Ein Bär, der auf einer Laute spielte. Etwas Grelles, Sommerliches, Bälle und Zelte, lachende Kinder, funkelnde Wasserspritzer …
Der erschlaffte Körper einer Njawka. Eine Hülle, die man wie einen Teppich zusammenrollen konnte. Ein Kopf wie ein eingetretener Ball.
»Genug gesehen. Lass uns lieber frühstücken.«
Priw stand hinter ihr. Der Klang seiner Stimme ließ Ywha zusammenzucken. Seine große, feste Hand legte sich beruhigend um ihre Taille.
»Beruhige dich … Gleich kriegst du ein paar Tropfen, denn deine Nerven liegen echt blank. Eine nervöse Hexe, das ist doch einfach traurig. Fast wie ein vegetarisches Krokodil.«
Schwach und gehorsam folgte sie ihm in die Küche. Auf dem blitzblanken Tisch dampften zwei Teller mit Fleisch, das mit Tomatenschnitzen garniert war. »Geh dir die Hände waschen …«
Im Bad gab es rechts von einem großen Spiegel ein kleines Aquarium. Auf dem Sandboden lagen eine zerbrochene Amphora, einige Flussmuscheln und ein eingepacktes Präservativ. Zwei rote Fische schwammen gleichmütig an einem Schild vorbei: Im Notfall Scheibe mit Hammer einschlagen.
»Seit einiger Zeit verstehe ich sie nicht mehr.« Der Kurator Mawyn nahm zum vierten Mal in der letzten Minute die Brille ab, um sie zu putzen. »Sie haben … ihre Vorsicht verloren. Jedes Gefühl für das richtige Maß. Jeden Verteidigungsinstinkt. Mir ist unbegreiflich, warum sie all das tun … was sie da tun. Geht es um ihren eigenen Vorteil? Was in Teufels Namen soll das für ein Vorteil sein? Diese blinde Aggressivität, die doch in der Regel mit einem Verhör in unseren Verliesen endet. Es jagt mir Angst ein, wenn ich etwas nicht begreife, und momentan verstehe ich die Hexen nicht im Geringsten …«
»Früher konntest du dich also damit brüsten, sie zu verstehen?« Klawdi kniff die Augen zusammen und schickte einen dicken bläulichen Rauchfaden in Richtung Decke.
»Das habe ich zumindest geglaubt, Patron«, meinte Mawyn achselzuckend. »Das half mir … bei der Arbeit.«
Es tagte bereits. Klawdi schoss der Gedanke durch den Kopf, ein wenig zu schlafen. Bevor er, dem Büro des Kurators entkommen, endlich in seine Badehose schlüpfte und sich zu dem goldenen Strand aufmachte, nach dem er sich so sehnte, und sich vom warmen Meer liebkosen ließ. »Ich habe meine Badehose nicht mal eingepackt«, sagte er laut.
»Wir haben Hochsaison«, erklärte Mawyn mit gequältem Lächeln, während Fedora bewusst wegsah. »Und die fällt komischerweise ausgerechnet mit der … Zeit der unverhofften Erbschaften zusammen. Da stirbt zum Beispiel eine angesehene Frau an einem Herzinfarkt. Sie ist noch nicht alt und ihr gehört, sagen wir mal, ein Friseurgeschäft. In der Regel taucht schon bald eine Erbin aus der tiefsten Provinz auf. Wie geht es dann weiter?! Nach einer kurzen Krise floriert das Geschäft wieder, nach wie vor kommen — jedenfalls mehr oder weniger — die alten Kunden … Nach einer Weile kommt es jedoch zu einem Ansturm auf die psychiatrische Klinik. Außerdem sind ein paar Infarkte, einige unerklärliche Morde, aber auch Lottogewinne zu verzeichnen. Eine Maniküre, auch das nur ein Beispiel, fängt plötzlich an zu singen und gelangt schnell ganz nach oben … Dann ziehen wir los, um die Erbinnen festzunehmen. Meist ist es schon zu spät. Die Hexenbrut hat sich längst vermehrt und ist uns über den Kopf gewachsen. Friseurinnen sind aus irgendeinem Grund besonders …« Mawyn verstummte, als sei er nicht imstande, das richtige Wort zu finden.
»Sie flechten ihren Kundinnen ›Krötenhaare‹ ein«, meinte Fedora mit tonloser Stimme. »Alles wie gehabt, die Hexen holen sich Fingernägel und Haare von ihren Kundinnen. Aber auf Befehl? Und von wem? Wer gibt den Auftrag, ein Zimmermädchen aus einem kleinen Hotel, das ein halbes Jahr gespart hat, um sich den Besuch in diesem extravaganten Friseurladen leisten zu können, verrückt zu machen? Und wozu?«
»Aber die Maniküre hat angefangen zu singen?«, fragte Klawdi mit hochgezogener Braue.
»Die Maniküre!« Fedora runzelte verärgert die Stirn. »Wir haben sie ein Dutzend Mal durchleuchtet. Die können wir völlig außer Acht lassen. Vielleicht haben sich die Hexen da einfach einen schlechten Scherz erlaubt.«
»Und machen Sie sich klar, wie viele Friseure es in Odnyza gibt, Patron«, klagte Mawyn. »Oder andere Läden, wo manchmal harmlose Tätowierungen vorgenommen werden, manchmal in die Haut der naiven Leute das Zeichen von Keil oder Pumpe eingeritzt wird. Außerdem haben wir noch Vergnügungseinrichtungen, in denen …« Mawyns Stimme überschlug sich. »Von den Tausenden von Hotels, Restaurants, Massagesalons, Privatkliniken und dergleichen ganz zu schweigen!«
Klawdi drückte die Zigarette in einem riesigen, geschmacklosen Marmoraschenbecher aus. »Mawyn, ich habe immer geglaubt, du würdest den Kreis, in dem du arbeitest, kennen. Mehr noch: Als du diesen Posten angetreten hast, wusstest du doch, worauf du dich einlässt. Und jetzt erklärst du mir mit beleidigter Miene: Wie ich festgestellt habe, kann man sich am Feuer verbrennen, und Wespen stechen …«
Wieder nahm Mawyn seine Brille ab, damit entblößte er einen empfindlich geröteten Abdruck an der Nasenwurzel. »Dennoch ist es in Odnyza ruhig, Patron. Zumindest auf den ersten Blick. Dafür haben wir … aber lassen wir das. Und die Epidemie ist in Rjanka ausgebrochen, nicht hier.«
»Beschrei’s nicht!«
Mawyns und Klawdis Blicke kreuzten sich, worauf der Kurator prompt dermaßen erbleichte, dass selbst der rosafarbene Streifen auf der Nasenwurzel mit der Haut verschwamm. »Was? Hier? In Odnyza? Was?!«
»Ich muss da eine Sache überprüfen.« Nachdenklich zählte Klawdi die Zigaretten, die noch in der Schachtel steckten. »Ich muss dringend mit euren Todeskandidatinnen sprechen. Mit den zehn Frauen, die verurteilt wurden, aber noch nicht bestraft worden sind … Sieh mich nicht so an, Fedora. Ich brauche einen Raum für die Verhöre und … Möglicherweise werde ich sie auch foltern müssen.«
(Djunka. März)
Juljok ahnte nicht einmal, dass sein Freund ausgerechnet an seinem Geburtstag einen neuen Schock zu verkraften hatte.
Das ungute Gefühl nagte bereits seit der Haltestelle an Klaw, dort wo er jetzt, im Frühling, normalerweise aus dem Bus sprang, um in einer halben Stunde über einen menschenleeren Pfad zum Sportzentrum zu wandern. Äußere Gründe gab es dafür keine, keinerlei Geräusche, außer dem Krächzen einer Krähe, keine Gerüche, außer dem gewöhnlichen Duft feuchter Erde, keine fremden Spuren im Schnee. Trotzdem verkrampfte sich Klaw, sein Mund trocknete aus.
Den gewohnten Weg legte er in knapp der Hälfte der Zeit zurück. Vorm Tor zum Sportzentrum stand ein Minibus, ein gelber, mit Blinklicht. Klaw glaubte, seine Beine versänken bis zu den Knien im Boden.
Diese Schweine!
Er sah den engen Kranz des Reigens, in dessen Mitte sich eine weibliche Figur in einem schlangenfarbenen Badeanzug wand, schon fast vor sich. In den geballten Fäusten spürte er förmlich das warme, blutbeschmierte Fleisch ihrer Henker. Mit allen Kräften musste er vorwärtsstürmen, um sie allein gegen eine Überzahl zu verteidigen.
Tatsächlich aber machte er keinen einzigen Schritt.
Er atmete ein. Und aus. Langsam zählte er bis zehn und ging gelassen und maßvoll weiter. Niemand, kein einziger Beobachter dieser Szene, hätte in seiner Miene etwas anderes zu entdecken vermocht als die erstaunte Neugier eines Jungen.
Die Tschugeister tanzten nicht. Es waren vier, und sie marschierten am Ufer der teilweise vereisten Bucht entlang, rauchten und warfen sich geschäftig Sätze zu. Ohne die Worte richtig zu verstehen, wusste Klaw, dass überhaupt kein Tanz stattgefunden hatte. Tschugeister, die getanzt und ihr Opfer getötet hatten, zeigten andere Gesichter. Andere Bewegungen, ein anderes Verhalten.