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Unter das Bildnis des Generals war in großen Buchstaben etwas hingedruckt, was das kleine Gespenst nicht entziffern konnte. Es hatte ja niemals lesen und schreiben gelernt und konnte nicht ahnen, daß es sich bei den „Bildern" um Werbeplakate handelte, auf denen zu lesen stand:

„Was haben die bloß mit dem Torstenson, daß sie ihn überall hinkleben?" dachte das kleine Gespenst. „Hie und da mal ein Bild von ihm - meinetwegen. Aber in jedem Zimmer, auf jedem Gang und in jeder Nische im Treppenhaus? Das ist einfach zuviel!"

In den Räumen der Stadtkämmerei entdeckte das kleine Gespenst auf einem der Schreibtische einen schwarzen Filzstift. Im nächsten Augenblick wußte es, was es zu tun hatte.

Es lieh sich den Filzstift aus und malte dem General Torstenson auf dem Plakat in der Stadtkämmerei einen schwarzen Vollbart. Dann huschte es in das nächste Zimmer. Dort versah es das Bildnis des Generals mit einer mächtigen Gurkennase, auf der eine Warze prangte.

„Das bringt etwas Abwechslung in das ewige Einerlei!" kicherte es.

So schnell es sich machen ließ, eilte das kleine Gespenst von Plakat zu Plakat. Mit flinken Strichen malte es Torstenson hier ein Paar Eselsohren an den Kopf, dort eine schwarze Augenklappe, wie sie die Seeräuber tragen.

Die Sache machte ihm großen Spaß.

Immer neue Verzierungen ließ es sich einfallen: Bockshörner, riesige Glotzaugen, einen Spitzbauch, ein Hirschgeweih, eine qualmende Tabakspfeife, langes struppiges Borstenhaar, einen Ring durch die Nase und manches andere. Kein Wunder, daß es vor lauter Eifer vergaß, auf die Zeit zu achten.

Plötzlich, das kleine Gespenst befand sich gerade im Amtszimmer des Herrn Bürgermeisters, schlug es vom Rathausturm ein Uhr Mittag! Höchste Zeit für das kleine Gespenst, sich ein Plätzchen zu suchen, wo es die nächsten dreiundzwanzig Stunden verschlafen konnte, ohne gestört zu werden.

„Bis in den Geheimgang schaffe ich's ganz bestimmt nicht mehr", dachte es, „das ist viel zu weit. Ich merke schon, wie mir wieder schwindlig wird ..."

In einer Ecke der holzgetäfelten Amtsstube stand eine alte, mit kunstvollen Eisenbeschlägen versehene Ratstruhe. Darin hatte man früher wichtige Briefe und Rechnungen aufbewahrt. Aber jetzt war die Truhe leer, sie stand nur zum Schmuck des Raumes da.

„Das ist die Rettung!" dachte das kleine Gespenst.

Es schlüpfte mit letzter Kraft in die Truhe. Der Deckel schloß sich über ihm, und gleich darauf schlief es ein.

Vorsicht, Herr Bürgermeister!

Als das kleine Gespenst am nächsten Mittag erwachte, hörte es, wie im Amtszimmer des Herrn Bürgermeisters einige Männer erregt miteinander sprachen. Vorsichtig hob es den Deckel der Ratstruhe ein wenig an und blickte hinaus.

Im Amtszimmer des Herrn Bürgermeisters befanden sich drei Personen: der Herr Bürgermeister selbst, der hinter dem Schreibtisch in seinem mit rotem Leder gepolsterten hohen Sessel saß und eine Zigarre rauchte; ihm gegenüber stand, mit der Dienstmütze unter dem Arm, der Leiter der Stadtpolizei; und am Fenster lehnte, die Hände über der Brust verschränkt, der Herr Kriminaloberwachtmeister Holzinger.

Der Herr Bürgermeister war äußerst schlechter Laune, das sah man ihm an.

„Ich sage es Ihnen noch einmal!" rief er und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. „Es ist eine unbeschreibliche Frechheit, alle Plakate im Rathaus auf derart gemeine und niederträchtige Weise zu verunstalten! Ich verlange von Ihnen, daß dieser Schmierfink gefunden wird. Und zwar schleunigst! Das sind wir dem Ansehen unserer Vaterstadt schuldig. Und wenn Sie das nicht fertigbringen, mein Lieber" - damit wandte er sich an den Leiter der Stadtpolizei -, „dann haben Sie Ihren Beruf verfehlt!"

Der Leiter der Stadtpolizei bekam einen roten Kopf.

„Sie können sich darauf verlassen, Herr Bürgermeister, daß seitens der Stadtpolizei alles geschieht, um den Täter zu fassen. Ich bin überzeugt, daß es nur eine Frage der Zeit ist. Bisher haben wir schließlich alle derartigen Fälle aufgeklärt - bis auf einige ganz verschwindend geringe Ausnahmen."

Der Bürgermeister qualmte an seiner Zigarre.

„Ihre Ausnahmen kenne ich!" brummte er. „Wenn ich bloß daran denke, daß auch dieser Schwarze Unbekannte noch immer sein Unwesen in der Stadt treibt -und dies ausgerechnet jetzt, eine knappe Woche vor der 325-Jahr-Feier! Begreifen Sie nicht, daß auf diese Weise ganz Eulenberg in Verruf kommt? Wozu haben wir eigentlich eine Polizei?!"

Der Leiter der Stadtpolizei biß sich auf die Lippen. Was sollte er dem Bürgermeister antworten? Aber der Bürgermeister wandte sich schon dem Herrn Kriminaloberwachtmeister Holzinger zu.

„Und Sie, lieber Holzinger? Wissen auch Sie nichts Besseres, als um den Brei herumzureden?"

Herr Holzinger nahm seine schwarze Hornbrille von der Nase und putzte daran herum.

„Ich fürchte, die Sache ist sehr viel schwieriger, als wir alle annehmen", sagte er. „Es würde mich gar nicht wundern, wenn es zwischen dem Schwarzen Unbekannten und dieser Geschichte hier" - er deutete auf die verschmierten Plakate, die sich auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters häuften - „es würde mich gar nicht wundern, wenn es da einen Zusammenhang gäbe."

Der Bürgermeister legte verblüfft die Zigarre weg.

„Wie kommen Sie denn auf die Idee?"

„Das ist schwer zu erklären. Ich habe es einfach so im Gefühl."

Der Bürgermeister kratzte sich hinter dem Ohr. „Und um wen handelt es sich bei dem Schwarzen Unbekannten? Äußert sich Ihr Gefühl etwa auch zu diesem Punkt?"

Herr Holzinger hielt seine Brille prüfend gegen das Licht. Nachdem er sie wieder aufgesetzt hatte, meinte er achselzuckend:

„Mein Gefühl sagt mir, daß es bei diesen Zwischenfällen unmöglich mit rechten Dingen zugeht."

„Ach nein!" rief der Bürgermeister belustigt aus. „Sie brauchen mir nur noch zu sagen, daß da Gespenster am Werk sind!"

„Und wenn es so wäre?" fragte Herr Holzinger.

Aber der Bürgermeister schüttelte bloß den Kopf. „Lächerlich, Holzinger! Vollkommen lächerlich! Solche Geschichten können Sie kleinen Kindern erzählen, aber nicht mir!! Ich glaube nicht an Gespenster!!!"

Bis hierher hatte das kleine Gespenst dem Gespräch in der Amtsstube ruhig zugehört. Aber jetzt war es um seine Beherrschung geschehen. Der Bürgermeister von Eulenberg glaubte nicht an Gespenster?! Na, warte!

„Hu-huuuuuuh!" rief das kleine Gespenst in der leeren Ratstruhe, daß es nur so dröhnte.

Der Bürgermeister, der Leiter der Stadtpolizei und der Herr Kriminaloberwachtmeister Holzinger fuhren erschrocken zusammen.

„Hu-huuuuuuh!" rief das kleine Gespenst noch einmal.

Dann hob sich der Truhendeckel - und langsam, ganz langsam begann es sich unter Ächzen und Stöhnen und Schlüsselrasseln in der Ratstruhe aufzurichten.

Dabei blickte es dem Herrn Bürgermeister mit seinen weißen Augen starr ins Gesicht.

„Hu-huuuuuuh!" rief es abermals, laut und klagend. „ Hu-hu-hu-huuuuuuuuuh!"

Da packte den Bürgermeister das kalte Grausen. Er ließ die Zigarre fallen und japste nach Luft. Auch dem Leiter der Stadtpolizei und dem Herrn Kriminaloberwachtmeister Holzinger standen die Haare zu Berge. Unfähig, sich zu rühren, mußten sie zusehen, wie das kleine Gespenst aus der Truhe herausstieg und schlüsselrasselnd das Zimmer verließ.

Alarm im Rathaus

Herr Holzinger war der erste, dem es gelang, einen klaren Gedanken zu fassen. Wenige Augenblicke nachdem das kleine Gespenst aus dem Zimmer des Bürgermeisters verschwunden war, riß er die Tür auf und stürzte ihm nach, auf den Gang hinaus. Dort sah er die schwarze Gestalt mit dem Schlüsselbund gerade noch um die nächste Ecke biegen. „Halt!" rief er. „Stehenbleiben! Sie sind verhaftet!" Aber das kleine Gespenst hatte nicht die geringste Lust, sich verhaften zu lassen. Es huschte davon und kicherte. Da begann der Herr Holzinger so laut zu schreien, daß es durch alle Gänge und Flure hallte: