ahnung als ein Esel von Algebra.«

Fünfundsechzig Meilen weiter nördlich und damit immer noch in Georgia hielten sie vor der winzigen Bibliothek einer Stadt namens Pooler. Tim lud die Bücherkartons auf ein Wägelchen und beförderte sie hinein. Anschließend schaffte er ein weiteres Dutzend Kartons in den Volvo. Die waren, wie Marjorie Kellerman ihm mitteilte, für die Stadtbibliothek von Yemassee bestimmt, das weitere vierzig Meilen nördlich bereits in South Carolina lag. Bald nach Hardeeville ging es jedoch nicht weiter. Auf beiden Fahrspuren stauten sich Pkws und Lastwagen, weitere sammelten sich schnell hinten an.

»Ach, ich hasse es, wenn so etwas passiert«, sagte Marjorie. »Und das offenbar auch immer noch in South Carolina, wo sie zu knausrig sind, die Autobahn zu verbreitern. Bestimmt ist da vorne ein Unfall, und weil es bloß zwei Fahrspuren gibt, kommt niemand vorbei. Ich werde den halben Tag hier stehen. Mr. Jamieson, hiermit entbinde ich Sie von weiteren Pflichten. An Ihrer Stelle würde ich mein Fahrzeug jetzt verlassen, zur Ausfahrt nach Hardeeville zurückmarschieren und auf dem Highway siebzehn mein Glück versuchen.«

»Aber was ist mit den ganzen Bücherkartons?«

»Ach, ich finde schon jemand mit einem starken Rücken, der mir ausladen hilft«, sagte sie und strahlte Tim an. »Offen gesagt, habe ich Sie da in der heißen Sonne stehen sehen und einfach beschlossen, ein kleines Risiko einzugehen.«

»Tja, wenn Sie sich sicher sind…« Der Verkehrsstau verursachte ihm Platzangst, genau wie damals, als er in der Holzklasse jenes Delta-Flugs gesessen hatte. »Sonst halte ich gerne durch. Es ist ja nicht so, als ob ich irgendwelche Termine hätte.«

»Ja, ich bin mir sicher«, sagte sie. »Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mr. Jamieson.«

»Ganz meinerseits, Ms. Kellerman.«

»Brauchen Sie etwas finanzielle Unterstützung? Falls ja, kann ich zehn Dollar entbehren.«

Nicht zum ersten Mal war Tim berührt und überrascht von der alltäglichen Freundlichkeit und Großzügigkeit von ganz normalen Leuten, vor allem von solchen, die eigentlich nicht viel erübrigen konnten. Amerika war immer noch ein guter Ort, auch wenn manche (gelegentlich auch er selbst) anderer Meinung waren. »Nein, das ist nicht nötig, aber danke für das Angebot.«

Er schüttelte ihr die Hand, stieg aus und ging auf der Standspur zur Ausfahrt nach Hardeeville zurück. Als ihn auf der US 17 nicht gleich jemand mitnahm, wanderte er ein paar Meilen weiter bis dorthin, wo sie auf die State Road 92 traf. Hier wies ein Schild zu einem Ort namens DuPray. Da es schon spät am Nachmittag war, hielt Tim es für angebracht, sich ein Motel für die Nacht zu suchen. Zweifellos würde es sich wieder um einen ziemlich miesen Schuppen handeln, aber die Alternativen – sich in die Scheune irgendeines Farmers zu schleichen oder draußen zu pennen und von den Stechmücken aufgefressen zu werden – waren noch weniger verlockend. Und daher machte er sich auf den Weg nach DuPray.

Große Ereignisse warfen manchmal kleine Schatten voraus.

4

Eine Stunde später saß er am Rand einer zweispurigen Straße auf einem großen Steinbrocken und wartete darauf, dass ein schier endloser Güterzug den Bahnübergang hinter sich ließ. Der Zug fuhr mit gemächlichen dreißig Meilen pro Stunde Richtung DuPray: geschlossene und offene Güterwagen, Autotransporter (hauptsächlich mit Wracks anstatt mit neuen Fahrzeugen bestückt), Flachwagen und Tankwagen, gefüllt mit weiß Gott was für üblen Substanzen, die im Falle des Entgleisens den Nadelwald in Brand setzen oder die Bevölkerung von DuPray schädlichen, wenn nicht gar tödlichen Dämpfen aussetzen würden. Den Abschluss bildete ein orangefarbener Begleitwagen, auf dem ein Mann in Latzhose auf einem Gartensessel saß. Er las in einem Taschenbuch und rauchte eine Zigarette. Als er Tim sah, ließ er das Buch sinken und tippte an die Mütze. Tim erwiderte den Gruß.

Zwei Meilen weiter gelangte er in die Stadt, die rund um die Kreuzung der SR 92 (hier als Main Street bezeichnet) mit zwei weiteren Straßen erbaut war. Den großen Einzelhandelsketten, von denen die größeren Städte übernommen worden waren, war DuPray offenbar weitgehend entkommen; es gab zwar eine Filiale von Western Auto, die war jedoch längst geschlossen. Die Fenster hatte man mit Seife undurchsichtig gemacht. Tim kam an einem Lebensmittelladen vorüber, einem Drugstore, einem Laden, wo es anscheinend so ziemlich alles gab, und zwei oder drei Friseursalons. Außerdem gab es ein Kino, auf dessen Vordach ein Schild mit der Aufschrift ZU VERKAUFEN ODER ZU VERMIETEN prangte, ein Geschäft für Autozubehör, das sich den stolzen Namen DuPray Speed Shop gegeben hatte, und ein Restaurant namens Bev’s Eatery. Zudem begegnete er drei Kirchen, einer methodistischen und zweien ohne Zugehörigkeit, alle von der missionarischen Sorte. Nicht mehr als zwei Dutzend Personenwagen und Pick-ups, wie Farmer sie verwendeten, standen verstreut auf den Schrägparkbuchten, mit denen das Geschäftsviertel ausgestattet war. Die Gehsteige waren praktisch menschenleer.