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»Und er hätte genausogut auch Elena töten können«, sagte ich.

»Was kümmert ihn nach all seinen Verbrechen, ob noch mehr Blut seine Hände besudelte?« fragte Sulla, und mir fiel auf, daß er überhaupt keinen Sinn für die Ironie seiner Worte hatte, ein Mann, der bis zum Kinn in Blut watete. »Kurz darauf gelang es den Vettern, Sextus’ Kopie der belastenden Vereinbarung in die Hände zu bekommen. Ohne sie war er schutzlos; er hatte kein Druckmittel mehr gegen sie in der Hand. Zweifelsohne überlegten die Vettern diverse Möglichkeiten, ihn und seine Familie zu ermorden, als ihm die Flucht gelang, zuerst zu einem Freund in Arnena, einem gewissen Titus Megarus, dann zu Caecilia Metella hier in Rom. Als er ihren Klauen entronnen war, blieb ihnen nur die Möglichkeit, ihn mit Hilfe der Justiz zu erledigen. Und weil er tatsächlich schuldig war, nahmen sie naiverweise an, sie könnten die ganze Geschichte so drehen, daß ihre Beteiligung außen vor blieb. Und natürlich zählten sie darauf, daß Chrysogonus’ Name alle ernstzunehmenden Redner davon abhalten würde, Sextus Roscius’ Verteidigung zu übernehmen -falls es überhaupt zum Prozeß kam. Denn inzwischen war der Geisteszutand von Sextus Roscius so zerrüttet, daß sie hofften, ihn in den Selbstmord treiben oder einfach zu einem Eingeständnis seiner Schuld bewegen zu können, was eine Verteidigung überflüssig gemacht hätte.«

»Sie waren von einer geradezu widerwärtigen Selbstgewißheit«, sagte Cicero leise.

»Waren sie das?« fragte Sulla. Seine Stimme hatte einen düsteren, brütenden Beiklang. »Nicht übermäßig. Wenn dieser Prozeß vor einem halben Jahr stattgefunden hätte, glaubst du, ein Anwalt der Verteidigung hätte es gewagt, Chrysogonus’ Namen zu äußern? Die Proskription zu erwähnen?

Glaubst du, eine Mehrheit der Richter an einer der Kammern, die ich wiederhergestellt habe, hätte es gewagt, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren? Capito und Magnus hinkten schlicht sechs Monate hinterher, das ist alles. Vor einem halben Jahr hätten die Meteller keinen Finger gerührt, um Sextus Roscius zu retten. Aber jetzt spüren sie, daß meine Macht im Schwinden ist; jetzt haben sie sich entschlossen, die Grenzen meines Ansehens auszuloten und mich mit einer Niederlage vor Gericht zu treffen. Wie sich diese mächtigen, alten Familien an der festen Hand eines Diktators reiben, obwohl ich meine Macht immer dafür eingesetzt habe, ihre Truhen zu füllen und die neidischen Massen in Schach zu halten. Sie wollen alles für sich - genau wie Magnus und Capito. Bist du wirklich so stolz darauf, ihr Held zu sein, Cicero, einen blutbesudelten Vatermörder zu retten, nur um mir einen Tritt in den Unterleib zu versetzen, und das alles im Namen der alten Römertugend?«

Lange starrten sich Sulla und Cicero direkt in die Augen. Mir war, als würde Sulla auf einmal sehr alt und sehr müde aussehen und Cicero sehr jung. Doch es war Cicero, der seinen Blick als erster senkte.

»Was geschieht jetzt mit Sextus Roscius?« fragte ich.

Sulla lehnte sich zurück und atmete tief ein. »Er ist ein freier Mann, entlastet durch das Gesetz. Ein Vatermörder und ein zweifacher Brudermörder. Hat es ein solcher Mann verdient weiterzuleben? Aber dank Cicero ist diese erbärmliche Kreatur eine Art leidender Held geworden, ein mieser kleiner an einen Felsen geketteter Prometheus. Wenn man ihm die Eingeweide heraushacken würde, wie er es verdient, wäre das Volk empört. Zu Sextus Roscius wird Fortuna also gnädig sein.

Die Güter seines Vaters werden nicht an ihn zurückgegeben. Das würden meine radikalsten Feinde natürlich am liebsten sehen - eine ordnungsgemäße Proskription wird rückgängig gemacht, und der Staat räumt einen peinlichen Irrtum ein. Nein! Das wird nicht passieren, nicht solange ich lebe. Die Roscius-Güter verbleiben in der Hand ihrer jetzigen Besitzer, aber —«

Sulla verzog das Gesicht und biß sich auf die Zunge, als habe er Wermut geschmeckt. »Aber Chrysogonus wird Sextus Roscius freiwillig andere Güter, möglichst weit weg von Ameria, überlassen, deren Wert den Gütern entspricht, die man ihm abgenommen hat. Soll der Vatermörder Sextus Roscius an einem anderen Ort, wo niemand ihn und seine Vergangenheit kennt, sein gewohntes Leben führen, so gut er kann; aber die Proskription bleibt bestehen, und die beschlagnahmten Güter und seine Bürgerrechte bleiben ihm aberkannt. Nach allem, was du von diesem Mann weißt, kannst du wohl kaum behaupten, daß das ungerecht ist, oder, Cicero?«

Cicero strich sich über die Oberlippe. »Und was ist mit meiner Sicherheit und der Sicherheit derer, die mir geholfen haben? Es soll Menschen geben, die vor Mord nicht zurückschrecken.«

»Es wird kein weiteres Blutvergießen geben, keine Racheakte von Magnus oder Capito. Was den mysteriösen Tod eines gewissen Mallius Glaucia anbetrifft, dessen Leiche heute, zweifelsohne angemessen, in einer Latrine aufgefunden wurde - der Fall ist abgeschlossen und vergessen. Die Kreatur hat nie existiert. Darauf habe ich auch gegenüber den Rosciern mit Nachdruck bestanden.«

Cicero kniff die Augen zusammen. »Ein Handel hat immer zwei Seiten, Lucius Sulla.«

»Ja. Ja, in der Tat. Ich erwarte eine gewisse Zurückhaltung deinerseits, Cicero. Als Gegenleistung für meine Bemühungen zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung wirst du auf eine Mordanklage gegen Capito und Magnus verzichten; es wird keine offizielle Beschwerde gegen die Proskription von Sextus Roscius pater und keine offizielle Beschwerde wegen böswilliger Anklageführung gegen Erucius geben. Weder du noch irgendein Metellus oder einer seiner Handlanger wird einen wie auch immer begründeten Prozeß gegen Chrysogonus anstrengen. Das sage ich dir ganz ausdrücklich, Cicero, damit du es an deine Freunde unter den Metellern weiterleiten kannst. Hast du mich verstanden?«

Cicero nickte.

Sulla erhob sich. Das Alter hatte sein Gesicht verwittert, aber die Schultern ließ er nicht hängen. Seine Anwesenheit erfüllte den ganzen Raum. Neben ihm sahen Cicero und Tiro aus wie schlaksige Jungen.

»Du bist ein kluger junger Mann, Marcus Tullius Cicero, und nach allem, was ich höre, ein begnadeter Redner. Entweder du bist unvernünftig kühn oder wahnsinnig ehrgeizig, vielleicht auch beides - genau die Art Mann, die meine Freunde und ich auf dem Forum gebrauchen könnten. Ich würde meine Hand ausstrecken, um dich für unsere Sache zu gewinnen, aber du würdest sie nicht ergreifen, oder? In deinem Kopf schwirren noch immer viel zu viele verschwommene Ideale herum - die republikanische Tugend tapfer gegen die grausame Tyrannei verteidigen und dergleichen. Du hast Illusionen, was deine eigene Natur betrifft. Meine anderen Sinne mögen mich langsam im Stich lassen, aber ich bin ein schlauer alter Fuchs, und meine Nase ist immer noch gut, und ich wittere in diesem Raum einen weiteren Fuchs. Laß mich dir soviel sagen, Cicero: Der Weg, für den du dich im Leben entschieden hast, führt am Ende nur zu einem Ort, und das ist der Platz, an dem ich stehe. Vielleicht führt dich dein Weg nicht ganz so weit, aber er führt nirgendwo anders hin. Schau mich an und erblicke dein Spiegelbild, Cicero.

Was dich angeht, Sucher...« Sulla musterte mich verschlagen. » Nicht noch ein Fuchs, nein; ein Hund, denke ich, die Art, die herumläuft und die Knochen ausbuddelt, die andere Hunde vergraben haben. Ekelt dich der Dreck in deiner Schnauze nicht manchmal selbst an, ganz zu schweigen von den gelegentlichen Würmern in der Nase? Vielleicht würde ich dich eines Tages selbst engagieren, aber bald werde ich nie wieder heimliche Agenten, bestochene Richter oder intrigante Advokaten brauchen.

Ja, Bürger, traurige Nachrichten; in wenigen Tagen werde ich meinen Rückzug aus dem öffentlichen Leben bekanntgeben. Meine Gesundheit läßt mich im Stich, genau wie meine Geduld. Ich habe alles in meinen Kräften Stehende getan, den alten Adel zu stützen und den Pöbel in seine Schranken zu weisen; soll sich jemand anders um die Rettung der Republik kümmern, ich kann mein neues Leben auf dem Land kaum erwarten - umherschlendern, mich um den Garten kümmern, mit meinen Enkeln spielen. Oh, und natürlich meine Erinnerungen beenden! Ich werde darauf achten, daß du eine vollständige Kopie für deine Bibliothek übersandt bekommst, Cicero.«