»Was?« Er kräuselte irritiert die Nase, blickte jedoch nicht auf.
»Vatermörder oder nicht, was für ein Mensch ist dieser Sextus Roscius?«
Cicero ließ die Schriftrolle auf seine Brust sinken und sah mir lange in die Augen, bevor er sprach. »Gordianus, nun hör mir mal gut zu. Im Moment habe ich kein Interesse, den Charakter von Sextus Roscius zu erörtern oder seine kleinen Sünden zu beurteilen. Die Informationen, die du mir gebracht hast, enthalten nichts, was meinen Prozeßvorbereitungen nützlich sein könnte; für mich sind sie wertlos. Ich habe dafür keine Zeit - ich habe für gar nichts Zeit, was mich von dem einfachen, geschlossenen logischen Zirkel ablenkt, den zur Verteidigung von Sextus Rosicus zu konstruieren ich mich so angestrengt bemühe. Deine Pflicht, Gordianus, ist es, mir beim Errichten dieses Bauwerks zu helfen und nicht das Fundament zu zerstören oder Steine, die ich bereits gemauert habe, wieder herauszureißen. Hast du mich verstanden?«
Er machte sich nicht die Mühe, darauf zu warten, ob ich nickte oder nicht. Mit einem Seufzer und einem Winken entließ er mich und wandte sich wieder seinen Aufzeichnungen zu.
*
Ich fand Bethesda in meiner Schlafkammer. Sie war eifrig damit beschäftigt, sich die Nägel mit einer neuen Hennaverbindung zu lackieren, die sie auf einem Markt in der Nähe des Circus Flaminius entdeckt hatte, wo sie die meiste Zeit des Tages bummelnd und tratschend verbracht hatte. Sie wurde eben mit ihrem großen Zeh fertig. Sie saß vorgebeugt mit angewinkeltem Bein, so daß ihr Gewand sich teilte und den Blick auf ihren nackten Oberschenkel freigab. Sie lächelte und wackelte wie ein Kind mit den Zehen.
Ich trat zu ihr und strich ihr mit dem Handrücken übers Haar. Sie blinzelte und streckte mir ihre Wange entgegen, um deren sanfte Haut an meinen Fingerknöcheln zu reiben. Plötzlich fühlte ich wie ein Tier das Verlangen, in der Sinnenwelt des Körpers zu versinken.
Statt dessen befiel mich eine große Verwirrung. Immer wieder blitzte Roscias Bild in meinem Kopf auf, brachte mein Blut in Wallung und ließ mein Gesicht glühen von einer Hitze, die weder reine Lust noch reine Scham war, sondern eine Mischung aus beidem. Ich fuhr mit der Hand über Bethesdas Haut, schloß die Augen und sah den nackten, zitternden Körper des Mädchens, eingekeilt zwischen der Wand und Tiros stoßenden Flanken. Ich berührte Bethesdas Ohr mit den Lippen; sie seufzte, und ich erschauderte, weil ich mir einbildete, gehört zu haben, wie sie den Namen des kleinen Mädchens flüsterte: »Minora, Minora.« Natürlich hatte ich das Kind bei meiner ersten Befragung von Sextus Roscius gesehen, aber ich konnte mich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Ich sah nur Roscias gequälte Miene, als ich sie verhörte, denselben Ausdruck, den sie getragen hatte, als Tiro sie nahm.
Lust, Scham, Ekstase und Qual wurden eins, und selbst mein eigener Körper verschmolz mit dem Bethesdas. Sie klammerte ihre kühlen Schenkel um mein Geschlecht und preßte sie leise lachend zusammen. Der junge Lucius auf der Straße nach Ameria fiel mir ein, grinsend und errötend; ich stellte mir vor, wie Roscia sich, die Schenkel noch feucht von Lucius’ Samen, dem Vater des Jungen anbot. Wie hatte Titus Megarus sie zurückgewiesen -mit einem bedauernden Seufzer, einem verächtlichen Schaudern, einer festen, väterlichen Ohrfeige? Ich sah die groben, von der Landarbeit gegerbten Hände von Sextus Roscius, die zwischen die kühlen Schenkel des Mädchens glitten, seine Schwielen, die über ihre geschmeidige Haut kratzten. Ich schloß fest die Augen und sah seine Augen, die mir glühend wie Kohlen entgegenstarrten.
Bethesda umarmte mich, gurrte in mein Ohr und fragte mich, warum ich zitterte.
Als ich den Höhepunkt nahen spürte, löste ich mich von ihr und ergoß mich zwischen ihren Beinen über die ohnehin zerknitterten und von der Hitze unserer Körper feuchten Laken. Eine gigantische Leere tat sich auf und schloß sich gleich wieder. Mein Kopf lag zwischen ihren Brüsten, die sich sanft hoben und senkten wie das Deck eines Schiffes auf dem offenen Meer. Langsam, ganz langsam löste sie ihre hennalackierten Nägel aus meinem Rücken wie eine Katze, die ihre Krallen zurückzieht. Neben dem pochenden Herzschlag in meinem Ohr konnte ich aus dem Garten eine dünne Stimme hören:
»Die Natur und die Götter verlangen absoluten Gehorsam gegenüber dem Vater. Wie von Weisen treffend gesagt wird, kann schon durch bloßes Verziehen des Gesichts die Kindespflicht verletzt... nein, nein, den Teil bin ich schon oft genug durchgegangen. Wo ist es, der Abschnitt, wo ich... Tiro, komm und hilf mir! Ah, hier: Aber laßt uns nun die Rolle betrachten, die jener Chrysogonus in dieser Angelegenheit gespielt hat - kaum goldgeboren, wie sein fremder Name andeutet, sondern vielmehr aus dem unreinsten aller Metalle, verkleidet und billig veredelt durch seine eigenen heimtückischen Anstrengungen, wie ein mit gestohlenem Gold plattiertes Blechgefäß...«
*
Die Gesellschaft in Chrysogonus’ Haus sollte erst nach Sonnenuntergang beginnen. Bis dahin hatte Cicero längst gegessen und sich ein Nachtgewand angelegt. Die meisten Sklaven schliefen, und das Haus war bis auf die Räume, in denen Cicero noch an seiner Rede arbeiten wollte, verdunkelt. Auf mein Drängen hatte er widerwillig einige seiner kräftigeren Sklaven als Wächter auf dem Dach und in der Halle postiert. Es schien unwahrscheinlich, daß unsere Feinde es wagen würden, Cicero direkt anzugreifen, aber sie hatten bereits demonstriert, daß sie zu Schandtaten weit jenseits meiner Erwartungen fähig waren.
Ich hatte ursprünglich erwogen, daß Tiro und ich Rufus in der Verkleidung von Sklaven begleiten könnten, aber das kam jetzt wohl nicht mehr in Frage; es bestand aller Grund zu der Annahme, daß einer der Gäste einen von uns oder beide wiedererkannte. Statt dessen sollte Rufus allein an der Gesellschaft teilnehmen und sich vom Haus seiner Familie aus mit eigenem Gefolge dorthin auf den Weg machen. Tiro und ich würden draußen im Schatten auf ihn warten.
Chrysogonus’ Haus war nur wenige Schritte von Caecilias Villa entfernt und lag ganz in der Nähe von dem Park, in dem Tiro Roscia getroffen hatte. Im ersterbenden Licht beobachtete ich, wie er den undurchdringlichen Schatten einen verstohlenen Blick zuwarf, als ob sie dort noch immer auf ihn warten könnte. Er verlangsamte seine Schritte, bis er schließlich ganz stehenblieb und in die Dunkelheit starrte. Ich ließ ihn einen Moment gewähren und zupfte dann an seinem Ärmel. Er fuhr zusammen, sah mich stumm an und folgte mir dann rasch.
Der Eingang zu Chrysogonus’ Villa war hell erleuchtet, und zahllose Geräusche drangen herüber. Fackeln säumten den Portikus, manche steckten in Wandhaltern, andere wurden von Sklaven getragen. Eine Gruppe von Leier-, Zimbel- und Flötenspielern musizierte in der Nähe, während ununterbrochen neue Gäste eintrafen. Die meisten von ihnen hatten sich von keuchenden Sklaven in Sänften den Berg hinauftragen lassen. Einige, die selbst auf dem Palatin lebten, waren bescheiden genug, zu Fuß zu kommen, umgeben von Trauben kriecherischer, überflüssiger Diener und Sklaven.
Nachdem die Sänftenträger ihre Herren vor der Haustür abgeliefert hatten, wurden sie um eine Ecke zum hinteren Teil des Hauses geschickt. Das Begleitpersonal wurde auf die Räumlichkeiten verteilt, in denen sich die Sklaven zum Warten versammelten, während sich ihre Herren unterhalten ließen. Es war ein warmer Abend; zahlreiche Gäste blieben auf der Schwelle stehen, um den Musikern zuzuhören. Ihre Melodien wehten süßer als Vogelgesang im Zwielicht herüber. Chrysogonus konnte sich von allem das Beste leisten.
»Aus dem Weg!« Die Stimme klang vertraut und ertönte hinter uns. Tiro und ich sprangen zur Seite, als rumpelnd eine Sänfte an uns vorbeisauste. Es war ein offenes Modell, das von zehn Sklaven getragen wurde. Die Passagiere waren niemand anders als Rufus in Begleitung seines Halbbruders Hortensius. Rufus hatte gerufen; er schien sich prächtig zu amüsieren, lachte laut und warf uns ein verschwörerisches Grinsen zu, als er vorbeikam. Seine geröteten Wangen deuteten daraufhin, daß er sich für den Abend Mut angetrunken hatte.