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„Wollen wir?" fragte Herbert nach einer Weile.

„Ja", sagten Günther und Jutta tapfer.

Der große Augenblick war gekommen. Herbert schwenkte den Schlüsselbund mit den dreizehn Schlüsseln. Der Zauber wirkte, leicht und geräuschlos öffneten sich die schweren Flügel des Burgtores.

„Rasch hinein!" drängte Herbert.

Als sie im Burghof waren, schloß sich das Tor hinter ihnen wieder.

„Fabelhaft!" sagte Günther. „Nun kann nichts mehr schiefgehen!"

Auch das Mittlere und das Innere Burgtor gehorchten dem. Wink mit dem Schlüsselbund. Zaghaft zunächst, doch bald fester und immer herzhafter schritten die Kinder aus.

Einmal flatterte eine Fledermaus dicht über ihre Köpfe hinweg, einmal scheuchten sie im Vorbeigehen ein paar Ratten auf. Sie erschraken darüber, ließen sich aber nicht aufhalten.

Etwa um Mitternacht standen sie vor der hohlen Eiche.

Hoffentlich war der Uhu Schuhu zu Hause! Günther holte die Taschenlampe hervor und leuchtete in die Zweige hinauf.

Da ließ sich hoch droben im Baumwipfel eine heisere Stimme vernehmen, die etwas in der Uhusprache zu ihnen herunterrief.

Günther und Jutta konnten es nicht verstehen, nur Herbert verstand es.

„Du sollst deine Lampe ausknipsen, sagt er, sie blendet ihn!"

Günther und Jutta staunten. „Verstehst du ihn?"

„Ihr etwa nicht?" meinte Herbert. „Dann muß es wohl an den Schlüsseln liegen ..."

Da faßten auch Günther und Jutta den Schlüsselbund an. Von nun an verstanden auch sie die Uhusprache.

„Wer sind Sie?" fragte der Uhu Schuhu. „Und woher kommen Sie?"

, ,Wir sind die drei Apothekerskinder aus Eulenberg" , sagte Herbert. „ Ein alter Bekannter von Ihnen schickt uns herauf, der Sie vielmals grüßen läßt."

„Ein alter Bekannter?" fauchte der Uhu Schuhu. „Ich wüßte nicht, daß ich in Eulenberg alte Bekannte hätte!"

„Es handelt sich um das kleine Gespenst", sagte Günther; und Jutta fügte hinzu:

„Es ist sehr, sehr unglücklich, wissen Sie - und es bittet um Ihren Rat."

Jetzt wurde der Uhu hellhörig.

„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?! Warten Sie, bitte, ich komme zu Ihnen hinunter, dann wollen wir alles in Ruhe besprechen ..."

Sssssst! kam er von seinem Sitz herabgesegelt und hockte sich auf den untersten Zweig der Eiche.

„Erzählen Sie! Bitte, erzählen Sie!" Herbert, Günther und Jutta erzählten ihm, was zu erzählen war. Schweigend hörte er ihnen zu. Dann plusterte er das Gefieder auf und schüttelte sich.

„Sehr traurig, die ganze Angelegenheit, außerordentlich traurig!" krächzte er. „Also deshalb hat mich das kleine Gespenst in letzter Zeit nicht mehr besucht . . . Aber wenn Sie mich fragen, woran es liegt, daß es plötzlich zu einem Taggespenst wurde, dann kann ich nur sagen: Das muß mit der Uhr zusammenhängen !"

„Mit welcher Uhr?" fragten Günther und Jutta gleichzeitig.

„Mit der Rathausuhr selbstverständlich!"

Der Uhu erläuterte ihnen in aller Kürze, wie es sich mit der Rathausuhr und dem kleinen Gespenst verhielt. Dann fügte er langsam und sehr bedächtig hinzu:

„Versuchen Sie, in Erfahrung zu bringen, ob irgend jemand vor vierzehn Tagen die Rathausuhr angehalten oder verstellt hat. Und falls das geschehen sein sollte, dann sorgen Sie bitte dafür, daß der Fehler wieder behoben wird. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Leben Sie wohl, meine Herrschaften, und empfehlen Sie mich dem kleinen Gespenst, dem ich alles Gute wünsche!"

Damit breitete er die Flügel aus, nickte den Apothekerskindern zu und verschwand in der Finsternis.

Gute Nachrichten

Kaum hatte am nächsten Mittag die Rathausglocke zwölf Uhr geschlagen, da stürzte das kleine Gespenst zum Kellerfenster hinaus in den Apothekersgarten, wo Herbert und seine Geschwister es schon erwarteten.

„Na und?" rief es aufgeregt. „Habt ihr etwas erreichen können? Ja oder nein?"

„Sie dürfen beruhigt sein, es hat alles geklappt", sagte Herbert; und Jutta ergänzte mit strahlender Miene: „Ich hoffe, Sie werden zufrieden sein. Es sieht ganz so aus, als ob wir Ihnen helfen können."

„Wirklich?!" Das kleine Gespenst war so glücklich über die gute Nachricht, daß es vor Freude zu hüpfen anfing. „Erzählt doch!" bat es in höchster Aufregung. „Bitte, erzählt doch!"

Aber Herbert entgegnete: „Gehen wir lieber ins Gartenhäuschen, dort stört uns niemand. Und außerdem möchte ich Ihnen zuvor den Schlüsselbund mit den dreizehn Schlüsseln zurückgeben, schönen Dank dafür!"

„Bitte, bitte, wenn er euch nur genützt hat!"

Im Gartenhäuschen war es gemütlich eng. Wie Verschwörer hockten die vier um den runden Gartentisch.

„Nun aber los! Ich will endlich wissen, woran ich bin!"

Herbert und seine Geschwister berichteten von dem Gespräch mit dem Uhu Schuhu, und daß er vermute, das Mißgeschick, das dem kleinen Gespenst widerfahren sei, stehe in irgend einem geheimen Zusammenhang mit der Rathausuhr.

„Zuerst haben wir wenig mit diesem Hinweis anfangen können", gab Günther zu.

„Aber dann haben wir uns gesagt: Was die Rathausuhr angeht, da fragt man am besten den Uhrmachermeister Zifferle. Wir also hin zu ihm - und was, glauben Sie, hat sich dabei herausgestellt?"

„Was denn?" fragte das kleine Gespenst. „Herr Zifferle hat uns erzählt", sagte Jutta, „daß er vor sechzehn Tagen im Auftrag des Bürgermeisters die Rathausuhr überholen mußte. Morgens um sieben hat er das Uhrwerk abgestellt.

Hernach hat er volle zwölf Stunden lang an der Uhr gearbeitet, bis um sieben Uhr abends."

„Und dann, nach zwölf Stunden also", fuhr Herbert mit wichtiger Miene fort, „hat er die Rathausuhr wieder in Gang gesetzt, der Herr Zifferle - und zwar ließ er sie einfach dort weiterlaufen, wo sie am Morgen stehengeblieben war. Auf dem Zifferblatt bleibt es sich schließlich gleich, ob es sieben Uhr früh oder sieben Uhr abends ist."

„Aber eben bloß auf dem Zifferblatt!" hakte Günther ein. „In Wirklichkeit geht die Rathausuhr seither um zwölf Stunden nach: Wenn es Mitternacht ist, schlägt sie Mittag; und wenn es Mittag ist, schlägt sie Mitternacht! Das hat niemand im ganzen Städtchen gemerkt, denn es ist niemand dabei zu Schaden gekommen - mit einer Ausnahme ..."

„Und die Ausnahme, die bin ich!" rief das kleine Gespenst, das allmählich begriffen hatte, wie alles zusammenhing.

„Bloß weil die Rathausuhr nachgeht, wache ich neuerdings immer zu Mittag auf, statt um Mitternacht!"

Die Geschwister nickten. Sie zweifelten nicht daran, daß die Sache sich so verhielt.

„Ihr glaubt also wirklich, daß ihr mir helfen könnt?"

„Das glauben wir", sagte Herbert.

„Und deshalb", erklärte Günther, „steigen wir heute abend um sieben mit dem Herrn Zifferle auf den Rathausturm ..."

„Und dann", setzte Jutta fort, „wird die Rathausuhr einfach um zwölf Stunden weitergedreht, bis sie wieder stimmt."

„Das ist alles?" staunte das kleine Gespenst.

Ja, das sei alles, sagten die Apothekerskinder. Sollte es fehlschlagen, wüßten sie nicht, was sonst helfen könnte.

„Aber es wird schon klappen!" rief Jutta zuversichtlich; und Günther beteuerte:

„Selbstverständlich klappt es!"

„Ach, Kinder!" seufzte das kleine Gespenst und verdrehte die weißen Augen dabei. „Wenn ihr recht behieltet - es wäre nicht auszudenken!"

Dann schwärmte es den Geschwistern vor, wie sehr es sich darauf freue, wieder als Nachtgespenst durch die Burg zu geistern, und daß es sich überhaupt nichts Schöneres denken könne. Und so schwärmte es, bis die Mittagsstunde beinahe zu Ende war.