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Ywha zitterte am ganzen Leib. Ohne sie anzusehen, fasste er nach ihrer Schulter.

»Jul, lass mich kurz mit Nasar sprechen«, bat er in den verzweifelt schweigenden Hörer.

»Er schläft«, antwortete der Professor tonlos. »Der Junge nimmt seit drei Tagen Schlaftabletten. Wenn du glaubst, er leide nicht … ihm mache das nichts aus … Schließlich warst du derjenige, der …«

Mytez kam in Fahrt. Klawdi schloss die Augen. »Das verstehe ich doch, Jul«, sagte er mit einer um Ruhe und Sanftmut bemühten Stimme. »Aber wir leben leider in einer Welt, in der es außer Hexen noch eine Menge anderer hässlicher Sachen gibt. Ich mache niemandem einen Vorwurf. Daher sag mir als deinem Freund einfach ganz ruhig: Nehmt ihr das Mädchen jetzt auf? Bürgt ihr für sie? Oder nicht?«

»Klaw!« Mytez’ Stimme klang erschöpft und bittend. »Könntest du … dir nicht etwas einfallen lassen? Ich bitte dich, Klaw! Als Freund. Lass dir etwas einfallen!«

Schweigend hörte Klaw, wie Professor Julian Mytez am anderen Ende schwer und ungleichmäßig atmete.

Jul ist nicht gut beieinander, dachte er. Das Alter macht sich früh bemerkbar, Sport treibt er nicht, spazieren geht er auch nicht, dabei hat er das Haus auf dem Land. Oder nahm ihn das Ganze wirklich so mit? Verlor er die Nerven?

»In Ordnung, Jul«, sagte Klawdi fast aufgeräumt. »Aber ihr solltet auch zusehen, zu einer Entscheidung zu kommen, ja?«

Vermutlich nickte Mytez am anderen Ende, völlig vergessend, dass er nicht zu sehen war. »Ja, Klaw, natürlich … Danke. Das ist eine verzwickte Angelegenheit … Danke … Also dann … Lass dir was einfallen …«

»Hm.« Klawdi konnte nichts dagegen tun: Er nickte ebenfalls. »Mach’s gut.«

»Mach’s auch gut, mein Freund.«

Er stellte das Telefon an seinen Platz und stupste die Schnur mit dem Fuß unter den Tisch.

»Stecken Sie mich jetzt ins Gefängnis?«, fragte Ywha tonlos.

»Ich weiß es nicht«, gab Klawdi ehrlich zu. »Ich glaube, es würde dir dort nicht gefallen.«

Die Lippen der jungen Frau verzogen sich trotzig. »So werde ich nicht leben. Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt zu Ihnen gekommen bin. Und worauf …«

Worauf ich gehofft habe, hatte sie sagen wollen, aber sie wollte den Satz nicht mit weinender Stimme beenden — daher blieb er unvollendet.

»Noch vor einer Woche«, sagte Klawdi, »hätte ich dich guten Gewissens irgendwo untergebracht … bei Freunden, bei Bekannten, bei Freunden von Bekannten, bei Bekannten von Freunden, als Schreibkraft in irgendeiner kleinen Firma, als Putzfrau in einem sauberen Büro … Das wäre gar kein Problem gewesen. In dieser Stadt gibt es mehr als genug Leute, die mir mit Vergnügen einen Gefallen erweisen. Aber jetzt geht das nicht mehr. Jetzt kann ich dich nicht einfach laufen lassen … Du weißt doch, was da los ist, was die Hexen machen, was gegen sie unternommen wird. Oder?«

»Ja«, flüsterte Ywha.

»Ich bin froh, dass du das einsiehst«, sagte Klawdi mit einem zufriedenen Nicken.

Ywha hob den Blick und sah ihn an.

Jetzt lag ein gehetzter Ausdruck in ihren Augen. Ihn sahen die verzweifelten Augen einer gejagten Füchsin an, der keine Fluchtmöglichkeit mehr blieb.

(Djunka. April)

Das Schicksal ereilte ihn auf dem Rückweg.

Er hatte den letzten Bus verpasst, aber glücklicherweise gelang es ihm, ein Auto anzuhalten, das ihn mitnahm. Der redselige Fahrer lebte in der Nähe der Studentenstadt, zu der auch Klawdis Schule gehörte, die der Universität angegliedert war, und erklärte sich damit einverstanden, den müden Jungen umsonst nach Hause zu bringen. »Ich hab dafür ja Verständnis, war doch selbst mal jung … Aber sich mitten in der Nacht hier draußen rumzutreiben, also ich muss schon sagen, das ist schon ein Ding, und gefährlich ist es obendrein …«

»Ich bin schon siebzehn.«

»Ja und? Damit bist und bleibst du ein Junge!«

Klaw nickte zustimmend. Bis zum Wohnheim brauchte der Bus vierzig Minuten. Der gute und weltweise Herr schaffte es in einer Viertelstunde. Nur gut, dass Mytez noch schmollte und er ihm nicht Rede und Antwort stehen musste.

Damit endete sein Glück jedoch auch schon.

Eine Polizeistreife, die die Zufahrt zur Hauptstraße kontrollierte, hielt das Auto an. Der redselige Fahrer ließ sich dadurch in keiner Weise irritieren, sondern fing gleich mit dem Polizisten ein weitschweifiges Gespräch über das Wetter und die Qualität der Straßen in den Vororten an. Der Polizist nickte und studierte im Licht einer Taschenlampe die vorgelegten Papiere. Etwas abseits standen zwei weitere Männer: Klaw erschauderte, als er die kurzen Fellwesten über den Lederjacken erkannte.

»Seien Sie so gut und öffnen Sie den Kofferraum.«

»Suchen Sie wen?«, fragte der Fahrer sorglos.

»Eine Routinekontrolle«, mischte sich einer der Tschugeister ein. Klaw blieb das Herz stehen.

Die Tschugeister hatten sich zu beiden Seiten des Fahrers aufgebaut. Dieser schenkte ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit. Nachdem beide den Inhalt des Kofferraums gleichmütig betrachtet hatten, schauten sie dem Fahrer gleichzeitig ins Gesicht. Der wurde nun doch nervös.

»Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten«, bat der größere der beiden Tschugeister. »Gute Weiterfahrt.«

Der Kleinere linste zu dem neben ihm stehenden Klaw hinüber. Der hatte den Eindruck, sein Kinn streife flüchtig eine eisige Hand — eine Geste, die ein Erwachsener für ein Kind reserviert oder ein Lehrer für einen Schüler: Er fasst ihn am Kinn und verlangt, ihm in die Augen zu schauen.

»Der Junge hatte Kontakt«, sagte der Kleinere leise zu seinem Kollegen. Über Klaws Rücken rieselte ein eisiger Schauer.

Der Fahrer, der die Wagentür bereits öffnen wollte, horchte auf. Der zweite Tschugeist trat langsam an Klaw heran, um ihm ebenfalls in die Augen zu sehen. Eine behandschuhte Hand legte sich Klaw unangenehm, irgendwie gierig und zugleich scheinheilig auf die Schulter. »Wen hast du heute Abend getroffen?«, fragte er.

»Das ist doch meine Sache«, antwortete Klaw mit brüchiger Stimme. »Ich bin euch ja wohl keine Rechenschaft schuldig, oder?«

»Es ist natürlich deine Sache«, pflichtete ihm der Größere bei. »Aber du hast Kontakt zu einer Njawka gehabt. Ich will dir keine Angst einjagen …«

Und ich bin kein Angsthase, wollte Klaw schon einwerfen, hüllte sich dann aber doch in Schweigen. Er biss die Zähne aufeinander. Sie würden ihn doch nicht foltern?! Konnten sie wissen, wo er Djunka versteckte?

»Ich will dir keine Angst einjagen«, fuhr der Größere fort, »aber Njawken verkehren in der Regel mit Menschen, um diese umzubringen. Gewissermaßen um die Chancengleichheit wiederherzustellen. Hast du diese Frau zum ersten Mal gesehen? Oder nicht?«

»Was für eine Frau?«, fragte Klaw, stur den Unwissenden spielend. Er lebte in einem freien Land, dieser Typ in der dämlichen Weste konnte ihm gar nichts anhaben.

»Die Frau, mit der du vor wenigen Stunden intim geworden bist«, erklärte der Größere gelassen. »Mit der du, um es ganz klar zu sagen, geschlafen hast. Oder hattest du gleich mehrere Frauen am Stück?«

Klaw spürte, wie er errötete. Dabei hatte er immer — und mit gutem Grund! — gedacht, er habe Nerven wie Drahtseile! Und dann sollte alles so einfach sein? Ein paar hingeworfene Worte — und schon stand er nackt inmitten einer Menschenmenge …