»Auf seinen natürlich, aber diese Typen sind trotzdem hinter mir her, weil wir offiziell noch verheiratet sind, und das Konto ist dasselbe!«
Luke fing an, den Kübel mit Eis zu füllen… ganz langsam. »Diese Leute behaupten, dass sie Ihr Geld einkassieren können, und das klingt ja auch plausibel, aber in Wirklichkeit können sie es gar nicht. In Vermont geht das nicht und in den meisten anderen Staaten auch nicht. Wenn er seine Karten verwendet hat und wenn auf den Belegen seine Unterschrift steht, dann sind das seine Schulden.«
»Aber sie sagen, es sind unsere! Die von uns beiden!«
»Da lügen sie«, sagte Luke grimmig. »Was die Anrufe angeht, von denen Sie gesprochen haben – kommen die manchmal nach acht Uhr abends?«
Ihre Stimme sank zu einem scharfen Flüstern herab. »Soll das ein Witz sein? Manchmal rufen die sogar um Mitternacht an! Zahlen Sie, oder die Bank nimmt Ihnen nächste Woche Ihr Haus weg! Wenn Sie heimkommen, hat man das Schloss ausgewechselt, und Ihre Möbel liegen draußen auf dem Rasen!«
Von solchen Geschichten und noch schlimmeren hatte Luke bereits gelesen. Inkassounternehmen drohten Schuldnern damit, ihre betagten Eltern aus dem Pflegeheim zu werfen. Oder sich an ihre erwachsenen Kinder zu halten, die noch kaum etwas verdienten. Solche Unternehmen taten alles, um ihren Anteil am Kuchen zu ergattern. »Es ist gut, dass Sie meistens weg sind und dass die Anrufe auf die Mailbox gehen. Hier drin dürfen Sie Ihr Handy nicht verwenden, oder?«
»Nein! Du lieber Himmel, nein! Das liegt in meinem Auto drüben im… äh, also nicht hier. Ich hab mir einmal eine neue Nummer besorgt, aber die haben sie irgendwie rausgekriegt. Wie haben sie das bloß geschafft?«
Mit links, dachte Luke. »Löschen Sie die Nachrichten nicht. Heben Sie sie auf. Es ist nicht erlaubt, dass Inkassounternehmen irgendwelche Kunden – so nennt man Leute wie Sie, Kunden – nach acht Uhr abends anrufen.«
Er leerte den Kübel aus, um ihn noch langsamer wieder zu füllen. Maureen sah ihn erstaunt und leicht hoffnungsvoll an, doch das nahm er kaum wahr. Er hatte sich tief in das Problem versenkt und verfolgte dessen Verstrickungen bis zu dem Knoten, an dem sie durchtrennt werden konnten.
»Sie brauchen einen Anwalt, aber nehmen Sie bloß keinen von den billigen Kanzleien, die im Kabelfernsehen Werbung machen. Die würden Sie bloß nach Strich und Faden ausnehmen und in die Privatinsolvenz treiben. Dann wären Sie nie wieder kreditwürdig. Wenden Sie sich an einen ganz normalen Anwalt aus Vermont, der sich mit Entschuldung auskennt, alles über inkorrekte Inkassopraktiken weiß und diese Blutsauger hasst. Ich werde ein bisschen recherchieren und jemand für Sie finden.«
»Das kannst du tun?«
»Ich glaube schon.« Falls man ihm nicht vorher seinen Computer wegnahm, jedenfalls. »Der Anwalt muss herausbekommen, welche Inkassounternehmen damit beauftragt sind, an Ihr Geld zu gelangen. Wer Ihnen da Angst einjagt und Sie mitten in der Nacht anruft. Die Banken und Kreditkartenfirmen geben die Namen von ihren Handlangern zwar nicht gerne preis, aber falls das entsprechende Gesetz nicht geändert wird – das versuchen mächtige Leute in Washington nämlich gerade–, kann ein guter Anwalt sie dazu zwingen. Die Leute, die Sie anrufen, übertreten permanent das Gesetz. Das sind ein Haufen Drecksäcke, die in Callcentern hocken.«
Und die sich nicht besonders von den hier arbeitenden Drecksäcken unterscheiden, dachte Luke.
»In Callcentern?«
»Ja, aber das ist nicht so wichtig.« Das Ganze dauerte schon viel zu lange. »Ein guter Anwalt wird sich mit den Aufzeichnungen auf Ihrer Mailbox an die Banken wenden und denen sagen, dass sie zwei Möglichkeiten haben – Ihnen die Schulden zu erlassen oder verklagt zu werden, weil sie gesetzwidrige Geschäftspraktiken anwenden. Banken hassen solche Gerichtsverfahren, weil dann bekannt wird, dass sie Leute anheuern, die kaum was anderes sind als die Schläger in einem Scorsese-Film.«
»Du meinst also, ich muss nicht bezahlen?« Maureen blickte benommen drein.
Er sah ihr direkt in ihr müdes, allzu bleiches Gesicht. »Haben Sie denn etwas Unrechtes getan?«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber es ist so viel Geld! Er hat sich in Albany eine eigene Wohnung eingerichtet, hat Stereoanlagen und Computer und Fernseher gekauft, er hat eine Geliebte, irgendein Flittchen, und der kauft er auch ständig was, er geht gern ins Spielcasino, und so geht es schon jahrelang. Ich war bloß so dämlich und vertrauensselig, dass ich es erst gemerkt hab, als es zu spät war.«
»Es ist nicht zu spät, das will ich Ihnen ja gerade…«
»Hi, Luke.«
Luke fuhr zusammen, drehte sich um und sah Avery Dixon vor sich stehen. »Hi. Wie war es auf dem Trampolin?«
»Erst gut, aber dann langweilig. Weißt du was? Ich hab ’ne Spritze gekriegt und nicht mal geweint.«
»Freut mich für dich.«
»Willst du drüben bis zum Mittagessen Fernsehen gucken? Da läuft Nickelodeon, hat Iris gesagt. SpongeBob und Rusty Rivets und Willkommen bei den Louds.«
»Jetzt nicht«, sagte Luke. »Aber viel Spaß dabei.«
Avery beäugte die beiden noch einen Moment, bevor er den Flur entlangging.
Sobald er fort war, wandte Luke sich wieder an Maureen. »Es ist nicht zu spät, wollte ich sagen. Aber Sie müssen bald handeln. Kommen Sie morgen wieder hierher, dann sag ich Ihnen, welchen Anwalt Sie nehmen können. Einen, der gut ist. Der Erfahrung hat. Versprochen.«
»Das… ach, Sohnemann, das ist zu schön, um wahr zu sein.«
Dass sie Sohnemann zu ihm sagte, gefiel ihm. Es vermittelte ihm ein warmes Gefühl. Vielleicht war das dämlich, aber es war trotzdem so.
»Ganz im Gegenteil«, sagte er. »Was die versuchen, Ihnen anzutun, ist zu gemein, um wahr zu sein. Jetzt muss ich aber wirklich los. Gleich gibt’s Mittagessen.«
»Das werde ich dir nie vergessen«, sagte sie und drückte ihm die Hand. »Wenn du…«
Am hinteren Ende des Flurs sprang knallend die Tür auf. Mit einem Mal war Luke sich sicher, dass dort gleich zwei Pfleger erscheinen würden, zwei von den fiesen – Tony und Zeke zum Beispiel. Die würden ihn irgendwo hinbringen und über das ausfragen, worüber er mit Maureen gesprochen hatte, und wenn er es ihnen nicht sofort verriet, würden sie das anwenden, was man als erweiterte Verhörmethoden bezeichnete, bis er alles ausplauderte. Wonach er Probleme bekommen würde, aber die Konsequenzen für Maureen würden eventuell noch schlimmer sein.
»Nur die Ruhe, Luke«, sagte Maureen. »Das sind bloß die neuen Insassen.«
Drei blau gekleidete Pfleger kamen durch die Tür. Sie zogen jeweils eine Rolltrage. Auf den ersten beiden lagen Mädchen, beide blond, auf der dritten lag ein muskelbepackter, rothaariger Junge, offensichtlich der Wrestlingfan. Alle drei schliefen. Als sie näher kamen, sagte Luke: »Wahnsinn, ich glaube, die Mädchen sind Zwillinge! Eineiig!«
»Stimmt. Sie heißen Gerda und Greta. Geh jetzt zum Essen. Ich muss den Pflegern da helfen, die Neuen unterzubringen.«
11
Avery saß auf einem der Sessel im Aufenthaltsraum, ließ die Beine baumeln und futterte eine Minisalami, während er das fröhliche Treiben in Bikini Bottom beobachtete. »Ich hab zwei Münzen gekriegt, weil ich bei meiner Spritze nicht geweint hab!«, verkündete er.