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Fehlschläge

In der nächsten Zeit wurde das kleine Gespenst immer öfter und immer heftiger von dem Wunsch geplagt, sich die Welt bei Tageslicht anzusehen. Mochte der Uhu Schuhu dagegenreden, soviel er wollte!

„Ich glaube nicht, daß mir viel passieren könnte", dachte es. „Notfalls habe ich ja den Schlüsselbund, um mich damit zur Wehr zu setzen. Und außerdem bin ich unverwundbar. Was soll mir da schon geschehen?"

Solche Gedanken macht man sich nicht umsonst. In einer der letzten Juninächte war es so weit, das kleine Gespenst entschloß sich dazu, seinen Wunsch zu verwirklichen. Was es dabei zu tun hatte, war ihm völlig klar:

„Ich darf mich am Ende der Geisterstunde nicht schlafen legen wie sonst - ich muß wach bleiben, bis es tagt. Das ist alles."

Wenn die Geisterstunde zu Ende ging, wurde das kleine Gespenst immer sterbensmüde. Auch heute verspürte es kurz vor ein Uhr den unwiderstehlichen Drang zu gähnen, und gleichzeitig merkte es, wie ihm der Kopf und die Glieder schwer zu werden begannen. Da setzte es sich auf den Rand seiner Eichentruhe (sicher ist sicher) und nahm sich vor:

„Nicht nachgeben, kleines Gespenst! Bloß nicht nachgeben!"

Doch was vermag so ein kleines Nachtgespenst gegen seine Natur? Als die Rathausuhr ein Uhr morgens schlug und die Geisterstunde herum war, fühlte das kleine Gespenst, daß ihm schwindlig wurde. Es mußte für eine Sekunde die Augen schließen - und als es. sie wieder öffnete, drehte sich alles im Kreise: der Schornstein, der Mond vor dem Giebelfenster, die Spinnweben und die Dachsparren: alles drehte und drehte sich - bis das kleine Gespenst nicht mehr wußte, wo unten und oben war. Da verlor es das Gleichgewicht, kippte hintenüber in seine Truhe und schlief auf der Stelle ein.

Es schlief bis zur nächsten Mitternacht, und als es erwachte, war es enttäuscht und ärgerlich, ärgerlich auf sich selbst. Doch es wollte die Hoffnung so rasch nicht aufgeben.

„Heute klappt es vielleicht um so besser", sagte es sich. „Ich versuche es jedenfalls gleich noch einmal!"

Aber der zweite Versuch mißlang ebenso wie der erste, und auch beim drittenmal hatte das kleine Gespenst kein Glück mit dem Wachbleiben.

„Wenn ich bloß einen Ausweg wüßte!" dachte es in der vierten Nacht.

Heute war schlechtes Wetter. Der Regen prasselte auf das Dach, in den Schornsteinen heulte der Wind, in den Regenrinnen gluckste das Wasser. Voller Mißmut begab sich das kleine Gespenst in das Burgmuseum. GeorgKasimir und die anderen Grafen und Ritter blickten spöttisch aus ihren goldenen Rahmen (so wenigstens kam es ihm vor), und der General Torstenson zog ein Gesicht, als wollte er im nächsten Augenblick in ein schallendes Gelächter ausbrechen.

„Das fehlt mir gerade noch, daß ihr euch über mich lustig macht!" schimpfte das kleine Gespenst.

Es wollte dem General samt den Grafen und Rittern den Rücken kehren - da sah es in einer der Glasvitrinen die goldene Uhr liegen: Torstensons Taschenwecker, den er seinerzeit in der Eile des Aufbruchs verloren hatte und der später auf allerlei Umwegen als Erinnerungsstück in das Burgmuseum gelangt war. Das kleine Gespenst hatte früher schon manchmal mit Torstensons Wecker gespielt, daher wußte es damit umzugehen, und darauf baute es seinen neuen Plan.

„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, mein lieber Torstenson, wenn ich mir deinen Taschenwecker ein wenig ausleihe", sagte es schmunzelnd. „Du mußt nämlich wissen, daß ich ihn außerordentlich gut verwenden kann ..."

Es schwenkte den Schlüsselbund, öffnete die Vitrine und holte die Uhr heraus. Dann zog es sie auf und eilte damit zurück auf den Dachboden, wo es zufrieden in seine Truhe stieg und den Wecker auf neun Uhr früh stellte.

„Wenn ich mit einem Ohr auf der Uhr liege", dachte es, „werde ich unbedingt wach, wenn das Läutwerk rasselt, da kann nichts schiefgehen!"

Es sollte sich leider herausstellen, daß sich das kleine Gespenst schon wieder einmal verrechnet hatte. Der Wecker des Generals hat zwar pünktlich um neun gerasselt, aber das kleine Gespenst hat ihn nicht gehört. Es hat einfach weitergeschlafen bis nachts um zwölf. Erst als die Schläge der Mitternachtsglocke vom Rathaus zur Burg heraufklangen, ist es aufgewacht.

„Ich möchte bloß wissen, wie so etwas möglich ist!" überlegte es und versuchte sein Glück mit dem Wecker ein zweites und drittes Mal - aber stets mit dem gleichen Mißerfolg.

Da entschloß es sich in der folgenden Nacht dazu, Torstensons goldene Taschenuhr wieder an ihren Platz in der Glasvitrine zurückzulegen, und das war gut so.

Denn inzwischen hatten die beiden Museumsaufseher den Verlust des kostbaren Stückes bemerkt, und es hatte eine Riesenaufregung gegeben. Sogar die Polizei war benachrichtigt worden, und der Herr Kriminaloberwachtmeister Holzinger hatte festgestellt:

„Da müssen ganz ausgekochte Burschen am Werk gewesen sein. Eine solche Vitrine knacken, ohne daß hinterher die geringsten Spuren zu finden sind, das bringen nur Leute fertig, die eine Menge davon verstehen!"

Ja - und nun lag die goldene Taschenuhr also wieder an ihrem Platz, als sei nichts geschehen. Mochten sich morgen früh die Museumsaufseher ruhig den Kopf zerbrechen, wie sie dahin gekommen war! Dem kleinen Gespenst war das einerlei, das kleine Gespenst hatte seine eigenen Sorgen. Es erzählte die ganze Geschichte dem Uhu Schuhu und fragte ihn:

„Können Sie sich erklären, wieso mich der Wecker des Generals nicht geweckt hat?"

Herr Schuhu blinzelte mit den Augen, als müsse er über die Frage des kleinen Gespenstes angestrengt nachdenken. Aber als weisem Uhu war es ihm selbstverständlich bekannt, daß zu jedem Gespenst auf Erden eine bestimmte Uhr gehört und daß es allein von dem Gang dieser einen Uhr abhängt, wann das Gespenst erwacht und wieder einschläft.

„Und die Uhr, lieber Freund, auf die es bei Ihnen ankommt", hätte er sagen können, „das ist, wie Sie wissen sollten, die Rathausuhr unten im Städtchen Eulenberg. Sie - und nur sie allein - bestimmt über Ihre Zeit. Selbst wenn Sie Ihre Glockenschläge einmal nicht hören könnten, müßten Sie ihr gehorchen. Dagegen können Sie gar nichts machen, weder mit Ihrem Willen noch mit dem Taschenwecker des Generals. Sollten Sie unbedingt einmal zu einer anderen Stunde erwachen wollen als sonst, dann wäre das nur zu erreichen, indem Sie die Rathausuhr um die gewünschte Zeitspanne vor- oder nachstellen. Aber das würde ich Ihnen nicht raten. Da lassen Sie, glaube ich, besser die Finger davon ..."

Dies alles hätte der Uhu Schuhu dem kleinen Gespenst also antworten können, wenn er gewollt hätte. Aber er hielt es für klüger, sein Wissen für sich zu behalten. Womöglich hätte das kleine Gespenst es sonst fertiggebracht, an der Rathausuhr herumzudrehen - und wer weiß, ob das gut gegangen wäre.

Nein, es war wirklich besser, wenn er dem kleinen Gespenst davon nichts verriet. Darum sagte er ausweichend:

„Wissen Sie, lieber Freund - ich an Ihrer Stelle würde mich damit abfinden, daß es auf Erden gewisse Dinge gibt, die sich nicht ändern lassen. Dazu gehört es ganz offensichtlich, daß man als Nachtgespenst nicht am Tage herumgeistern kann. Das sollten Sie einsehen und sich damit zufrieden geben."

Fast ein Wunder

Das kleine Gespenst war sehr traurig, es ließ in den folgenden Nächten häufig den Kopf hängen. Nach allem, was es erlebt hatte, glaubte es nicht mehr daran, daß es ihm je vergönnt sein werde, die Welt bei Tage zu sehen. Aber man weiß ja, daß Wünsche mitunter gerade dann in Erfüllung gehen, wenn man am allerwenigsten damit rechnet.

Seit dem Gespräch mit dem Uhu Schuhu war eine knappe Woche vergangen.