Der Bursche grinste. »Sehr hübsch. Und sehr freundlich.« Er zog die Brauen hoch, was wohl welterfahren wirken sollte. Das Bild von Roscias nacktem Körper blitzte in meinem Kopf auf. Ich sah sie gegen die Wand gedrückt, matt vor Befriedigung, mit dem vor ihr knienden Tiro. Vielleicht war er nicht der erste gewesen.
»Erklär mir den Weg zu seinem Haus«, sagte ich. Er zuckte die Schultern. »Ich kann dir erklären, wie man dort hinkommt, aber wie gesagt, es ist nicht mehr sein Haus. Man hat Sextus Roscius vertrieben.«
»Wann?«
»Vor ungefähr zwei Monaten.«
»Und warum?«
»Per Gesetz, verfügt von Rom. Sein Vater war geächtet worden. Weißt du, was das heißt?«
»Nur zu gut.«
Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. »Und dann nehmen sie einem das ganze Land und alles Geld ab. Sie lassen der Familie nichts. Unten in Rom hat es irgendeine Auktion gegeben. Mein Vater sagte, er hätte nichts dagegen, bei einigen Grundstücken mitzubieten, vor allem bei solchen, die an unser Land grenzen. Aber er meinte, es wäre sinnlos. Die Auktionen sind immer manipuliert. Man muß ein Freund eines Freundes von Sulla sein oder den richtigen Mann kennen, den man bestechen kann.«
Das war bereits das zweite Mal, daß ich diese Proskriptionsgeschichte hörte. Sie ergab keinen Sinn, aber wenn sie stimmte, war es denkbar einfach zu beweisen, daß Sextus Roscius am Tod seines Vaters unschuldig war.
»Und wer wohnt jetzt dort?«
»Der alte Capito. Hat den Familiensitz und ein paar der besten Ackergrundstücke gekauft. Mein Vater hat auf den Boden gespuckt, als er hörte, wer unser neuer Nachbar werden würde. Den ganzen Winter hindurch hat Capito Sextus und seiner Familie erlaubt, in dem Haus wohnen zu bleiben. Die Menschen hier haben es nur für recht und billig gehalten, daß Capito Mitleid mit ihnen hatte. Dann hat er sie endgültig rausgeworfen.«
»Und hat niemand sie bei sich aufgenommen? Sextus Roscius muß doch Freunde gehabt haben, die ihm irgendwie verpflichtet waren.«
»Du wärst überrascht, wie schnell ein Mann seine Freunde verlieren kann, wenn es Ärger aus Rom gibt, sagt mein Vater immer. Außerdem war Roscius ein Einzelgänger; ich kann nicht sagen, daß er viele Freunde gehabt hätte. Mein Vater war vermutlich am ehesten so etwas wie sein Freund, wo wir doch Nachbarn waren. Nachdem Capito ihn rausgeworfen hatte, hat er ein paar Nächte unter unserem Dach gewohnt. Er und seine Frau und die Töchter.« Die Stimme des Jungen verlor sich, und an seinen Augen erkannte ich, daß er an Roscia dachte. »Aber er ist nicht lange in Ameria geblieben, sondern hat sich gleich auf den Weg nach Rom gemacht. Man sagt, der Alte hätte dort eine einflußreiche Patronin gehabt, die Sextus um Hilfe bitten wollte.«
Wir ritten eine Weile schweigend weiter. Die Räder des Ochsenkarrens quietschten und klapperten über die holperige Straße. Die Sklaven trotteten nebenher. »Du hast gesagt, der alte Herr sei geächtet worden«, sagte ich.
»Ja.«
»Und als das verkündet wurde, hat da niemand protestiert?«
»Oh doch. Man hat eine Delegation zu Sulla geschickt. Aber wenn du das wirklich genau wissen willst, müßtest du mit meinem Vater reden.«
»Wie heißt dein Vater?«
»Titus Megarus. Ich bin Lucius Megarus.«
»Und mein Name ist Gordianus. Ja, ich würde sehr gern mit deinem Vater sprechen. Sag mal, wie würde er wohl reagieren, wenn du einen Fremden zum Abendessen mitbringen würdest?«
Der Junge war auf einmal mißtrauisch. »Ich glaube, das würde drauf ankommen.«
»Worauf?«
»So wie du redest, hast du irgendein Interesse an Capito und seinem Land.«
»So ist es.«
»Und auf wessen Seite stehst du?« - »Ich bin für Sextus und gegen Capito.«
»Dann wäre mein Vater, glaube ich, erfreut, dich zu sehen.«
»Gut. Ist es noch weit bis zu eurem Haus?«
»Siehst du die Rauchfahne da rechts, genau über den Bäumen? Das ist es.«
»Das ist ja ganz nah. Und wo liegt Capitos Haus?«
»Noch ein Stück weiter, auf der anderen Seite der Hauptstraße, zu deiner Linken. Nach der nächsten Biegung kann man gleich für einen Moment das Dach sehen.«
»Sehr gut. Tu mir einen Gefallen: Wenn du nach Hause kommst, erzähl deinem Vater, daß ein Mann aus Rom ihn heute abend zu sprechen wünscht. Sag ihm, ich bin ein Freund von Sextus Roscius. Wenn er mich an seinen Tisch laden würde, wäre ich ihm überaus dankbar. Wenn ich unter eurem Dach schlafen könnte, wäre ich ihm zu doppeltem Dank verpflichtet; ein Platz in der Scheune würde mir völlig reichen. Wäre er beleidigt, wenn ich ihm Geld anbieten würde?«
»Wahrscheinlich.«
»Dann laß ich es lieber. Hier trennen sich unsere Wege für eine Weile. «Als wir die Wegbiegung hinter uns hatten, konnte ich durch die Bäume im letzten Sonnenlicht in der Ferne ein rotes Ziegeldach erkennen.
»Wo willst du hin?«
»Ich werde mal kurz bei eurem neuen Nachbarn vorbeischauen. Es ist wahrscheinlich zwecklos, aber ich möchte zumindest einen Blick auf das Haus und vielleicht auch auf seinen Besitzer werfen.« Ich winkte dem Jungen zu und drängte Vespa dann zu einem gleichmäßigen Trab.
Das Haus, in dem Sextus Roscius der Jüngere geboren und groß geworden war und über das er in Abwesenheit seines Vaters geherrscht hatte, war das großartige Beispiel einer idealen Landvilla, ein imposantes, zweistöckiges Gebäude mit einem roten Lehmdach, umgeben von einer Ansammlung von Schuppen und Scheunen. Im schwächer werdenden Licht hörte ich das Läuten von Kuhglocken und das Blöken von Schafen. Die Herden wurden heimgetrieben. Arbeiter kamen durch Weinlauben von den Feldern getrottet; eine lange Reihe von Sensen schien über ein Meer von Blättern und Ranken zu treiben. Ihre scharfen Klingen fingen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ein und blitzten kalt und blutfarben herüber.
Das Haupthaus war Gegenstand umfangreicher Renovierungsarbeiten. Ein Labyrinth von Stegen und Netzen verdeckte die Fassade, und links und rechts des Hauses wurden symmetrische Seitenflügel angebaut. Die Anbauten befanden sich noch in halbfertigem Zustand und wirkten wie blanke Gerippe. Durch den linken Seitenflügel konnte ich Ansätze einer Gartenanlage erkennen, in der ein rotgesichtiger Kampfhahn von einem Mann ungeduldig zwischen den Erdarbeiten und Spalieren auf und ab schritt und einer Gruppe von Sklaven Befehle zubellte. Die Sklaven stützten sich auf ihre Spaten, ihre dreckverschmierten Gesichter trugen den gelangweilten Ausdruck von Menschen, die man schon sehr lange angebrüllt hat.
Ihr Herr tobte weiter, und es machte nicht den Eindruck, als wolle er demnächst aufhören. Er rannte vor und zurück, fuchtelte mit den Armen und schien die Luft mit seinen Fäusten erwürgen zu wollen. Er war ein Mann auf der Schwelle zum Alter, weißhaarig und leicht gebeugt. Bei seiner Auf- und Abmarschiererei konnte ich sein Gesicht nur jeweils einen Moment lang sehen. Seine Haut war gegerbt und von Pockennarben übersät. Nase, Wangen und Kinn schienen ineinander überzugehen. Bemerkenswert waren allein seine Augen, die hell wie die Klingen der weit entfernten Sensen im letzten Tageslicht funkelten.
Ich stieg ab und hielt Vespas Zügel, während ich an die Tür klopfte. Der große, hagere Sklave, der öffnete, starrte unterwürfig auf meine Füße und erklärte in einem verängstigten Flüstern, daß sein Herr außer Haus beschäftigt sei.
»Ich weiß«, sagte ich. » Ich hab gesehen, wie er im Garten eine Parade abhält. Aber es ist nicht dein Herr, den ich sprechen möchte.«
»Nicht? Ich fürchte, die Herrin ist ebenfalls unabkömmlich.« Der Sklave blickte auf, jedoch nicht hoch genug, um mir in die Augen zu sehen.
»Sag mal, wie lange bist du schon Capitos Sklave?«
Er runzelte die Stirn, als versuche er im stillen zu entscheiden, ob die Frage gefährlich war. »Erst seit kurzem.«
»Erst seit das Gut seinen Besitzer gewechselt hat -meinst du. Mit anderen Worten, du hast zum Hausstand gehört.«