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Von unten blickte ihm eine schwarze Gestalt entgegen. Die schwarze Gestalt hatte weiße Augen und trug einen

Schlüsselbund in der Hand - einen Schlüsselbund, an dem dreizehn Schlüssel hingen. Daran erkannte das kleine Gespenst, daß die schwarze Gestalt in der Tiefe sein eigenes Spiegelbild war.

„Huch, wie ich aussehe!" rief es entsetzt. „Ich bin ja ganz schwarz geworden! Von oben bis unten schwarz! Das einzige Weiße an mir sind die Augen. Sie leuchten so grell, daß es richtig zum Fürchten ist. Ich bekomme gleich vor mir selber Angst! Huch!"

Noch immer brummte dem kleinen Gespenst der Kopf. Es fühlte sich schrecklich elend und mitgenommen.

„Ich möchte bloß wissen, warum ich schwarz geworden bin", fragte es sich. „Und der furchtbare Schlag auf den Schädel vorhin! Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz schwindlig .. . Sicher war es das Sonnenlicht, das mir den Schlag versetzt hat. Das Sonnenlicht hat mich wahrscheinlich auch schwarz gemacht... Das hätte ich vorher wissen sollen! Dann wäre ich hübsch in meiner Truhe geblieben und hätte mich keinen Zentimeter hinaus gerührt..."

Das kleine Gespenst warf seinem Spiegelbild einen giftigen Blick zu.

„Schrecklich, mir vorzustellen, daß ich mein ganzes weiteres Leben als schwarzes Scheusal verbringen soll! -Ob es vielleicht ein Mittel dagegen gibt: ein Mittel, das einen wieder weiß macht. . .? Hoffentlich, hoffentlich!"

Während das kleine Gespenst im Brunnen hockte und nachdachte, war der Burgverwalter in sein Büro gelaufen und hatte die Feuerwehr alarmiert. Kurz darauf kam mit Tatü-Tata ein Feuerwehrauto zum Burgtor hereingebraust, darin saßen ein Feuerwehrhauptmann und sieben Feuerwehrleute.

Der Feuerwehrhauptmann ließ sich vom Burgverwalter und vom Herrn Oberlehrer Thalmeyer berichten, was vorgefallen war, und nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, legte er zwei Finger an seinen goldenen Feuerwehrhauptmannshelm und sagte:

„Ganz klar, meine Herren! Einer von meinen Männern muß in den Brunnen steigen und den Verunglückten bergen."

Er wandte sich an die sieben Feuerwehrleute und fragte:

„Wer meldet sich freiwillig?"

Jeder der sieben Feuerwehrleute legte die rechte Hand an den Helm und rief:

„ Ich, Herr Hauptmann!"

Da wählte der Feuerwehrhauptmann den kleinsten und schmächtigsten seiner Männer aus. Dem hakten sie ein langes Seil an den Feuerwehrgürtel, und der Hauptmann hängte ihm eigenhändig eine Laterne um den Hals und sagte:

„Machen Sie's gut, mein Lieber!" Langsam und vorsichtig stieg der Feuerwehrmann an einer Strickleiter in den Brunnenschacht, während ihn seine Kameraden an dem langen Seil, das sie ihm an den Gürtel gehakt hatten, festhielten. Das kleine Gespenst sah den Feuerwehrmann mit der Laterne im Brunnen heruntersteigen. Es fühlte sich ziemlich unbehaglich, denn es konnte sich ausrechnen, wann er unten ankommen und es entdecken würde.

„Und was dann?" überlegte das kleine Gespenst.

Es blickte sich in dem dunklen Brunnenschacht um. Schräg gegenüber von seinem Sitzplatz entdeckte es eine niedrige Eisentür in der Brunnenwand. Ein mächtiges altes Schloß hing davor.

Wohin diese Tür wohl führte?

Rasch schwenkte das kleine Gespenst den Schlüsselbund. Die Eisentür tat sich auf, und es zeigte sich, daß dahinter ein schmaler unterirdischer Gang begann.

„Ah, ein Geheimgang!" dachte das kleine Gespenst.

Es schlüpfte hinein, und hinter ihm schloß sich die Eisentür, wie wenn nichts gewesen wäre. „Gut so", sagte das kleine Gespenst, „ausgezeichnet! Nun können sie draußen mit ihrer Laterne suchen, so lang sie wollen. Hier bin ich in Sicherheit. Und hier bleibe ich, bis es Mitternacht schlägt. Dann kehre ich durch den Brunnen zurück auf den Dachboden, und die Sache hat sich."

Wohin führt der Geheimgang?

Bisher hatte das kleine Gespenst gemeint, daß es ihm nur in der Eichentruhe möglich sei, richtig und fest zu schlafen. Aber nun stellte es sich heraus, daß das gar nicht stimmte. Auch auf dem feuchten Steinboden des Geheimganges ließ es sich prächtig schlummern - so prächtig, daß sich das kleine Gespenst beim Erwachen nur mühsam darauf besinnen konnte, wie es hierher geraten war.

Zwar hatte es diesmal das Läuten der Mitternachtsglocke nicht hören können, bis hier unten drang ja kein Laut aus der Oberwelt; dennoch war es davon überzeugt,

daß es zwölf Uhr nachts sei. Es fühlte sich herrlich ausgeschlafen wie immer, wenn es beim zwölften Mitternachtsglockenschlag in der Truhe erwacht war.

Das einzige, was es hier unten vermißte, waren die Spinnweben und der Staub.

„Zu dumm, daß mich nichts in der Nase kitzelt!" dachte es. „Wenn ich nach dem Erwachen nicht niesen kann, fehlt mir ganz einfach etwas."

Wie gestern beschlossen, wollte das kleine Gespenst durch den Brunnenschacht in die Burg zurückkehren. Aber als es daranging, die eiserne Tür zu öffnen, kam ihm ein neuer Gedanke:

„Wie wäre es, wenn ich dem Gang nach der anderen Seite folgte? Ich möchte herausbekommen, wohin er führt."

Das kleine Gespenst war begeistert von seinem neuen Plan. Es klemmte sich den Schlüsselbund unter den Arm und begann dem Geheimgang zu folgen. Da es im Dunkeln sehen konnte wie eine Katze, war das nicht weiter schwierig. Tiefer und immer tiefer schwebte es in den unterirdischen Gang hinein - bis es an eine Stelle kam, wo er sich gabelte.

Einen Augenblick lang stutzte das kleine Gespenst.

„Soll ich mich rechts halten oder links?" überlegte es. „Schwer zu sagen! Am besten, ich zähle es an den Schlüsseln ab: rechts . . . links . . , rechts . . . links . . . rechts . . . links ... "

Die Schlüssel entschieden für rechts. Also gut! Ohne Zögern schwebte das kleine Gespenst in den rechten Gang hinein. Feucht war es hier. Feucht und kalt. Von Zeit zu Zeit huschte ihm eine Ratte über den Weg. Oder waren es Mäuse? Blitzschnell tauchten sie aus der Finsternis auf, blitzschnell verschwanden sie wieder. Sie ließen dem kleinen Gespenst keine Zeit, sie zu fragen, wohin der Geheimgang führte.

„Irgendwo wird er schon enden", dachte das kleine Gespenst.

Bald kam es wieder an eine Gabelung. Der Einfachheit halber hielt es sich diesmal nach links. Dann teilte sich der Gang immer öfter und öfter. Dem kleinen Gespenst wurde klar, daß es in ein weitverzweigtes Netz von unterirdischen Gängen geraten war. Der ganze Eulenstein und seine Umgebung waren davon unterhöhlt.

„Wieviel Mühe mag es gekostet haben, die Gänge anzulegen!" dachte das kleine Gespenst. „Ich beneide die Leute nicht, die sie in den Felsen gehauen haben. Das muß eine elende Schufterei gewesen sein!"

An manchen Stellen waren die Gänge baufällig, dann mußte das kleine Gespenst über Berge von Schutt und Geröll hinweghuschen. Einmal kam es sogar an ein starkes Eisengitter, das rechts und links in den Felsen eingemauert war und den Gang versperrte, öffnen ließ sich das Gitter nicht. Aber wozu auch? Gespenster können sich ja ganz dünn machen, wenn es nottut. Es war für das kleine Gespenst ein Kinderspiel, zwischen den Gitterstäben hindurchzuschlüpfen.

Nach einigen weiteren Metern stellte es sich heraus, daß der Gang zu Ende war. Er mündete in ein schmales, senkrechtes Felsenloch, das oben mit einer eisernen Falltür verschlossen war.

„Wohin sie wohl führen mag?" überlegte das kleine Gespenst.

Ohne sich viel dabei zu denken, schwenkte es den Schlüsselbund mit den dreizehn Schlüsseln.