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Rufus packte meinen Arm. »Still, Gordianus! Ich hab dir doch gesagt, Caecilia war den ganzen Abend nicht auf dem Balkon.«

»Caecilia war nach dem Sturz von Sextus Roscius nicht mehr auf dem Balkon. Aber was war davor - als du dich zum Schlafengehen fertig gemacht hast und Roscia noch schlummerte? Hat er dir seine Schuld dort auf dem Balkon offen gestanden, Caecilia, oder hast du nur zufällig etwas aufgeschnappt, was er im Rausch vor sich hingelallt hat?«

Rufus’ Griff wurde fester, bis er zu schmerzen begann. »Sei still, Gordianus! Caecilia war den ganzen Abend nicht auf dem Balkon!«

Ich riß mich los und trat auf Caecilia zu. Sie blieb unerschüttert in ihrer basiliskengleichen Haltung. »Doch wenn sie den ganzen Abend nicht auf dem Balkon war, wie kommt es, daß ich dieses merkwürdige Objekt auf der Brüstung gefunden habe?« Ich hielt das Teilchen zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger hoch. »Caecilia, darf ich mal deine Hand sehen?«

Sie zog eine Braue hoch, neugierig, aber nicht allzu besorgt, und streckte ihre rechte Hand aus. Ich nahm sie und spreizte vorsichtig ihre Finger. Rufus und Tiro drängten näher, hielten sich jedoch in respektvollem Abstand und blickten über meine Schulter.

Was ich suchte, war nicht da.

Wenn ich mich geirrt hatte, war ich längst zu weit gegangen, um mich noch aus der Sache herauszureden. Ein empörender Affront gegenüber einer Metella war zumindest eine spektakuläre Methode, seinen Ruf und sein Auskommen zu ruinieren. Ich schluckte nervös und blickte Caecilia direkt an.

In ihren Augen war kein Fünkchen Verständnis, kein amüsiertes Zucken huschte über ihr Gesicht, nur ein Lächeln so kalt wie Frost umspielte ihre Lippen. »Ich denke«, sagte sie leise und ernst, »es ist wohl diese Hand, die du untersuchen willst.«

Sie legte ihre Linke in meine Hand. Ich tat einen Seufzer der Erleichterung.

An der Spitze ihrer verrunzelten Finger leuchteten fünf makellose, rotgefärbte Nägel - makellos bis auf den Nagel ihres Zeigefingers, der an einer Seite abgebrochen war. Ich nahm das Stückchen roter Fingernagel, das ich auf dem Balkon gefunden hatte, und schob es in die Lücke. Es paßte wie eine Nuß in die Schale.

»Dann warst du also doch auf dem Balkon!« rief Rufus.

»Ich habe nie etwas anderes behauptet«, entgegnete sie kalt.

»Aber - das solltest du uns, finde ich, erklären. Ich bestehe darauf!«

Jetzt war ich es, der Rufus zurückhielt, indem ich sanft einen Arm um seine Schulter legte. »Weitere Erklärungen sind nicht erforderlich. Caecilia Metella ist wohl kaum verpflichtet, uns über ihre Schritte unter ihrem eigenen Dach Rechenschaft abzulegen. Oder über ihre Motive und Methoden.« Ich betrachtete die übel zugerichtete Leiche. »Sextus Roscius ist tot, gerufen von der Göttin dieses Hauses, ihre Rachsucht zu stillen. Niemand verlangt weitere Erklärungen. Es sei denn«, ich neigte den Kopf, »die Herrin des Hauses würde sich dazu herablassen, drei unwürdigen Bittstellern, die einen langen Weg zurückgelegt haben auf der Suche nach der Wahrheit, die Tatsachen zu erläutern.«

Caecilia sagte lange nichts. Sie betrachtete die Leiche von Sextus Roscius und ließ sich endlich zu einem Ausdruck des Abscheus hinreißen. »Schafft ihn weg«, befahl sie mit einem Wink. Die Sklavinnen kamen herbeigeeilt, um die Bahre ins Heiligtum zurückzutragen. Weihrauchschwaden trieben in den Flur, als sie die Tür öffneten und hinter sich wieder schlossen. »Und du, Ahausarus - ruf die Gartensklaven zusammen und laß sie die Hintertreppe schrubben. Ich will, daß bis Sonnenaufgang jede Spur vom Blut dieses Mannes getilgt ist. Und kümmere dich persönlich darum, daß das auch geschieht!«

»Aber, Herrin -«

»Los, los!« Caecilia klatschte in die Hände, und der Eunuch trollte sich schmollend. Dann musterte sie Tiro mit abschätzigem Blick. Offensichtlich wünschte sie bei ihrem Geständnis keine überflüssigen Zeugen.

»Bitte«, sagte ich, »laß den Sklaven bleiben.«

Sie sah mich mißmutig an, sagte aber nichts weiter. »Du hast mich eben gefragt, Gordianus, ob Sextus filius den Mord an seinem Vater gestanden hat oder ob ich zufällig etwas aufgeschnappt habe. Beides ist nicht ganz richtig.

Es war die Göttin, die mir die Wahrheit offenbart hat. Nicht mit Worten oder einer Vision. Aber es war ihre Hand - dessen bin ich sicher -, die mich heute abend aus diesem Heiligtum, in das ich mich zurückgezogen hatte, durch die Flure in den Teil des Hauses geführt hat, in dem die Roscii untergebracht sind.«

Ihre Augen wurden schmal, und sie faltete die Hände. Ihre Stimme wurde leise und traumwandlerisch. »Ich traf Sextus filius in einem der Flure, er taumelte im Vollrausch umher und war zu betrunken, mich überhaupt zu bemerken. Er brabbelte vor sich hin, wobei er abwechselnd weinte und lachte. Er lachte, weil er jetzt vor dem Gesetz ein freier Mann war. Und er weinte über die Schande und Nutzlosigkeit seines Verbrechens. Seine Gedanken waren wirr und unzusammenhängend; er sagte ständig irgend etwas und brach dann abrupt ab, aber der Sinn seines Gestammels war unmißverständlich. >Ich hab den Alten umgebracht, hab ihn so sicher umgebracht, als hätte ich selber zugestochen<, sagte er immer wieder, >hab alles geplant und die Stunden gezählt, bis er tot war. Ermordet hab ich ihn, hab meinen eigenen Vater ermordet! Die Justiz hatte mich in ihren Klauen, und ich bin ihr entwischt!<

Ihn so reden zu hören, ließ das Blut in meinen Ohren sausen. Stellt euch vor, was ich, verborgen im dunklen Flur, empfunden habe, als Sextus filius sein Verbrechen gestand, und es gab keine anderen Zeugen außer mir -außer mir und der Göttin. Ich spürte sie in mir, und ich wußte, was ich zu tun hatte.

Offenbar war Sextus auf dem Weg zum Schlafzimmer seiner Töchter -warum, kann ich mir nicht vorstellen. Er war so betrunken, daß er sich wahrscheinlich im Zimmer geirrt hatte. Er wollte gerade eintreten, aber es wäre nicht in meinem Sinne gewesen, wenn er die Mädchen geweckt hätte. Ich zischte ihn an, und er schrak heftig zusammen. Ich kam näher, und er wich zurück. Ich sagte, er solle mit mir auf den Balkon kommen.

Das Mondlicht war grell wie das Auge der Diana. Und in dieser Nacht ist sie wahrscheinlich eine Jägerin, und Sextus war ihre Beute. Mondlicht umfing ihn wie ein Netz. Ich verlangte, daß er mir die Wahrheit sagte. Er starrte mich an; ich sah, daß er seine Chancen abwog, mit einer Lüge davonzukommen, genau wie er alle anderen angelogen hatte. Aber das Mondlicht war zu stark. Er lachte. Er schluchzte. Er sah mich an und sagte: >Ja! Ja, ich habe deinen alten Liebhaber ermordet! Vergib mir!<

Er hatte mir den Rücken zugewandt. Er stand noch immer einige Schritte vom Rand des Balkons entfernt. Ich wußte, ich hätte ihn nie bis zur Brüstung schaffen und hinüberstoßen können, trotz seiner Trunkenheit und der Kraft, die das Mondlicht mir gegeben hatte. Ich betete zur Göttin, sie möge ihn näher an den Rand treten lassen. Doch die Göttin hatte mich bis hierher geführt, und ich wußte, daß ich die Sache nun alleine zu Ende bringen mußte.«

»Also hast du«, sagte ich, »die Nadel aus deinem Haar gezogen. «

»Ja, dieselbe, die ich zum Prozeß getragen habe, verziert mit Lapislazuli.«

»Und du hast sie ihm sauber durch den Hals gestoßen, vom Nacken bis zur Kehle.«

Ihre angespannten Gesichtszüge sackten in sich zusammen. Sie ließ die Schultern hängen. »Ja, so muß es wohl gewesen sein. Er hat überhaupt nicht geschrien, er hat nur ein merkwürdig gurgelndes und würgendes Geräusch gemacht. Ich zog die Nadel wieder heraus; es war fast kein Blut daran. Er griff sich an die Kehle und taumelte vorwärts. Er stieß gegen die Brüstung, und ich dachte, er müsse bestimmt fallen. Aber statt dessen blieb er stehen. Also hab ich ihn gestoßen, mit aller Kraft. Er hat keinen Laut von sich gegeben. Als nächstes hörte ich, wie sein Körper auf der Treppe aufschlug.«