Выбрать главу

Der Kampf endete ergebnislos, riss einfach ab. Der Befehl löste sich in Luft auf, und Ywhas angespannter Wille, damit seines Gegners beraubt, strauchelte auf der Suche nach einem Ausweg. In ihren Ohren hallte der Aufprall wider, als sie schmerzhaft mit der Hand auf dem Boden aufschlug.

»Tut mir leid, das wollte ich nicht.«

Sie biss sich auf die Lippen und rappelte sich hoch. Auf gar keinen Fall durfte sie vor ihm auf dem Boden liegen — denn nur die Besiegten krümmen sich zu Füßen ihres Gegners.

»Tut mir leid, das wollte ich nicht … Aber deine Freiheitsliebe ist schon richtig pathologisch. Du fühlst dich ja selbst dann noch unter Druck gesetzt, wenn nicht mal jemand welchen ausübt.«

Ywha betrachtete ihre Hand, die sich im Nu rötete.

Schon wollte sie ihm erwidern, er als Großinquisitor brächte es einfach nicht fertig, keinen Druck auf sein Ge­gen­über auszuüben, da er bereits so mit seiner Rolle ver­wachsen sei, dass er das selbst bei Kleinigkeiten tue. Dass er ohne jeden Grund und Anlass, ohne es selbst zu mer­ken, Druck ausübe. Da sie sich in ihrer Situation dergleichen jedoch besser verkniff, hörte sie bloß darauf, wie ein grauer Spatz auf der anderen Seite des Fensters tschilpte.

Inzwischen hatte der Inquisitor mit dem Essen begonnen. Er aß ohne jede Hast, aber dennoch sehr schnell, aus Gewohnheit schnell, wie ein Soldat oder ein Akkordarbeiter. »Du hast doch in der Schule Prüfungen ablegen müssen, oder?«

Ywha erschauderte.

»Dann lös doch spaßeshalber mal folgende Aufgabe. Du hast eine Stadt voller Menschen. In dieser Stadt ist eine Bombe versteckt. In einer Stunde wird sie explodieren, vielleicht in der Metro, in einem Krankenhaus oder einem Kindergarten. Der einzige Mensch, der weiß, wo sie hochgehen wird, ist eine zu allem entschlossene Frau, die allerdings jede Aussage verweigert. Du ermittelst in der Sache. Du bist ein Mann in mittleren Jahren. Was unternimmst du?«

Begriffsstutzig schwieg Ywha. Was sollte das? Was hatte sie damit zu tun? Schließlich verstand sie nicht das Geringste von Bomben!

Der Inquisitor schob seinen Teller zur Seite. Er holte eine Zigarettenschachtel von länglicher Form aus der Tasche und fing gierig und sogar ein wenig hingebungsvoll an zu rauchen. »Komm ja nicht auf die Idee, die Geschichte auf dich zu beziehen«, warnte er sie, mit zusammengekniffenen Augen in den Rauch spähend. »Die habe ich mir ausgedacht. Sie dient nur als Beispiel. Wie ein Rätsel. Also, was würdest du tun?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Ywha tonlos.

»Meinst du …«, der Inquisitor zog schon wieder die Augenbraue hoch, »… diesen Menschen, den Erwachsenen und den Kindern, die in einer Stunde sterben, wäre durch deine Unwissenheit geholfen?«

Alarmiert fuhr Ywha zusammen. Zu sehr glaubte sie an die Macht des Wortes über die Realität. Selbst eine fiktive Geschichte könnte sich bewahrheiten — in einer fiktiven Welt. Und die ausgedachten Menschen in ausgedachten sechzig Minuten in die Luft jagen …

»Ich müsste herausbekommen, wo sich die Bombe befindet«, brachte sie mühevoll hervor.

»Wie?« In der Stimme des Inquisitors lag Hoffnungslosigkeit, als drifte das Spiel mit beängstigender Rasanz in die Realität ab. »Wie willst du es herausbekommen — wenn diese Hündin schweigt?«

»Warum tut sie das?«, fragte Ywha hilflos.

»Ich weiß es nicht«, gestand der Inquisitor. »Ich habe keine Ahnung. Übrigens läuft die Zeit, fünf Minuten grübeln wir jetzt schon …«

»Weiß es denn sonst niemand?« Ywha presste die Hände gegeneinander.

»Nein, niemand«, erklärte der Inquisitor nach einem weiteren Zug an der Zigarette. »Entschuldige, ich habe mir einfach eine angezündet, ohne dich vorher zu fragen. Du rauchst doch nicht, oder?«

»Es kann nicht sein, dass es sonst niemand weiß!«

»Doch. Sie hat die Bombe zusammen mit einem Komplizen gebastelt, der inzwischen tot ist. Jetzt ist sie die Einzige …«

Schließlich setzte sich Ywha, auf den Rand des Hockers, die Knie nervös aneinandergequetscht. »Ich … weiß es nicht. Man müsste sie foltern, damit sie etwas sagt …«

Die Finger des Inquisitors drückten die brennende Zigarette aus. Asche fiel auf den Tisch, Funken stoben auf, dann erlosch die Kippe. Verängstigt sah Ywha ihn an. Hatte sie etwas falsch gemacht?

»Genau davon bin ich nicht überzeugt«, sagte der Inquisitor mit tonloser Stimme. »Ich bin nicht davon überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Gestern habe ich den ganzen Tag nichts anderes getan, als Frauen zu foltern, Ywha. Und die öffentliche Meinung, momentan vertreten durch dich, billigt das offenbar.« Er lächelte schief, ohne sie aus den Augen zu lassen.

»Und was wollten Sie von ihnen?«, fragte sie, bemüht, ihrer Stimme einen möglichst gleichgültigen Klang zu geben.

»Ich wollte …« Ungeduldig fischte er die nächste Zigarette aus dem Päckchen. »Eigentlich spielt das keine Rolle. Was ich wollte, habe ich auch bekommen.«

Einen Augenblick lang hörten beide zu, wie das Wasser aus dem Hahn tropfte. Platsch, platsch schlug es im vernickelten Waschbecken auf. Plötzlich erschien vor Ywhas innerem Auge ein riesiger Saal mit vernickelten Waschbecken und Metalltischen — aus Zink? –, auf denen …

»Wenn sie dich initiieren …«, der Inquisitor beobachtete die Veränderungen in ihrer Miene genau, »… wenn das passiert, könnte dir unter Umständen eine glänzende Karriere bevorstehen. Falls dieses Wort in ihrer Hierarchie angemessen ist. Mit deinen Anlagen dürftest du vermutlich eine Schildhexe abgeben … oder eine Bannerhexe, denn du verfügst über ein außerordentliches Gespür. Vielleicht kommt es aber auch anders. Trotz allem bitte ich dich, Ywha, dich nicht initiieren zu lassen. Bereite mir nicht noch mehr Kopfschmerzen, als ich ohnehin schon habe.« Er lachte traurig.

»Was wollen die Hexen?« Ihre Gesprächspartnerin fiel ihr ein, die Verkäuferin der heißen Sandwiches.

»Ich würde viel dafür geben«, sagte der Inquisitor nach einem neuerlichen Zug, »um das zu verstehen. Manchmal meine ich, ja, jetzt bin ich dahintergekommen. Aber … letztlich muss man dafür eine Hexe sein. Wenn du eine wirst … lass es mich doch aus alter Freundschaft wissen. Was die Hexen wollen …«

»Aber Sie fragen sie unter Folter«, konnte Ywha sich nicht verkneifen zu bemerken. Der Inquisitor verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und wollte schon etwas sagen, doch in diesem Moment blökte im Zimmer das Telefon los, dem mit etwas leiserer Stimme ein zweiter Apparat in der Küche antwortete.

Angst erfasste Ywha. Panische und hoffnungslose, jedoch absolut grundlose Angst. Vermutlich ließen sie einfach ihre Nerven im Stich, die durch das schrille Geräusch gereizt waren. Der Inquisitor legte seine Zigarette am Rand des Aschenbechers ab und griff mit einer kraftlosen Geste nach dem Hörer. »Hallo …«

Obwohl sich sein Gesichtsausdruck nicht veränderte, wusste Ywha, wer da anrief. Sie wusste es, und am ganzen Körper brach ihr der Schweiß aus.

»Ja, ich war nicht da. Ich bin erst heute Morgen zurückgekommen, aus einem Ferienort sozusagen, aus Odnyza … Ja, eine wirklich interessante Arbeit … Hör auf damit. Weshalb sollte ich dir das übel nehmen, schließlich sind wir beide erwachsene, kluge Männer … Nein, das kann ich unter keinen Umständen einrichten … Ja, das entspricht so in etwa den Tatsachen … Wie?«

Ywha nahm sich eine kleine Scheibe Brot vom Tisch. Wie betäubt biss sie ein Stück ab, nagte daran und versuchte, mit dem frischen Brot nicht den Hunger, sondern ein anderes Gefühl zu vertreiben, ein vages zwar, aber dennoch nicht weniger drängendes. Sie musste kauen, einfach nur kauen.

Ohne Ywha anzusehen, hörte der Inquisitor zu. Er beobachtete, wie die auf dem Aschenbecher deponierte Zigarette ungeraucht vor sich hin qualmte. Versteinert wartete Ywha ab.