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Da hast du völlig recht, dachte Stackhouse.

»… aber wenn doch eine stattfinden würde, würden wir meiner Meinung nach feststellen, dass sie den Großteil des Inhalts eingenommen hat, bevor sie sich den Strick um den Hals legte.«

»Was an sich schon ausgereicht hätte, sie umzubringen«, sagte Evans. »Die Frau kann kaum mehr als fünfundvierzig Kilo gewogen haben. Offensichtlich war Ischias nicht ihr Hauptproblem, was auch immer sie behauptet hat. In jedem Fall wäre sie ihren Aufgaben nicht mehr lange gewachsen gewesen, weshalb sie einfach…«

»… beschlossen hat, Schluss zu machen«, beendete Hendricks den Satz.

Stackhouse inspizierte die Botschaft, die im Bad an der Wand stand. »Auf euch wartet die Hölle«, sinnierte er. »Wenn man bedenkt, was wir hier tun, könnten manche Leute das als begründete Annahme betrachten.«

»Bullshit«, sagte Mrs. Sigsby, obwohl sie im Allgemeinen nicht zu vulgären Ausdrücken neigte.

Stackhouse zuckte die Achseln. Unter der Deckenlampe glänzte seine Glatze, als hätte man sie mit Autopolitur behandelt. »Mit manchen Leuten meinte ich natürlich Außenstehende, die keine Ahnung haben, worum es hier geht. Ist auch egal. Was wir da vor uns haben, ist ziemlich simpel. Eine Frau mit einer tödlichen Krankheit hat beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.« Er deutete auf die Wand des Badezimmers. »Nachdem sie ihre Schuld verkündet hat. Und unsere.«

Das klang einleuchtend, aber Mrs. Sigsby gefiel es trotzdem nicht. Auch wenn Alvorsons letzte Mitteilung an die Welt Schuldgefühle ausdrückte, schwang ein triumphaler Ton mit.

»Vor kurzem hatte sie eine Woche frei«, wagte Fred der Hausmeister zu äußern, wodurch Mrs. Sigsby klar wurde, dass er sich noch im Raum befand. Jemand hätte ihn wegschicken sollen. Genauer gesagt, hätte sie ihn wegschicken sollen. »Sie ist heim nach Vermont gefahren. Wahrscheinlich hat sie sich da die Pillen besorgt.«

»Danke«, sagte Stackhouse. »Sherlock Holmes wäre stolz auf Sie. Aber müssen Sie nicht irgendwo den Boden wischen?«

»Und machen Sie endlich die Kameragehäuse sauber«, blaffte Mrs. Sigsby. »Darum hab ich schon letzte Woche gebeten. Noch mal tue ich das nicht.«

»Jawohl, Ma’am.«

»Kein Wort über das hier, Mr. Clark.«

»Klar, Ma’am. Natürlich nicht.«

»Einäscherung?«, fragte Stackhouse, als der Hausmeister verschwunden war.

»Ja. Wir lassen sie von zwei Pflegern zum Aufzug schaffen, während die Insassen beim Mittagessen sind. Das ist in…« Mrs. Sigsby warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »… in weniger als einer Stunde.«

»Gibt es ein Problem?«, fragte Stackhouse. »Abgesehen davon, die Sache hier vor den Insassen geheim zu halten, meine ich? Ich frage, weil Sie den Eindruck machen, als gäb’s eins.«

Mrs. Sigsbys Blick wanderte von den auf die Badezimmerfliesen gekrakelten Worten zu dem schwarzen Gesicht der Toten, aus dem die Zunge heraushing. Dann wandte sie sich an die zwei Ärzte. »Gehen Sie bitte beide einen Moment hinaus. Ich möchte mit Mr. Stackhouse unter vier Augen sprechen.«

Hendricks und Evans tauschten einen Blick und gingen hinaus.

4

»Sie hat für Sie gespitzelt. Ist das Ihr Problem?«

»Gespitzelt hat sie für uns beide, Trevor, aber ja, das ist das Problem. Beziehungsweise könnte es eines sein.«

Ein Jahr zuvor – nein, eher vor etwa sechzehn Monaten, draußen hatte noch Schnee gelegen – hatte Maureen Alvorson um ein Gespräch mit Mrs. Sigsby gebeten. Sie wollte sich gern etwas dazuverdienen. Mrs. Sigsby, die seit beinahe einem Jahr ein Lieblingsprojekt im Sinn gehabt hatte, aber keine klare Idee, wie es sich umsetzen ließe, fragte Alvorson, ob sie es sich zutraue, den Kindern abgelauschte Informationen zu melden. Das hatte Alvorson bejaht und sogar eine gewisse Durchtriebenheit demonstriert, indem sie bald darauf das Märchen über verschiedene tote Winkel lanciert hatte, wo die Mikrofone angeblich schlecht oder überhaupt nicht funktionierten.

Stackhouse zuckte die Achseln. »Was sie uns gemeldet hat, war selten mehr als Klatsch und Tratsch. Welcher Junge die Nacht mit welchem Mädchen verbracht hat, wer auf einen Esstisch Tony = Arschloch geschrieben hat, solches Zeug.« Er machte eine Pause. »Wobei ihre Schnüffelei zu ihren Schuldgefühlen beigetragen haben könnte.«

»Sie war verheiratet«, sagte Mrs. Sigsby. »Aber wie man sieht, trägt sie keinen Ehering mehr. Was wissen wir eigentlich über ihr Leben in Vermont?«

»Aus dem Stegreif erinnere ich mich nicht, aber es steht bestimmt in ihrer Akte, und da werde ich gerne nachschauen.«

Als Mrs. Sigsby darüber nachdachte, wurde ihr klar, wie wenig sie über Maureen Alvorson wusste. Klar, sie hatte gewusst, dass sie verheiratet war, weil sie den Ring gesehen hatte. Dass die Frau früher beim Militär gewesen war wie viele vom Institutspersonal, wusste sie ebenfalls. Und sie wusste, dass Alvorson aus Vermont stammte. Aber sonst wusste sie kaum etwas, was bei jemand, den sie beauftragt hatte, die Insassen zu bespitzeln, eigentlich unglaublich war. Jetzt spielte das eventuell keine Rolle mehr, schließlich war Alvorson tot, aber es erinnerte Mrs. Sigsby daran, dass sie vorher ihr Walkie-Talkie nicht mitgenommen hatte, in dem Irrglauben, dieser Hausmeister wäre völlig grundlos in Panik geraten. Außerdem erinnerte es sie an die verstaubten Kameragehäuse, die langsamen Computer und das kleine, ineffiziente Team, das dafür zuständig war, den häufigen Lebensmittelverderb in der Küche, die von Mäusen angenagten Kabel und an die schlampigen Überwachungsberichte, besonders während der Nachtschicht, die von 23 bis 7 Uhr dauerte, wenn die Insassen normalerweise schliefen.

Das kam ihr alles ausgesprochen nachlässig vor.

»Julia? Ich sagte, dass…«

»Hab ich gehört. Ich bin nicht taub. Wer ist momentan im Überwachungsraum?«

Stackhouse blickte auf seine Uhr. »Wahrscheinlich niemand. Es ist mitten am Tag. Da sind die Kinder entweder in ihren Zimmern oder mit dem beschäftigt, was Kinder so tun.«

Reine Spekulation, dachte sie, und was ist die Mutter der Nachlässigkeit, wenn nicht Spekulation? Seit mehr als sechzig Jahren war das Institut nun schon in Betrieb, und es war nie etwas nach außen gedrungen. Es hatte nie einen Grund gegeben (in ihrer Amtszeit jedenfalls), das spezielle Telefon, das sie als Nullfon bezeichneten, für etwas anderes zu verwenden als für Routinemeldungen. Also für nichts, was sie nicht selbst hätten handhaben können.

Natürlich kursierten in Dennison River Bend Gerüchte. Am häufigsten meinten die Leute dort, dass es sich bei der Anlage draußen im Wald um einen Stützpunkt für Atomraketen handelte. Oder dass man sich dort mit biologischer oder chemischer Kriegführung beschäftigte. Oder, was der Wahrheit näher kam, dass es eine Versuchsanstalt der Regierung war. Gerüchte stellten kein Problem dar, waren sie doch nichts anderes als selbst erzeugte Desinformation.

Eigentlich gab es überhaupt kein Problem, sagte sie sich. Alles war in bester Ordnung. Der Suizid einer todkranken Haushälterin war nur eine Hürde, die überwunden werden musste, und eine kleine noch dazu. Trotzdem war er ein Hinweis auf umfassendere… tja, nicht Probleme, es so zu nennen wäre übertrieben, eher auf übergeordnete Angelegenheiten. Zum Teil war sie selbst schuld daran. Zu Beginn ihrer Amtszeit wären die Kameragehäuse nie verstaubt gewesen, und sie hätte ihr Büro nie ohne ihr Funkgerät verlassen. Und damals hätte sie wesentlich mehr über eine Frau gewusst, die sie dafür bezahlte, die Insassen zu bespitzeln.