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»Das wird sie nicht, und er kommt heute rein«, sagte Stackhouse. »Tunken Sie den kleinen Scheißkerl unter, bis er meint, er ist tot, und machen Sie dann weiter.«

»Das meinen Sie doch nicht ernst, oder? Er ist ein wertvolles Eigentum! Und am stärksten TP-positiv von allen Kindern, die wir in den letzten Jahren hatten!«

»Selbst wenn er übers Wasser gehen und Stromstöße furzen könnte, wäre mir das piepegal. Er hat Ellis bei seiner Flucht geholfen. Beauftragen Sie Zeke damit, sobald er zum Dienst erscheint. Der genießt es ja, jemand in den Tank zu stecken. Umbringen soll er den Kleinen allerdings nicht, mir ist schon klar, welchen Wert der hat, aber er soll eine Erfahrung machen, an die er sich erinnert, solange er sich überhaupt noch an irgendwas erinnern kann. Anschließend schaffen Sie ihn in den Hinterbau.«

»Aber Mrs. Sigsby…«

»Mrs. Sigsby ist völlig damit einverstanden.«

Die beiden Männer fuhren herum. Mrs. Sigsby stand in der Tür, die vom Büro in ihre Privatwohnung führte. Zuerst dachte Stackhouse, dass sie aussah, als hätte sie ein Gespenst gesehen, aber das stimmte nicht ganz. Sie sah aus, als ob sie selbst ein Gespenst wäre.

»Machen Sie es genau so, wie er es gerade gesagt hat, Dan. Wenn der BDNF dadurch geschädigt wird, ist es eben so. Er muss für das, was er getan hat, büßen.«

22

Ruckelnd setzte der Zug sich wieder in Bewegung, und Luke dachte an ein Lied, das seine Mutter früher gesungen hatte. War es das über den Midnight Special gewesen? Er konnte sich nicht genau erinnern. Die Donutkrümel hatten seinen Hunger und seinen Durst lediglich verstärkt. Sein Mund war eine Wüste, die Zunge eine Sanddüne darin. Er döste vor sich hin, konnte jedoch nicht einschlafen. Die Zeit verging, er hatte keine Ahnung, wie spät es war, doch schließlich drang Dämmerlicht in den Güterwagen.

Luke kroch über den schwankenden Boden zu dem Türspalt und spähte hinaus. Er sah Bäume, größtenteils verkümmerte, nachgewachsene Kiefern, kleine Orte, Felder, noch mehr Bäume. Als der Zug über eine Brücke donnerte, blickte Luke sehnsüchtig auf den Fluss hinab. Diesmal kam ihm kein Lied in den Sinn, sondern ein Gedicht von Coleridge. Wasser, Wasser überall, dachte Luke, die Bodenbretter stinken. Wasser, Wasser überall und kein Tropfen zu trinken.

Wahrscheinlich ist der Fluss sowieso verschmutzt, sagte er sich, wusste jedoch, dass er trotzdem daraus trinken würde. Bis sein Bauch sich aufblähte. Das Wasser wieder auszukotzen wäre ein Vergnügen, weil er dann noch mehr trinken könnte.

Kurz bevor die Sonne aufging, rot und heiß, roch er Salz in der Luft. Die vorüberziehenden Gebäude waren jetzt keine Farmen mehr, sondern hauptsächlich Lagerhäuser und alte Fabriken aus Backstein, deren Fenster verrammelt waren. Vor dem heller werdenden Himmel ragten Kräne auf; nicht weit weg starteten Flugzeuge. Eine Weile fuhr der Zug neben einer vierspurigen Straße her. In den Autos sah Luke Leute sitzen, die sich um nichts anderes Sorgen machen mussten als um ihren Arbeitstag. Dann roch er Schlick, tote Fische oder beides.

Ich würde sogar einen toten Fisch essen, wenn der nicht total madig wäre, dachte er. Oder selbst dann. Laut National Geographic waren Maden eine gute Quelle von organischem Protein.

Der Zug wurde langsamer, und Luke zog sich in sein Versteck zurück. Es holperte und polterte, während der Güterwagen über Weichen und Kreuzungen rollte. Schließlich kam der Zug zum Stehen.

Trotz der frühen Stunde war hier allerhand los. Luke hörte Lastwagen. Er hörte Männer, die sich lachend unterhielten. Aus einem Ghettoblaster oder dem Radio eines Lasters dröhnte was von Kanye West; der Bass schwoll wie ein Herzschlag erst an, um dann wieder abzuklingen. Auf einem anderen Gleis fuhr eine Lok vorüber und hinterließ Dieselgestank. Es ruckte mehrfach gewaltig, weil mehrere Wagen an- oder abgekoppelt wurden. Als mehrere Männer etwas auf spanisch brüllten, verstand Luke manche ihrer Flüche: puta mierda, hijo de puta, chupapollas.

Weitere Zeit verging. Es kam Luke wie mindestens eine Stunde vor, vielleicht waren es aber auch nur fünfzehn Minuten. Endlich fuhr ein Laster rückwärts an den Güterwagen heran. Ein Mann im Overall schob die Tür vollständig auf. Dann sprang er herein, und wieder kam eine Rampe zum Einsatz. Diesmal gehörten vier Männer zum Team, zwei Schwarze und zwei Weiße, alle kräftig und tätowiert. Sie lachten und redeten mit einem starken Südstaatenakzent, was Luke an die Countrysänger erinnerte, die er zu Hause in Minneapolis auf BUZ’N 102 gehört hatte.

Einer von den Weißen behauptete, am Vorabend mit der Frau von einem der Schwarzen tanzen gegangen zu sein. Der Schwarze tat so, als würde er ihm einen Faustschlag verpassen, worauf der Weiße so tat, als würde er rückwärts stolpern, wo er sich auf die Kartons mit den Außenbordmotoren setzte, die Luke vor einiger Zeit wieder aufgestapelt hatte.

»Jetzt macht mal voran«, sagte der andere Weiße. »Ich will mein Frühstück.«

Das will ich auch, dachte Luke. O Mann, und wie ich das will!

Als die Männer damit anfingen, die Kohler-Kisten in den Lastwagen zu verladen, war das für Luke wie die Wiederholung eines Films vom letzten Halt, der diesmal rückwärts lief. Dabei musste er an die Filme denken, die man den Kids laut Avery im Hinterbau vorführte und bei denen man farbige Blitze sah, groß und fett. Die Tür des Güterwagens ruckelte in ihrer Schiene, als wollte sie sich von selbst schließen.

»Was ist denn da los?«, fragte der zweite Schwarze. »Wer ist da drin?« Er steckte den Kopf hinein. »Hm. Niemand.«

»Wahrscheinlich ein Gespenst«, sagte der Schwarze, der so getan hatte, als wollte er dem einen Weißen eins auf die Nase geben. »Auf geht’s, auf geht’s, damit wir fertig werden. Der Stationsvorsteher sagt, der Scheißzug hat Verspätung.«

Also bin ich immer noch nicht an der Endstation, dachte Luke. Ich werde zwar nicht hier drin stecken, bis ich verhungere, aber nur deshalb, weil ich vorher verdurste. Er hatte gelesen, dass ein Mensch mindestens drei Tage ohne Wasser überlebte, bevor er in eine zum Tod führende Bewusstlosigkeit fiel, aber das konnte er sich momentan beim besten Willen nicht vorstellen.

Das vierköpfige Team lud sämtliche großen Kisten bis auf zwei in den Laster. Luke wartete darauf, dass sich die Männer an die kleineren Geräte machten, wobei sie ihn entdecken würden, doch stattdessen schoben sie ihre Rampe wieder in den Laderaum und zerrten den Rollladen herunter.

»Fahrt schon mal los«, sagte einer von den Weißen. Es war der, der zum Scherz damit angegeben hatte, er wäre mit der Frau von einem der Schwarzen beim Tanzen gewesen. »Muss erst ’nen Ausflug zum Scheißhaus im Begleitwagen da hinten machen.«

»Komm schon, Mattie, kneif noch ’ne Weile den Arsch zusammen.«

»Geht nicht«, sagte der Weiße. »Das Ei ist so groß, dass es dringend gelegt werden muss.«

Ein Motor sprang an, und der Lastwagen fuhr davon. Eine Weile herrschte Stille, dann kletterte der Weiße – Mattie – wieder in den Güterwagen. Er trug ein ärmelloses T-Shirt, das seine Oberarmmuskeln spektakulär zur Geltung brachte. Ganz schön aufgepumpt, hätte Lukes früherer bester Freund Rolf Destin gesagt.

»Okay, Kleiner. Ich hab dich gesehen, als ich mich auf die Kisten da gesetzt hab. Du kannst jetzt rauskommen.«

23

Einen Moment lang blieb Luke, wo er war, weil er dachte, wenn er völlig reglos und völlig still bliebe, würde der Mann denken, er hätte sich geirrt, und wieder verschwinden. Aber das war eine kindliche Vorstellung, und er war kein Kind mehr. Ganz und gar nicht. Deshalb kroch er heraus. Er wollte aufstehen, aber seine Beine waren steif, und ihm war schwummrig. Wenn der Mann ihn nicht festgehalten hätte, wäre er umgekippt.