Zögernd versuchte er, die Person Klawdi Starsh, der Ywha Lys am Arm führte, mit anderen Augen zu sehen. In der Tat ein seltsames Bild, ein Widerspruch … Wer es darauf anlegte, konnte das für Liebe halten, ja, sogar für einen Trumpf im Ärmel.
»Mit anderen Worten«, bemerkte er bedächtig, »Sie bezichtigen mich des Verrats? Nicht mehr und nicht weniger?«
Etwas in seiner Stimme zitterte. Etwas Aufrichtiges schwang in ihr mit, dem sich selbst der Herzog nicht zu entziehen vermochte; nervös blinkerte er mit den tief liegenden Augen.
»Ich bitte Sie, Klawdi, natürlich nicht. Ich hätte Ihnen all das auch nicht sagen müssen. Aber ich habe Sie davon in Kenntnis gesetzt, um Ihnen einmal mehr zu zeigen, wie sehr ich Ihnen als Leiter einer unserer wichtigsten Behörden vertraue.«
»Die Inquisition ist keine Ihrer Behörden.« Klawdi sah an die Decke. »Die Inquisition war in allen Zeiten etwas Eigenständiges, bildete ein selbstständiges Imperium. Geben Sie ruhig zu, Eure Durchlaucht, dass Sie zutiefst betrübt waren, als ausgerechnet ich diesen Posten bekam.«
Der Herzog stierte auf die Zigarette, die in seinen Fingern heruntergebrannt war. Er stierte auf den vor ihm stehenden Aschenbecher und seufzte hilflos, als wisse er nicht, wie er die beiden Gegenstände miteinander in Verbindung bringen sollte.
»Verehrter Herr Starsh, ob ich betrübt oder erfreut gewesen bin, dürfte doch wohl jetzt kaum von Bedeutung sein, meinen Sie nicht auch?«
»Sind Sie sich dessen sicher?«, hakte Klawdi nach.
»Sie denken da an gewisse Kungeleien«, presste der Herzog hervor. »Ja, es gab eine Zeit, da war mir daran gelegen, Ihnen … gewissermaßen … den Stuhl vor die Tür zu setzen. Aber nicht jetzt, da … kurz und gut, nicht jetzt.«
Es folgte eine lange Pause. Die beiden, die sich an unterschiedlichen Seiten des langen Tisches gegenübersaßen, starrten einander unverwandt an.
Als Erster senkte Klawdi den Blick.
»Gut. Wenn Sie offen zu mir waren, so will ich es umgekehrt auch sein, Eure Durchlaucht. Diese Frau, der Ihre Quellen so viel Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, ist eine Hexe mit außergewöhnlicher Empathie. Ich brauche sie bei der Arbeit. Sie war die Verlobte vom Sohn eines Freundes von mir, weshalb ich mich verpflichtet fühlte … ihr ein wenig zu helfen. Das ist alles. Was die Mutterhexe angeht, da wird Ihnen, Eure Durchlaucht, jeder Fachmann bestätigen, dass vor dem Vollzug des Initiationsrituals das zukünftige Wesen einer Hexe nicht zu bestimmen ist, mehr noch: Selbst in den ersten Stunden und Tagen nach der Initiation befindet sich dieses Wesen in einem Schwebezustand. Eine Arbeitshexe kann da beispielsweise noch ganz einfach zur Kampfhexe heranwachsen. Ywha kann trotz ihrer enormen Empathie eine durch und durch gewöhnliche Hexe werden, schwach, mit einem Brunnen von geringem Wert. Deshalb versuche ich, ihre Initiation um jeden Fall zu verhindern. Davon abgesehen haben weder Gefühle noch die Liebe — sofern diese nicht der Phantasie Ihrer Quellen entspränge, sondern tatsächlich existierte –, geschweige denn die leidenschaftliche Liebe eines älteren Mannes zu einer langbeinigen jungen Frau jemals auch nur den geringsten Einfluss auf mein Verhalten gehabt und werden es auch in Zukunft nicht haben. Dessen kann ich Sie ruhigen Gewissens versichern. Genügt das, oder haben Sie noch Fragen?«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte der Herzog stockend. Nach einer Pause wiederholte er: »Ich danke Ihnen. Ihre Geliebten sind Ihre persönliche Angelegenheit, Klawdi. Ihre Arbeitsmethoden ebenfalls. Für Ihre Offenheit … bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet. Können Sie mir jetzt in knappen Worten umreißen, was hier eigentlich vor sich geht?«
Klawdi seufzte.
Gegen die Lehne seines Stuhls geschmiegt, den Nacken bequem auf das Lederkissen gebettet, berichtete er; während er fünfzehn Minuten am Stück redete, kehrte in die Augen des Herzogs etwas vom typischen Glanz und der Entschlossenheit zurück. Klawdi hatte dagegen den Eindruck, zwei Stahlschrauben bohrten sich ihm in den Schädel. Schließlich verstummte er und holte tief Luft.
»Ich danke Ihnen für diese Lektion in alternativer Geschichte«, murmelte der Herzog tonlos. »Fünf aufeinander folgende Jahre ohne Ernte, dafür Pest und Hunger — stimmt, dergleichen wird normalerweise den Hexen zugeschrieben. Aber stehen Ihrer Ansicht nach hinter jenem Aufstand, zu dem es vor vierhundert Jahren gekommen ist, hinter Hochverrat und den blutigen Auseinandersetzungen unter den Erben des Herzogsthrons, auch die Hexen?«
»Alle Sünden der Menschen werden den Hexen zugeschrieben«, erklärte Klawdi mit geschlossenen Augen. »Für mich sind die Hexen jedoch wie Verwandte, Eure Durchlaucht. Nein, verziehen Sie nicht vorschnell das Gesicht. Vermutlich hasst sie kein Mensch so sehr wie ich. Aber sie sind mir nicht fremd. Das ist mein Beruf. Deshalb neige ich eher dazu, die Hexen zu verteidigen und stattdessen die überheblichen Lehnsfürsten anzuklagen, denn Letztere gehen über Leichen, um ihre Gier zu befriedigen, während Hexen … bloß ihrer Natur folgen.«
Klawdi atmete durch. Der Herzog behielt ihn fest im Blick. Auf dem Grund der tiefen Augen stand Staunen geschrieben.
»Die Hexen folgen ihrer Natur wie niemand sonst. Es sind vierhundert Jahre vergangen. Jetzt ist eine neue Mutterhexe gekommen.«
Klawdi hatte den Eindruck, die letzten Worte wollten sich nicht verziehen, wie es menschlichen Lauten geziemt, sondern blieben aus unerfindlichen Gründen an der Decke hängen. Zusammen mit den Schwaden von Tabakqualm. Genauso musste in einem Gerichtssaal ein überraschend hartes Urteil an der Decke hängen.
Der Herzog schien das ebenfalls zu spüren. Er schwieg. Eine seiner hängenden Wangen zuckte nervös. »Zum Teufel mit diesen Humanisten! Die haben uns das alles eingebrockt! Mit ihrer dämlichen Menschenliebe … besser gesagt mit ihrer dämlichen Hexenliebe!«
»In der Geschichte der Menschheit«, erklärte Klawdi und sah den Herzog dabei eindringlich an, »gab es immer Zeiten und Staaten, die die Null-Variante gepredigt haben, Eure Durchlaucht. Eine Welt ohne Hexen.«
Der Herzog antwortete nicht.
»Sie wissen genau, was das heißt, Eure Durchlaucht. Es würde keineswegs weniger Hexen geben. Dafür würden aber die Null-Länder zu einer Art Kriegsfabrik mutieren. Alles wäre gleichgeschaltet, ein eisernes Regime würde herrschen — und die ständige Angst vor diesem Regime. In der Folge würde noch mehr Blut fließen, es käme zu einer Revolte … Das wissen Sie besser als ich.«
»Und?« Der Herzog senkte die Lider.
»Es hilft nichts, sich vorzuwerfen … zu humanistisch zu sein. Wir haben den einzig möglichen Weg eingeschlagen. Jetzt müssen wir eine Möglichkeit finden, die Mutterhexe auszuschalten.«
»Ist sie in unserem Land?«, hakte der Herzog sofort nach. »Wissen wir das mit Sicherheit?«
»Traditionellerweise stattet sie uns ihren Besuch ab«, meinte Klawdi lachend. »Zum Gedenken an Atryk Ol …«
Wieder lastete das Schweigen auf ihnen. Ein langes, endlos langes Schweigen.
»Starsh, ist Ihnen bekannt, wie Ihr … Vorgänger seinen Triumph erzielt hat?«
Klawdi zögerte. Ja zu sagen hieße zu lügen. Nein zu sagen hieße, die eigene Hilflosigkeit einzugestehen.
»Vermutlich ist er mit einer silbernen Klinge auf sie losgegangen?«, presste der Herzog hervor. »Mit einer solchen, wie sie da bei Ihnen an der Wand hängt?«
Unwillkürlich hob Klawdi den Kopf. Richtig, rechts von der Tür hing an einem Nagel der silberne Ritualdolch, mit dem die Hexe aus Odnyza den Faden der eigenen Bosheiten gekappt hatte. Im Stadion, während des Konzerts, bei dem sie beinahe ein unfassbares Blutbad angerichtet hätte. »Oder auf den Tribünen werden sich die Toten stapeln.«