Выбрать главу

Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, eine schnelle, beinahe verstohlene Geste.

Er klappte die Tür des Eiswürfelspenders zu und richtete sich auf. »Passen Sie auf Ihren Rücken auf, Maureen.«

»Mach ich.«

Aber wenn sie nun Krebs hatte? Das dachte er nämlich, er wusste es sogar.

Als er sich abwandte, tippte sie ihn an die Schulter und beugte sich nah zu ihm. Ihr Atem roch schlecht; es war der Atem einer Kranken. »Mein Junge muss nicht mal erfahren, woher das Geld kommt, aber er muss es bekommen. Und… Luke? Tu, was sie sagen. Alles, was sie sagen.« Sie zögerte. »Und wenn du mit jemand über irgendwas sprechen willst… tu es hier.«

»Ich dachte, es gibt noch andere Stellen, wo…«

»Tu es hier«, wiederholte sie und schob ihren Wagen in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war.

19

Als Luke auf den Spielplatz kam, sah er voller Erstaunen, dass Nicky mit Harry Cross Basketball spielte. Die beiden lachten und rempelten sich an, als wären sie Kindergartenfreunde. Helen und Avery saßen an einem Picknicktisch und spielten Krieg und Frieden, die Variante mit zwei Kartensätzen. Luke setzte sich neben Helen und fragte, wer am Gewinnen sei.

»Schwer zu sagen«, antwortete Helen. »Das letzte Mal hat Avery mich geschlagen, aber das jetzt ist eine Zitterpartie.«

»Sie findet es total langweilig, aber sie will nett zu mir sein«, sagte Avery. »Stimmt doch, Helen, oder?«

»Durchaus, mein kleiner Mentalist, durchaus. Anschließend spielen wir übrigens Schnipp-Schnapp, und das wird dir nicht gefallen, denn da schnappe ich dich.«

Luke blickte sich um und spürte plötzlich einen Stich, der zu einem ganzen Schwarm aus gespenstischen Punkten vor seinen Augen aufblühte und gleich wieder verschwand. »Wo ist Kalisha? Hat man die etwa…«

»Nein, nein, die hat man nirgendwo hingeschafft. Sie duscht bloß gerade.«

»Luke mag sie«, verkündete Avery. »Er mag sie sogar sehr.«

»Avery?«

»Was ist, Helen?«

»Über manche Dinge spricht man lieber nicht.«

»Warum?«

»Warum ist die Banane krumm?« Unvermittelt wandte sie den Blick ab und fuhr sich mit der Hand durch ihr zweifarbiges Haar, vielleicht um zu verbergen, dass ihr Mund zitterte. Falls dem so war, klappte es nicht.

»Was ist denn?«, fragte Luke.

»Wieso fragst du nicht unseren kleinen Mentalisten? Der sieht und weiß bekanntlich alles.«

»Man hat ihr ein Thermometer in den Hintern gesteckt«, sagte Avery.

»Oh«, sagte Luke.

»Genau«, sagte Helen. »Beschissen, das.«

»Erniedrigend«, sagte Luke.

»Aber auch erfreulich und erhebend«, sagte Helen, und dann lachten beide. Helen tat das mit Tränen in den Augen, aber Lachen war Lachen, und es an diesem Ort tun zu können war eine Kostbarkeit.

»Das kapier ich nicht«, sagte Avery. »Wie kann es erfreulich und erhebend sein, ein Thermometer in den Hintern zu kriegen?«

»Es ist erfreulich, dran zu lecken, wenn es wieder rauskommt«, sagte Luke, worauf alle sich vor Lachen ausschütteten.

Helen schlug auf den Tisch, dass die Karten durch die Gegend flogen. »O Gott, ich mach mir in die Hose! Iih, eklig, schaut bloß nicht hin!« Sie rannte davon und stieß dabei fast George um, der gerade durch die Tür kam. Er mampfte einen Erdnussriegel.

»Was ist denn mit der los?«, fragte George.

»Hat in die Hose gemacht«, sagte Avery nüchtern. »Ich hab heute Nacht ins Bett gepinkelt, also kann ich sie verstehen.«

»Danke, dass du mich darüber informiert hast«, sagte Luke grinsend. »Geh doch mal rüber, und spiel mit Nicky und dem Neuen Basketball.«

»Spinnst du? Die sind viel zu groß, und Harry hat mich schon mal auf den Boden geschubst.«

»Dann stell dich aufs Trampolin.«

»Ist langweilig.«

»Hüpf trotzdem ein bisschen drauf herum. Ich muss mit George sprechen.«

»Über die Lichter? Was für Lichter?«

Der Kleine wurde Luke allmählich richtig unheimlich. »Jetzt geh mal hüpfen, Avester. Zeig mir ein paar Rollen vorwärts.«

»Und versuch, dir dabei nicht den Hals zu brechen«, sagte George. »Wenn du’s doch tust, singe ich bei deiner Beerdigung ›You Are So Beautiful‹.«

Avery starrte ihn einen Moment an. »Aber du hasst das Lied doch«, sagte er dann.

»Ja«, sagte George. »Ja, das stimmt. Was ich gesagt hab, war satirisch gemeint. Vielleicht auch ironisch. Die beiden Wörter verwechsle ich ständig. Jetzt mach dich mal vom Acker, oder soll ich dir ein Taxi rufen?«

Die beiden sahen zu, wie er zum Trampolin trottete.

»Der Kleine ist zehn, aber bis auf das mit dem Gedankenlesen benimmt er sich wie sechs«, sagte George. »Crazy, oder?«

»Total. Wie alt bist du denn, George?«

»Dreizehn«, sagte George brummig. »Aber hier fühle ich mich wie hundert. Hör mal, Luke, die behaupten, dass unseren Eltern nichts passiert ist. Glaubst du denen das?«

Das war eine heikle Frage. »Nicht… so richtig«, sagte Luke schließlich.

»Wenn du’s rauskriegen könntest, würdest du das dann tun?«

»Weiß nicht.«

»Also, ich würd es nicht tun«, sagte George. »Hab schon genug, womit ich fertigwerden muss. Wenn ich erfahren würde, dass sie… du weißt schon… das würde mich plattmachen. Aber ich muss ständig darüber nachdenken. Die ganze Zeit.«

Ich könnte es für dich herausfinden, dachte Luke. Ich könnte es für uns beide herausfinden. Beinahe hätte er sich vorgebeugt und es George ins Ohr geflüstert, doch dann dachte er daran, dass George gesagt hatte, er müsse schon mit genug anderem fertigwerden. »Sag mal, dieser Augentest… musstest du den auch machen?«, fragte er stattdessen

»Klar. Den muss jeder machen. So wie jeder das Thermometer in den Arsch kriegt, ein EEG und ein EKG und ein MRT und ein XYZ, die Bluttests und die Reflextests und die ganzen tollen Sachen, die sie sonst noch so auf Lager haben, Lukey.«

Luke hätte George gern gefragt, ob er die Punkte auch dann noch gesehen hatte, nachdem der Projektor ausgeschaltet worden war, verzichtete jedoch darauf. »Hattest du einen Krampfanfall? Ich hatte nämlich einen.«

»Nee. Danach hat man mich bloß an einen Tisch gesetzt, und Evans, dieses Arschloch mit dem Schnurrbart, hat ein paar Kartentricks vorgeführt.«

»Du meinst, er hat dich gefragt, was drauf ist.«

»Genau das meine ich. Ich glaube, es waren Zenerkarten, müssen’s eigentlich gewesen sein. Mit denen hat man mich nämlich vor ein paar Jahren getestet, was der Grund sein könnte, weshalb ich in diesem charmanten Höllenloch gelandet bin. Meine Eltern hatten spitzgekriegt, dass ich manchmal wirklich Sachen bewegen kann, indem ich sie anschaue. Sobald sie sich sicher waren, dass das kein Trick von mir war, um sie auf die Palme zu treiben, und auch keiner von meinen kleinen Scherzen, wollten sie feststellen, was mit mir los ist. Deshalb haben sie mich nach Princeton gebracht, wo es so ein Institut für Anomalienforschung gibt.«

»Anomalien… soll das ein Witz sein?«

»Ganz und gar nicht. Soll wohl wissenschaftlicher klingen als paranormale Forschung. Gehört übrigens zur Fakultät für Ingenieurwissenschaften, kaum zu glauben, was? Als wollten sie versuchen, es zu tarnen, und vielleicht tun sie das auch. Ein paar ältere Studenten haben mich mit den Zenerkarten genervt, aber ich hab praktisch nichts erkannt. War an dem Tag nicht mal in der Lage, irgendwelche Sachen zu verschieben. Manchmal ist es einfach so.« Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich haben sie gedacht, ich simuliere, was okay für mich war. Klar, an einem guten Tag kann ich einen Stapel Bauklötze umschmeißen, allein indem ich es mir vorstelle, aber Mädchen kriegt man mit so was auch nicht rum. Ist doch so, oder?«