Der Mond ging, inzwischen fast voll, am Himmel auf und warf ein bläuliches Licht über die Häuser auf dem Hügel, so daß die Ziegeldächer aussahen, als seien sie mit einem Kupferfries verziert worden. Die Subura zu meinen Füßen war wie ein riesiges Becken aus Licht und gedämpften Geräuschen, in das ich eintauchte, als ich rasch den Hügel hinabstieg und auf die zur Nachtzeit geschäftigste Straße Roms trat.
Irgendein Bandenmitglied hätte ich an jeder Straßenecke aufgabeln können, aber ich wollte keinen gewöhnlichen Schläger. Ich suchte einen professionellen Kämpfer und Leibwächter aus dem Gefolge eines reichen Mannes, ein Sklave von bewährter Qualität, dem man trauen konnte. Ich ging zu einer kleinen Taverne hinter einem der besseren Bordelle an der Via Subura und traf dort Varus den Mittler. Er begriff sofort, was ich wollte, und wußte, daß ich kreditwürdig war. Nachdem ich ihm einen Becher Wein spendiert hatte, verschwand er und kehrte wenig später mit einem Riesen im Schlepptau zurück.
Die beiden gaben ein recht gegensätzliches Paar ab, als sie nebeneinander in den düsteren Raum traten. Varus war so klein, daß er nur bis zum Ellenbogen des Riesen reichte; seine Glatze und seine beringten Finger glänzten im Licht, während seine käsigen Gesichtszüge im Schein der Lampen völlig konturlos wurden und ineinanderzufließen schienen. Das Ungeheuer an seiner Seite wirkte kaum gezähmt; in seinen Augen glomm ein glühendes Rot, das kein Widerschein der Lampen war. Er machte einen fast unnatürlich kräftigen und soliden Eindruck, als ob er aus Baumstämmen oder Granitblöcken gemacht sei; selbst sein Gesicht sah aus, als sei es aus Stein gemeißelt, ein vom Künstler wegen seiner Grobschlächtigkeit verworfener Rohentwurf. Sein Haar und sein Bart waren lang und zottig, aber nicht verwahrlost, und seine Tunika war aus gutem Stoff. Diese Kleidung ließ einen verantwortungsbewußten Besitzer erkennen. Er sah so gut gepflegt aus wie ein edles Pferd. Außerdem sah er aus, als könne er einen Menschen mit bloßen Händen töten. Er war genau der Mann, den ich wollte. Sein Name war Zoticus.
»Der Lieblingsleibwächter seines Herrn«, versicherte Varus. »Der Mann tut keinen Schritt aus dem Haus, ohne Zoticus an seiner Seite zu wissen. Ein bewährter Totschläger -hat erst letzten Monat das Genick eines Einbrechers gebrochen. Und kräftig wie ein Ochse, da kannst du sicher sein. Riechst du seine Knoblauchfahne? Sein Herr verfüttert es an ihn wie Hafer an ein Pferd. Ein alter Gladiatorentrick zur Kräftigung. Sein Herr ist ein wohlhabender und respektabler Besitzer von drei Bordellen, zwei Tavernen und einer Spielhalle hier in der Subura; ein Mann, der auf dieser Welt keinen Feind hat, dessen bin ich sicher, aber er schützt sich gerne gegen das Unvorhersehbare. Wer würde das nicht? Macht keinen Weg ohne seinen treuen Zoticus. Aber weil er Varus einen Gefallen schuldet, überläßt er mir die Kreatur ausnahmsweise als Leihgabe - für die vier Tage, um die du gebeten hast, nicht länger. Um eine lange zurückliegende Schuld bei mir zu begleichen. Du kannst dich wahrhaft glücklich schätzen, Gordianus, Varus den Mittler als Freund zu haben.«
Wir feilschten um die Bedingungen, und ich ließ ihn ein viel zu gutes Geschäft machen, weil mich die Sorge zu Bethesda zurücktrieb. Aber der Sklave war sein Geld wert; als wir durch das Gedränge der Subura schritten, merkte ich, wie die Leute Platz machten, uns auswichen und eingeschüchterte Blicke über meinen Kopf hinweg auf das Ungeheuer hinter mir warfen. Zoticus sprach wenig, was mich weiter für ihn einnahm. Als wir den Pfad zu meinem Haus hinaufstiegen und den Lärm der Subura hinter uns ließen, schwebte er über mir wie ein Schutzgeist und hatte die ganze Zeit ein wachsames Auge auf die Schatten um uns herum.
Als wir in Sichtweite des Hauses kamen, hörte ich, wie sein Atem schneller ging, und spürte seine Hand wie einen Ziegelstein auf meiner Schulter. Vor der Tür stand ein fremder Mann mit verschränkten Armen. Er wies uns an, stehenzubleiben, und zückte dann aus einem Ärmel einen langen Dolch. Einen Augenblick später fand ich mich hinter Zoticus wieder, und während die Welt an mir vorbeisauste, sah ich in den Augenblicken eine lange Klinge in seiner Faust.
Klappernd öffnete sich die Haustür, und ich hörte Bethesda lachen und dann erklären. Anscheinend hatte ich Cicero falsch verstanden. Er hatte nicht nur angeboten, einen Leibwächter zu bezahlen; er hatte sich sogar die Mühe gemacht, den Mann persönlich vorbeizuschicken. Nur eine Minute, nachdem ich das Haus verlassen hatte, hatte es an der Tür geklopft. Bethesda hatte das Pochen zunächst ignoriert und dann schließlich durch das Fenstergitter gespäht. Der Mann hatte nach mir gefragt; Bethesda hatte vorgegeben, daß ich mich im Haus aufhielt, jedoch unpäßlich sei. Er hatte Ciceros Namen genannt, seine Empfehlung übermittelt und erklärt, daß er geschickt worden sei, das Haus zu bewachen, wie sich ihr Herr bestimmt erinnern würde. Und ohne ein weiteres Wort hatte er seinen Posten bei der Tür bezogen.
»Zwei sind auf jeden Fall besser als einer«, fand Bethesda, und ich spürte einen Stich, als sie beide nacheinander eingehend betrachtete. Und vielleicht war es dieses winzige Aufflammen von Eifersucht, das mich das Offensichtliche übersehen ließ. Ich hätte schwerlich sagen können, welcher von beiden häßlicher oder größer oder einschüchternder war oder welchen Bethesda faszinierender zu finden schien. Ohne seinen roten Bart und das rötliche Gesicht hätte der andere Zoticus’ Bruder sein können. Sie musterten sich wie unter Gladiatoren üblich, mit aufeinandergepreßten Zähnen und Basiliskenblick, als ob das kleinste Zucken ihrer Lippen die Aufrichtigkeit ihrer gegenseitigen Verachtung trüben könnte.
»Na gut«, sagte ich, »heute nacht lassen wir sie beide Wache schieben, morgen entscheiden wir uns dann für einen. Einer patrouilliert um das Haus und auf dem Pfad, der andere bleibt drinnen in der Halle.«
Cicero hatte mir gesagt, ich solle mich selbst um einen Wächter kümmern; daran konnte ich mich recht deutlich erinnern. Aber vielleicht hatte er in seiner Aufregung über die Neuigkeiten, die ich ihm gebracht hatte, seine eigenen Anweisungen vergessen. Ich konnte ohnehin nur an die Düfte denken, die mir aus Bethesdas Küche entgegenschlugen, und an einen langen, sorgenfreien Nachtschlaf.
Als ich die Halle verließ, warf ich einen Blick auf den Rotbart, den Cicero mir geschickt hatte. Er saß mit verschränkten Armen, den Blick auf die
gegenüberliegende, verschlossene Tür gerichtet, auf einem Stuhl an der
Wand, den blanken Dolch noch immer gezückt. Über seinem Kopf stand die in Blut geschriebene Botschaft, so daß ich es nicht vermeiden konnte, sie ein weiteres Mal zu lesen. »Schweig oder stirb.« Die Worte machten mich krank; am Morgen würde ich Bethesda die Wand abschrubben lassen. Ich sah in Rotbarts starre Augen und warf ihm ein Lächeln zu. Er lächelte nicht zurück.
*
In Komödien treten häufig Charaktere auf, die etwas Dummes tun, das für jeden im Publikum, für jeden auf der Welt außer ihnen selbst völlig offensichtlich dumm ist. Die Zuschauer zappeln auf ihren Sitzen, lachen und rufen manchmal sogar laut: »Nein, nein! Siehst du denn nicht, du Dummkopf?« Doch der zu seinem Schicksal verdammte Mensch auf der
Bühne kann sie nicht hören, und die Götter fahren zu ihrer großen
Belustigung fort, die Vernichtung eines weiteren blinden Sterblichen in die Wege zu leiten.
Manchmal jedoch führen sie uns nur bis an die Schwelle der Katastrophe, um uns dem Abgrund im letzten Moment zu entreißen, wobei sie sich über unsere unerklärliche Rettung genauso köstlich amüsieren wie über unseren unvorhersehbaren Tod.
In jener Nacht wachte ich plötzlich völlig übergangslos auf und trat in jenen seltsamen Bewußtseinszustand ein, der die Welt zwischen Mitternacht und Dämmerung regiert. Ich lag allein in meinem Zimmer. Bethesda hatte mich nach einem ausgiebigen Mahl mit Fisch und Wein dorthin geführt, mir meine Tunika abgestreift, mich trotz der Hitze mit einer dünnen Wolldecke zugedeckt und wie ein Kind auf die Stirn geküßt. Ich stand auf und ließ die Decke zu Boden sinken; die Nachtluft war stickig vor Hitze. Das Zimmer lag im Dunkeln, nur ein einzelner Strahl Mondlicht fiel durch das winzige hohe Fenster. Blind tappte ich zur Ecke des Zimmers, konnte jedoch in der Finsternis meinen Nachttopf nicht finden, oder Bethesda hatte ihn ausgeleert und nicht zurückgestellt.