»Vielleicht kann sie ihnen eine Botschaft übermitteln.«
»Das habe ich sie schon gefragt. Chrysogonus würde sehr wütend werden, wenn sie während der Feier nach unten kämen. Aber sie ist bereit, euch zu ihnen zu führen.«
»Wo ist das Mädchen?«
»Sie wartet in der Speisekammer auf mich. Sie hat so getan, als müsse sie etwas holen.«
»Vielleicht rennt sie aber auch in diesem Augenblick zu Chrysogonus.«
Rufus sah sich besorgt zu der Tür um und schüttelte dann den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Du weißt doch, wie das ist. Man weiß, ob ein Sklave bereit ist, irgendeine schmutzige Sache hinter dem Rücken seines Herrn abzuwickeln. Ich glaube, sie kann den Goldengeborenen nicht besonders leiden. Sklaven hassen es, für einen Freigelassenen zu arbeiten, heißt es doch - die ehemaligen Sklaven sind immer die grausamsten Herren.«
Ich blickte zu der Tür und dachte, wie leicht uns dahinter der Tod erwarten könnte. Ich atmete tief ein und beschloß dann, mich auf Rufus’ Einschätzung zu verlassen. »Geh voran.«
Er nickte und öffnete verstohlen die Tür. Der Sturz war so niedrig, daß ich mich bücken mußte. Tiro folgte mir. Es bestand keine Veranlassung, daß er mitkam, und ich hatte ihn eigentlich vor der Tür warten lassen wollen, aber als ich mich über die Schulter umsah, war sein Gesichtsausdruck von solcher Entschlossenheit, daß ich nachgab. Leise quietschend schloß sich die Tür hinter uns.
Das Mädchen war jung und hübsch, mit langen schwarzen Haaren und einer zarten Haut, die im Licht der Lampe, die sie in der Hand hielt, honigfarben glänzte. Wäre sie eine Kurtisane gewesen, wäre ihr Aussehen nicht weiter bemerkenswert gewesen, für ein einfaches Serviermädchen jedoch schien ihre Schönheit von absurder Extravaganz. Chrysogonus war berühmt dafür, sich mit hübschen Dekorationen und Spielsachen zu umgeben.
»Das sind die Männer«, erklärte Rufus. » Kannst du sie so leise nach oben bringen, daß niemand etwas merkt?«
Das Mädchen nickte und lächelte, als ob es dumm sei, überhaupt zu fragen. Dann öffnete sich ihr Mund, sie schnappte nach Luft und fuhr herum. Die Tür hinter ihr ging langsam auf.
Der Raum war niedrig und eng, mit Regalen, Flaschen, Urnen, Schalen und Säcken vollgestellt. Knoblauch hing von der Decke, und der staubige Geruch, der vom Boden aufstieg, lag schwer in der Luft. Ich zog mich, soweit ich konnte, in eine Ecke zurück und drängte Tiro hinter mich. Im selben Augenblick schlang Rufus seinen Arm um die Taille des Mädchens, zog sie an sich und preßte seinen Mund auf ihren.
Die Tür ging auf. Rufus küßte das Mädchen noch einen Moment länger, dann lösten sie sich voneinander.
Der Mann in der Tür war hochgewachsen und breitschultrig, so groß, daß er fast den ganzen Rahmen füllte. Von hinten fiel Licht auf sein Haar, das wie ein schimmernder goldener Heiligenschein um sein im dunkeln liegendes Gesicht lag. Er kicherte leise und trat näher. Die Lampe, die in der Hand des Mädchens zitterte, beleuchtete sein Gesicht von unten. Ich sah das Blau seiner Augen und das Grübchen in seinem breiten Kinn, die hohen Wangenknochen und die glatte, klare Stirn. Er war nur wenige Schritte entfernt von mir und hätte mich zwischen den Tontöpfen und Urnen bestimmt gesehen, wenn es nicht so dunkel gewesen wäre. Ich bemerkte, daß das Mädchen das Licht bewußt mit dem Körper abschirmte und ihn mit ihrer Lampe blendete, um uns in noch tieferen Schatten zu tauchen.
»Rufus«, sagte er schließlich, wobei er das Wort mit einem langgezogenen Zischen ausklingen ließ, als sei es kein Name, sondern ein Seufzer. Er sagte es noch einmal, diesmal mit einer merkwürdigen Betonung der Vokale. Seine Stimme war tief und voll, verspielt, angeberisch und so intim wie eine Berührung. »Sulla fragt nach dir. Sorex wird jetzt gleich tanzen. Eine Meditation über den Tod der Dido - hast du sie schon gesehen? Sulla wäre gar nicht froh darüber, wenn du es verpaßt.«
Es entstand eine lange Pause. Ich bildete mir ein, daß Rufus’ Ohren rot wurden, aber vielleicht war es auch nur das hindurchscheinende Licht.
»Aber natürlich, wenn du beschäftigt bist, werde ich Sulla sagen, daß du einen Spaziergang machst.« Chrysogonus sprach langsam wie ein Mann, der keinen Grund zur Eile hat.
Er wandte seine Aufmerksamkeit dem Mädchen zu. Er ließ seinen Blick über ihren Körper wandern und griff nach ihr. Wo er sie berührte, konnte ich nicht erkennen. Sie erstarrte, keuchte, und die Lampe in ihrer Hand zitterte. Tiro zuckte hinter mir. Ich legte meine Hand auf seine und drückte sie fest.
Chrysogonus nahm dem Mädchen die Lampe ab und stellte sie auf ein Regal. Er löste den Knoten, der ihr Gewand am Hals zusammenhielt, und streifte es über ihre Schultern. Es flatterte an ihrem Körper hinab wie landende Tauben, bis sie nackt vor uns stand. Chrysogonus machte einen Schritt zurück, schürzte seine wulstigen Lippen und musterte mit schweren Lidern erst Rufus und dann das Mädchen. Er lachte leise. «Wenn du sie haben willst, junger Messalla, kannst du sie natürlich haben. Ich verwehre meinen Gästen nichts. Welches Vergnügen du in diesem Haus auch immer finden magst, es gehört dir, ohne daß du erst fragen mußt. Doch du brauchst es nicht wie ein Schuljunge zu tun, der sich in der Speisekammer rumdrückt. Im oberen Stockwerk gibt es genug bequeme Zimmer. Laß sie dir von dem Mädchen zeigen. Laß sie nackt durch das Haus flanieren, wenn du willst -reite sie wie ein Pony! Es wäre nicht das erste Mal.« Er berührte sie erneut, sein Arm bewegte sich, als würde er eine Spur quer über ihre nackten Brüste zeichnen. Das Mädchen stöhnte und zitterte, blieb jedoch absolut still stehen.
Er wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um. »Aber mach nicht zu lange. Sulla wird mir vergeben, wenn du diesen Tanz verpaßt, aber am späteren Abend wird Metrobius einen neuen Gesang vorstellen von... ah, egal, von irgendeinem dieser Speichellecker - wer kann sich schon all die Namen merken? Der arme Narr ist heute abend hier und will sich einschmeicheln. Nach allem, was ich gehört habe, ist es eine Huldigung an die Götter, daß sie uns einen Mann gesandt haben, der den Bürgerkrieg beendet hat: »Sulla, Liebling Roms, Retter der Republik, beginnt es, glaube ich. Und ich bin sicher, daß es genauso ekelerregend fromm weitergeht -außer...« Chrysogonus lächelte und lachte dann hinter geschürzten Lippen, ein tiefes, rauhes Lachen, das er für sich zu behalten schien, wie ein Mann, der Münzen in seiner Hand rollt. »Nur daß Metrobius mir erzählt hat, daß er sich die Freiheit genommen hat, ein paar zotige Verse hinzuzudichten, skandalös genug, um den jungen Dichter den Kopf zu kosten. Stell dir den Gesichtsausdruck des albernen Poeten vor, wenn er hört, wie seine Huldigung sich in Anwesenheit Sullas in eine Beleidigung verwandelt. Sulla wird den Scherz natürlich sofort durchschauen und mitspielen, indem er mit den Füßen aufstampft und vorgibt, empört zu sein - genau die Art Spaß, die Sulla liebt. Es wird der Höhepunkt des Abends werden, Rufus, jedenfalls für einige von uns. Sulla würde sehr enttäuscht sein, wenn du ihn nicht mit uns teilen könntest.« Er lächelte ein vielsagendes Lächeln, starrte die beiden lange an, zog sich dann zurück und schloß dann die Tür hinter sich.
Niemand rührte sich. Ich beobachtete die flackernde Liebkosung des Lampenlichtes auf der Silhouette des Mädchens, auf der geschmeidigen Haut ihrer Schenkel und Hüften. Schließlich bückte sie sich und hob ihr Gewand auf. Tiro drängte sich mit großen Augen resolut an mir vorbei, um ihr zu helfen. Rufus blickte eifrig in eine andere Richtung.
»Also«, sagte ich schließlich, »wenn ich das richtig verstanden habe, hat uns der Hausherr soeben höchstpersönlich erlaubt, oben herumzuschnüffeln. Wollen wir?«
25
Die Tür, durch die Chrysogonus verschwunden war, führte in einen kurzen Flur. Durch einen schmalen Gang zur Linken konnte man geschäftigen Lärm aus der Küche hören. Der Vorhang, der die Öffnung zur Rechten drapierte, durch die Chrysogonus gegangen war, wiegte noch immer sanft hin und her. Das Mädchen führte uns jedoch geradeaus zu einer Tür am Ende des Flurs, die sich zu einer steinernen Wendeltreppe öffnete.