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Die Apothekerskinder wußten nicht, was sie tun sollten: schreien und weglaufen - oder bleiben und zuhören.

„Sie sind also - ein Gespenst?" meinte Herbert mißtrauisch.

„Ja, wenn du nichts dagegen hast."

„Und warum sind Sie schwarz?" wollte Günther wissen. „Ich dachte immer, Gespenster sind weiß ..."

„Nur die Nachtgespenster", seufzte das kleine Gespenst.

„Und Sie?" fragte Jutta. „Zu welcher Gespenstersorte gehören denn Sie?"

„Ich bin leider seit vierzehn Tagen ein Taggespenst, und das Sonnenlicht hat mich schwarz gemacht. Aber zuvor, als ich noch ein Nachtgespenst war, bin ich blütenweiß gewesen, weißer als eine Wolke Schneestaub . . . Übrigens hause ich eigentlich auf der Burg oben, auf dem Eulenstein."

„Aber seit einiger Zeit", meinte Herbert, „sind Sie hier unten und machen das Städtchen unsicher."

„Das hat sich rein zufällig so ergeben", sagte das kleine Gespenst.

Es blickte die Apothekerskinder verlegen an. Dann erzählte es ihnen seine Geschichte, wobei es ausführlich auf das gestrige Mißverständnis zu sprechen kam, das ihm äußerst peinlich sei und wofür es sich immer wieder entschuldigte.

„Ihr ahnt nicht", beteuerte es, „wie leid mir dies alles tut -und wie sehr mir daran gelegen wäre, den Leuten in Eulenberg klar zu machen, daß ich nichts Böses gewollt habe. Aber wie soll ich das anstellen?"

„Schreiben Sie doch einen Brief an den Bürgermeister!" schlug Günther vor.

„Einen Brief? Das ist ausgeschlossen!" sagte das kleine Gespenst und gestand, daß es niemals lesen und schreiben gelernt habe.

„Macht nichts", entgegnete Jutta, „dafür können wir es!"

Sie eilte ins Haus und holte aus ihrem Zimmer den Füller und einen Briefblock. Die Gartenbank war ihr Schreibtisch, sie kniete nieder und schraubte den Füller auf.

„Bitte, diktieren Sie!"

Da diktierte das kleine Gespenst, und Jutta schrieb:

Es wurde ein ziemlich langer Brief. Als er fertig war, ließ das kleine Gespenst ihn sich vorlesen. Danach mußte Jutta ihm etwas Tinte auf den rechten Daumen tropfen, und feierlich unterzeichnete es den Brief:

Gleich darauf fiel ihm ein, daß es etwas vergessen hatte.

„Könntest du, bitte, noch eine Kleinigkeit unten drunterschreiben?" fragte es Jutta. „Zwei Sätze bloß

„Aber gern", sagte Jutta.

Sie ließ nach der Unterschrift eine Zeile frei, wie sich das gehört, und das kleine Gespenst diktierte ihr in die Feder:

Nur nicht verzweifeln

Jutta steckte den Brief in den Umschlag und schrieb die Adresse darauf.

„Sie kehren vermutlich zurück auf den Eulenstein, wenn Sie das Städtchen morgen verlassen?" fragte sie.

„ Selbstverständlich."

„Und dann", meinte Günther, „- dann werden Sie ebenso selbstverständlich wieder zu einem Nachtgespenst - oder?"

Das kleine Gespenst warf ihm einen traurigen Blick zu. „Ich wollte, du hättest recht . . . Aber leider habe ich keine Hoffnung mehr, daß ich jemals wieder ein Nachtgespenst werden könnte. Damit, fürchte ich, ist es aus für mich."

Das kleine Gespenst fing zu weinen an. Dicke weiße Tränen tropften ihm aus den Augen und fielen zu Boden wie Hagelkörner, tip, tip, tip, tip.

Die Kinder blickten betroffen drein.

„Aber, aber!" rief Herbert, „was haben Sie denn?" Günther kratzte sich hinter den Ohren und sagte gar nichts. Bloß Jutta hatte verstanden, worum es ging; sie versuchte das kleine Gespenst zu trösten.

„Nur nicht verzweifeln!" sagte sie. „Denken wir lieber nach, ob man Ihnen nicht helfen kann!"

Das kleine Gespenst winkte ab.

„Mir ist nicht zu helfen!" schluchzte es. „Hätte ich bloß auf den Uhu Schuhu gehört, er hat mich gewarnt!"

Plötzlich kam ihm ein guter Gedanke. Ja richtig der Uhu Schuhu! Daß es nicht früher darauf gekommen war!

„Man müßte den Uhu Schuhu fragen!" rief es. „Wenn überhaupt jemand Rat weiß in meiner Sache, dann er ... Er weiß zwar nicht alles, aber er weiß eine ganze Menge, was andere nicht wissen. - Wenn ihr mir wirklich helfen wollt, Kinder - dann müßt ihr den Uhu Schuhu fragen!"

„Warum fragen Sie ihn nicht selbst?" wollte Günther wissen.

„Das geht nicht! Ich bin ja ein Taggespenst, und er ist ein Nachtvogel. Aber er ist mein Freund. Er wohnt in der hohlen Eiche hinter der Burg, sie ist leicht zu finden ..."

Auf dem Eulenstein waren die Kinder manchmal mit ihren Eltern spazieren gegangen. Deshalb brauchte das kleine Gespenst sich nicht lang damit aufzuhalten, ihnen den Weg zu beschreiben. Auch meinten die Kinder, es sei nicht besonders schwierig für sie, sich nachts aus dem Haus zu schleichen, das ließe sich einrichten.

„Aber wie kommen wir durch die Burg?" fragte Herbert. „Es gibt keinen anderen Weg, der zur Eiche führt. Und die Burgtore werden am Abend bekanntlich abgeschlossen."

Günther und Jutta machten bestürzte Gesichter, aber das kleine Gespenst wußte Rat.

„Ich leihe euch einfach den Schlüsselbund mit den dreizehn Schlüsseln", sagte es und erklärte den Kindern, was für eine Bewandtnis es damit hatte. „So kommt ihr am leichtesten in die Burg hinein und am leichtesten wieder heraus."

Nun versprachen die Apothekerskinder dem kleinen Gespenst, in der nächsten Nacht zu der hohlen Eiche zu gehen und den Uhu Schuhu um Rat zu fragen.

Das kleine Gespenst war sehr glücklich darüber und dankte ihnen. Dann reichte es Herbert den Schlüsselbund mit den dreizehn Schlüsseln.

„Macht eure Sache gut - und vergeßt nicht: Der Uhu Schuhu legt größten Wert darauf, daß man ihm immer höflich kommt und ihn niemals duzt, sondern immer mit ,Sie' und ,Herr Schuhu' anredet. Das wollte ich euch nur sagen, damit ihr Bescheid wißt... Und noch etwas! Würdet ihr, bitte, den Brief an den Bürgermeister heute noch nicht zur Post bringen?"

„Wie Sie wünschen", versicherte Herbert. „Aber warum eigentlich?"

„Weil ich dem Bürgermeister versprochen habe, morgen für immer aus Eulenberg zu verschwinden", sagte das kleine Gespenst. „Und es könnte doch sein, daß ich morgen noch gar nicht weg kann, nach alledem, was wir eben besprochen haben."

Herr Schuhu gibt einen Tip

In der Nacht zwischen elf und halb zwölf verließen die Apothekerskinder auf Zehenspitzen das Haus. Alles verlief ohne Zwischenfall, weder die Eltern noch der Provisor Deuerlein, der heute in der Ratsapotheke Nachtdienst hatte, merkten etwas davon.

Um diese Zeit lag das Städtchen Eulenberg schon in tiefem Schlaf. Von niemand gesehen, eilten die Kinder durch Nebenstraßen und schmale Gäßchen zum Oberen Tor. Dort schlugen sie einen Fußpfad ein, der zur Burg führte. Er war steinig und steil, sie stolperten in der Dunkelheit alle Nasen lang über Baumwurzeln, Felsbrocken und die eigenen Füße.

„Wozu habe ich eigentlich meine Taschenlampe mit?" meinte Günther.

Er wollte die Lampe anknipsen, aber Herbert verbot es ihm.

„Laß das, wir dürfen uns nicht verraten!"

„Na schön", brummte Günther. „Ich hatte es ja bloß gut gemeint..."

Auf dem Platz vor dem Äußeren Burgtor verschnauften sie. Jutta zog aus der Rocktasche eine Tüte Kandiszucker hervor.

„Kleine Stärkung gefällig?"

Nicht nur sie, auch die beiden Jungen hatten gewaltiges Herzklopfen. Günther hätte natürlich behauptet, daran sei der steile Weg schuld.