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Am nächsten Sonntag ging es in Eulenberg hoch her. Alle Häuser waren mit Laubgewinden und Fahnen geschmückt, über dem Rathaustor hatte der Stadtgärtner einen mächtigen Fichtenkranz aufgehängt, der ein rotes Schild mit einer goldenen 325 umschloß. Ähnliche, allerdings kleinere Schilder mit einer goldenen 325 auf rotem Grunde hingen über den meisten Haustüren und in den Schaufenstern der Geschäfte. Daraus konnte jedermann ersehen, daß man heute in Eulenberg eine 325-Jahr-Feier feierte.

Bereits in den frühen Morgenstunden waren die ersten auswärtigen Besucher angekommen. Im Lauf des Vormittags fanden sich immer neue und neue Gäste ein. Sie strömten in hellen Scharen herbei. Die einen mit dem Auto, die anderen mit der Eisenbahn oder im Omnibus. Und die Vereinigte Landjugendgruppe von Ober- und Nieder-Geiselfing kam sogar auf einem von einem Traktor gezogenen, festlich mit Blumen und bunten Bändern behangenen Leiterwagen dahergerattert. Alle wollten das große historische Festspiel sehen und drängten zum Rathausplatz.

Das Festspiel begann mit dem Einzug der schwedischen Armee vom Grünen Markt her. An der Spitze marschierten drei fahnenschwingende Landsknechte. Ihnen- schloß sich, mit Spießen und altertümlichen Flinten bewaffnet, der Männergesangverein „Harmonie 1890" als Fußvolk an. Die neunzehn Mann starke schwedische Reiterei wurde von den Mitgliedern des Eulenberger Reit- und Fahrklubs gestellt. Auch für passende Feldmusik war gesorgt, denn nun folgte -in Pluderhosen und bunten Wämsern, mit falschen Bärten und wallenden Federhüten - die Stadtkapelle. Sie spielte abwechselnd den Finnländischen Reitermarsch und die von ihrem Kapellmeister eigens für den heutigen Anlaß komponierte General-Torsten-Torstenson-Jubiläums-Fanfare.

Der Turnverein und die Metzgerburschenvereinigung, der Handlungsgehilfenverband und die Kleingärtner, die Freiwillige Feuerwehr, der Rauch- und Kegelklub „Alle neune" und die Kriegerkameradschaft „In Treue fest" wirkten als weitere Truppenteile mit.

Sogar über zwei Kanonen verfügte der General. Vor jedes der beiden Geschütze waren vier schwere Rösser gespannt, die eigentlich Brauereipferde waren und von ihren Bierkutschern gelenkt wurden. Aber die Bierkutscher trugen natürlich nicht wie sonst ihre blauen Leinenkittel, sondern sie steckten in rostbraunen Waffenröcken, und jedermann sah auf den ersten Blick, daß sie königlich schwedische Kanoniere waren.

Es dauerte gute zwanzig Minuten, bis die Armee vor dem Rathaus aufmarschiert war.

Nun mußte er gleich erscheinen - er selbst, der berühmte Heerführer und gefürchtete General Torsten Torstenson!

Die Leute stellten sich auf die Zehenspitzen und reckten die Hälse.

Wahrhaftig - da kam er schon!

Breit und gewichtig saß er auf seinem Apfelschimmel, die linke Hand in die Hüfte gestemmt, in der rechten den Feldherrnstab, den er grüßend umherschwenkte.

Sah er nicht großartig aus mit dem grünen Mantel, dem roten Knebelbart und den goldenen Tressen am federgeschmückten Hut?

„ Fabelhaft! Einfach fabelhaft!" riefen die Leute und klatschten Beifall.

Als sich der Berichterstatter einer auswärtigen Zeitung nach dem Darsteller des Torstenson erkundigte, hieß es von allen Seiten:

„Den kennen Sie nicht? Das ist doch der Brauereidirektor Kumpffmüller von der Aktienbrauerei!"

„Ja, da staunen Sie, was? An dem ist wahrhaftig ein General verlorengegangen. Sehen Sie nur, wie echt er wirkt! Sehr viel echter kann selbst der echte Torstenson nicht gewirkt haben!"

Nun erscholl ein Trompetensignal. Torstenson lenkte den Apfelschimmel zur Mitte des Platzes. Er blickte zum Himmel empor, und die Zuschauer wurden mäuschenstill. Dann räusperte sich der General und begann zu sprechen. Laut und feierlich hallte seine Stimme über den Rathausplatz:

„In's schwed'schen Königs Namen steh ich hier, Zu nehmen ein die Stadt und jene Feste, Die trutzig uns vom Berg herniederschaut." In dieser erhabenen Sprache, die eines ruhmreichen Feldherrn würdig war, ging es eine Zeitlang weiter. Dann stürzte ein jüngerer Offizier herbei (es war der Provisor Deuerlein aus der Ratsapotheke). Er hatte im Auftrag des Generals die Burg und das Städtchen auffordern sollen, die Waffen zu strecken. Aber der kaiserliche Kommandant habe ihn mit einem Hohnlachen abgewiesen. Wenn der Torsten-son unbedingt in die Stadt wolle, lasse er ihm bestellen, dann möge er's nur versuchen!

Dem General schwoll bei diesem Bericht die Zornesader. Er beteuerte, daß er nunmehr entschlossen sei, die Burg und das Städtchen in Grund und Boden schießen zu lassen. Dann gab er seinen beiden Kanonieren einen Wink mit dem Feldherrnstab und brach in die schrecklichen Worte aus: „Gefällt ist mein Entschluß unwiderruflich. So sprecht, Kanonen, denn! Geschütze, donnert!"

Da luden die schwedischen Kanoniere ihre Kanonen und feuerten einen Schuß um den anderen ab, daß es nur so rumpelte. Die Zuschauer jubelten vor Begeisterung. Und niemand achtete darauf, daß die Rathausglocke gerade anhob, die Mittagsstunde zu schlagen.

Ganze Arbeit

Pünktlich wie immer erwachte das kleine Gespenst mit dem zwölften Glockenschlag. Es wußte nichts von dem großen historischen Festspiel, das vor dem Rathaus im Gange war. Aber es hörte die Torstenson sehen Geschütze donnern - und als es erschrocken zum Dachbodenfenster hinausblickte, sah es den Rathausplatz von Soldaten wimmeln.

„Was denn, was denn!" rief es erstaunt. „Sind das wieder einmal die Schweden? Was zum Teufel wollen denn die hier?"

Das kleine Gespenst war sehr ungehalten, es wünschte die schwedischen Truppen samt ihren Kanonen ins

Pfefferland. Und auf einmal entdeckte es mitten im Pulverdampf einen Apfelschimmel, der einen Reiter mit grünem Mantel trug.

Alle Wetter - war das nicht Torstenson?

Der Generalshut, der Spitzenkragen, das feiste Gesicht mit dem roten Knebelbart... Kein Zweifel, er war es!

„Die Sache wird immer schöner!" schimpfte das kleine Gespenst. „Er ist also wiedergekommen! Er wagt es, sich hier zu zeigen! Was denkt er sich eigentlich? Glaubt er vielleicht, ich ließe mir das gefallen, bloß weil er ein General ist? Aber da irrt er sich ganz gewaltig, dieser . . . dieser Kanonenprotz!"

Nun ging alles sehr schnell.

Das kleine Gespenst stürzte sich Hals über Kopf aus dem Dachfenster auf den Rathausplatz und landete haargenau dort, wo es landen wollte: drei Schritte vor Torstensons Apfelschimmel.

„He, Torstenson!" schrie es. „Mir scheint, du bist wahnsinnig! Hast du vergessen, was du mir hoch und heilig versprochen hast - damals in jener Nacht, als du händeringend vor mir auf den Knien lagst und um Gnade flehtest? Mach, daß du hier verschwindest!"

Torstenson (oder vielmehr der Direktor Kumpffmüller von der Aktienbrauerei) war zu Tode erschrocken. Fassungslos blickte er auf die schwarze Gestalt mit den weißen Augen herab. Er konnte sich nicht erklären, woher sie gekommen war. Und was wollte sie bloß von ihm?

„Also? Verschwindest du freiwillig, oder muß ich nachhelfen?"

Ehe Direktor Kumpffmüller etwas erwidern konnte, brach das kleine Gespenst in ein schauerliches Geheul aus.

„Hu-huiiiii!" rief es laut und gellend. „Hu-huiiiiii!"

Da scheute der Apfelschimmel des Herrn Direktors und bäumte sich auf. Dann machte er auf der Hinterhand kehrt und preschte in weiten Sprüngen davon.

Herr Kumpffmüller ließ den Feldherrnstab und die Zügel fahren. Es fehlte nicht viel, und er wäre im hohen Bogen vom Pferd gefallen. Er krallte sich in der Mähne des Tieres fest. Nur mit äußerster Mühe gelang es ihm, sich im Sattel zu halten.

„Hu-huiiiiii!" schrie das kleine Gespenst, immer wieder:

„Hu-huiiiiiiiii!"

Kein Wunder, daß auch die übrigen Pferde scheu wurden. Die Rösser der schwedischen Reiterei gingen durch, die Biergäule mit den Kanonen ebenfalls. Sie jagten in wilder Flucht dem Apfelschimmel des Generals nach - quer über den Rathausplatz nach dem Grünen Markt und mit Holterdiepolter zum Städtchen hinaus.