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Rufus sah mir direkt in die Augen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war so seltsam, daß ich ihn nicht zu deuten wußte. »Weiß Cicero Bescheid?« wiederholte er flüsternd. Dann war der Anfall vorbei. Rufus wirkte sehr müde. »Über Tiro und Roscia, meinst du. Nein, natürlich weiß er nichts. Er würde so etwas nie bemerken. Solche Leidenschaften nimmt er gar nicht wahr.«

Rufus ließ sich tief verzweifelt in die Kissen zurücksinken.

»Ich verstehe«, sagte ich. »Obwohl es dir vielleicht schwerfällt, das zu glauben, ich verstehe dich. Roscia ist natürlich ein prachtvolles Mädchen, aber versetz dich einmal in ihre Lage. Es gibt für dich keine Möglichkeit, ihr auf schickliche Art den Hof zu machen.«

»Roscia?« Er sah mich verdutzt an und rollte dann mit den Augen. »Was kümmert mich Roscia?«

»Ich verstehe«, sagte ich wieder, ohne irgend etwas zu verstehen. »Oh. Dann ist es Tiro, den du...« Ich sah mich auf einmal mit einer ganzen Reihe neuer Komplikationen konfrontiert.

Dann erkannte ich die Wahrheit. Von einem Moment zum nächsten verstand ich, nicht wegen seiner Worte oder seiner Miene, sondern wegen einer Nuance des Tonfalls oder Augenaufschlags, die mir eben erst wieder eingefallen war, ein isolierter Augenblick, der die Erinnerung an einen anderen auslöst, so wie uns Offenbarungen manchmal unvorbereitet und scheinbar unerklärlich zuteil werden.

Wie absurd, dachte ich, und gleichzeitig auch wieder rührend, denn wen hätte die Ernsthaftigkeit seines Leidens nicht gerührt? Die Gesetze der Menschen streben nach Ausgewogenheit, doch die Gesetze der Liebe sind der Inbegriff der Launenhaftigkeit. Mir kam es so vor, als sei Cicero - der gesetzte, pingelige und von Verdauungsstörungen geplagte Cicero -wahrscheinlich der letzte Mensch in Rom, der Rufus’ Begierde erwidern würde; der Junge hätte sich kein hoffnungsloseres Liebesobjekt aussuchen können. Ohne Zweifel strebte Rufus, jung und voller intensiver Gefühle, wie er war, den griechischen Idealen von Ciceros Freundeskreis nach, sah sich als Alkibiades für Ciceros Sokrates. Kein Wunder, daß ihn die Vorstellung wütend machte, was Tiro und Roscia in eben diesem Augenblick genossen, während er von unstillbarer Leidenschaft und aller angestauter Energie seiner Jugend verzehrt wurde.

Ich lehnte mich in meinen Stuhl zurück, perplex und ohne zu wissen, welchen Rat ich ihm geben konnte. Ich klatschte in die Hände, winkte eine Sklavin herbei und bestellte uns neuen Wein.

21

Der Stallmeister war nicht begeistert, als er den Bauerngaul sah, auf dem ich anstelle seiner geliebten Vespa angeritten kam. Eine Handvoll Münzen und die Versicherung, daß er für seine Unannehmlichkeiten reichlich belohnt würde, beruhigten ihn jedoch wieder. Was Bethesda anging, so ließ er mich wissen, daß sie während meiner gesamten Abwesenheit geschmollt hatte, in der Küche drei Schüsseln zerdeppert, die ihr zugeteilte Näharbeit ruiniert und sowohl die Köchin wie die Haushälterin zum Weinen gebracht hatte. Sein Verwalter hatte darum gebeten, sie schlagen zu dürfen, was der Stallmeister jedoch mit Rücksicht auf unsere Absprache verboten hatte. Er rief einem seiner Sklaven zu, er solle sie holen. »Ein Glück, daß wir sie los sind«, fügte er noch hinzu, aber als sie wie eine Königin aus seinem Haus in die Ställe stolziert kam, bemerkte ich, daß er seinen Blick kaum von ihr wenden konnte.

Ich täuschte Desinteresse vor, sie unnahbare Kühle. Sie bestand darauf, auf dem Heimweg beim Markt vorbeizugehen, damit wir am Abend etwas zu essen im Haus hatten. Während sie ihre Einkäufe machte, schlenderte ich auf der Straße umher und nahm die schmutzigen Gerüche und Sehenswürdigkeiten der Subura in mich auf, froh, wieder zu Hause zu sein. Selbst der Haufen frischen Unrats, den wir bei unserem Aufstieg passieren mußten, tat meiner guten Laune keinen Abbruch.

Scaldus, der Sklave des Stallmeisters, lehnte mit ausgestreckten Beinen an der Tür. Zunächst glaubte ich, er schliefe, aber als wir uns näherten, rührte sich der Koloß und sprang mit alarmierender Behendigkeit auf die Füße. Als er mein Gesicht sah, entspannte er sich und grinste dümmlich. Er erklärte mir, daß er sich mit seinem Bruder abgewechselt hatte, so daß das Haus keinen Augenblick unbewacht gewesen sei, daß jedoch in meiner Abwesenheit niemand vorbeigekommen sei. Ich gab ihm eine Münze und sagte, er könne jetzt gehen, worauf er unverzüglich gehorsam den Hügel hinabeilte.

Bethesda sah mich entsetzt an, aber ich versicherte ihr, daß für unsere Sicherheit gesorgt war. Cicero hatte versprochen, für die Bewachung des Hauses aufzukommen. Bevor wir schlafen gingen, würde ich in der Subura einen Leibwächter anheuern.

Sie wollte etwas sagen, und an der Art, wie sie ihre Lippen schürzte, erkannte ich, daß es etwas Sarkastisches sein würde. Also verschloß ich ihren Mund mit einem Kuß. Ich führte sie rückwärts ins Haus und schloß die Tür mit meinem Fuß. Sie ließ das Gemüse und das Brot, das sie getragen hatte, fallen und schlang ihre Arme um meinen Hals und meine Schultern. Sie sank zu Boden und zog mich zu sich herab.

Sie war überglücklich, mich wiederzusehen, und sie zeigte es mir. Aber sie war auch wütend, daß ich sie in einem fremden Haus zurückgelassen hatte, und sie zeigte mir auch das. Sie krallte ihre Nägel in meine Schultern, trommelte mit den Fäusten auf meinen Rücken und kniff meinen Hals und meine Ohrläppchen. Ich fiel über sie her wie ein seit Tagen ausgehungerter Mann. Es schien mir unvorstellbar, daß ich nur zwei Nächte weggewesen war.

Sie hatte am Morgen gebadet. Ihre Haut schmeckte nach einer fremden Seife, und sie hatte sich hinter den Ohren, am Hals und an den geheimsten Stellen ihres Körpers mit einem ungewohnten Parfüm betupft - das sie, wie sie mir später erzählte, aus dem Privatversteck der Frau des Stallmeisters geklaut hatte, als keiner hinsah. Wir lagen nackt und erschöpft in den letzten Strahlen der Sonne, während unser Schweiß einen obszönen Abdruck auf dem abgenutzten Teppich hinterließ. Mein Blick wanderte zufällig über die geschmeidigen Kurven ihres Körpers und fiel auf die Botschaft, die noch immer in Blut an die Wand hinter uns geschmiert war » Schweig oder stirb...«

Ein plötzlicher Windzug aus dem Atrium kühlte den Schweiß auf meinem Rücken. Unter meiner Zunge überzog sich Bethesdas Schulter mit einer Gänsehaut. Einen merkwürdigen Augenblick lang schien es, als würde mein Herz aufhören zu schlagen, als hätte es zwischen dem verblassenden Licht, der Wärme ihres Körpers und der Botschaft über uns vorübergehend ausgesetzt. Die Welt kam mir auf einmal vor wie ein fremder, unheimlicher Ort, und mir war, als hörte ich die Worte als Flüstern in meinem Ohr. Ich hätte das als Omen deuten können. Ich hätte auf der Stelle aus meinem Haus, aus Rom und vor der römischen Justiz fliehen können. Statt dessen biß ich in Bethesdas Schulter, sie stöhnte auf, und der Abend strebte weiter seinem verzweifelten Abschluß entgegen.

*

Gemeinsam zündeten wir die Lampen an - und obwohl Bethesda ein furchtloses Gesicht aufsetzte, bestand sie doch darauf, daß in jedem Zimmer Licht brannte. Ich schlug vor, daß sie mich auf dem Weg in die Subura begleitete, wo ich mich nach einem Leibwächter umsehen wollte, aber sie bestand darauf, zu Hause zu bleiben, um das Essen zu machen.

Die Vorstellung, sie auch nur für kurze Zeit allein im Haus zurückzulassen, verursachte mir quälende Sorgen, aber sie blieb hartnäckig und bat mich nur, schnell zurück zu sein. Ich begriff, daß sie sich entschieden hatte, tapfer zu sein, und auf ihre eigene Art ihre Macht über das Haus wiedergewinnen wollte; in meiner Abwesenheit würde sie ein Weihrauchstäbchen verbrennen und irgendein Ritual zelebrieren, das sie vor langer Zeit von ihrer Mutter gelernt hatte. Nachdem sich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lauschte ich einen Moment, um sicherzugehen, daß Bethesda sie von innen verriegelte.