»Es gibt noch eine andere Treppe in dem Raum, in dem mein Herr Gäste empfängt«, flüsterte sie, »sehr protzig, aus edelstem Marmor mit einer Venusstatue in der Mitte. Aber das hier ist die Treppe, die die Sklaven benutzen. Wenn uns irgend jemand entgegenkommt, beachtet ihn gar nicht, selbst wenn man uns merkwürdig ansieht. Oder noch besser, kneift mich so fest, daß ich kreischen muß, und tut alle so, als wärt ihr betrunken. Sie werden bestimmt das Schlimmste annehmen und uns in Ruhe lassen.«
Doch auf der Treppe begegneten wir niemandem, und der Flur im obersten Stockwerk lag völlig verlassen da. Aus dem Erdgeschoß drangen gedämpfte Flöten- und Leierklänge nach oben sowie gelegentlich aufbrandender Beifall -vermutlich in Anerkennung von Sorex’ Tanzkünsten -, aber das Obergeschoß lag dunkel und still da. Der Flur war recht breit und phantastisch dekoriert. Links und rechts gingen große, hohe Räume ab, die noch luxuriöser eingerichtet waren. Alle Flächen schienen mit Teppichen ausgelegt, mit Wandbehängen geschmückt, mit Intarsien verziert oder kunstvoll bemalt zu sein. Wohin das Auge auch schaute, bot sich eine Orgie aus Farben, Stoffen und Formen dar.
»Vulgär, nicht wahr?« sagte Rufus mit der Verachtung des Patriziers. Cicero wäre ganz seiner Meinung gewesen, aber die Einrichtung war nur deswegen vulgär, weil die Räume so vollgepackt waren und alles so einen demonstrativen Eindruck machte. Am meisten beeindruckt war ich vom gleichbleibend guten Geschmack Chrysogonus’, der nur die besten und teuersten Handarbeiten und Kunstwerke erworben hatte - Silber mit Reliefmustern, Gefäße aus delischer und korinthischer Bronze, bestickte Tagesdecken, edle Orientteppiche, kunstvoll geschnitzte Tische und Stühle mit Intarsien aus Perlmutt und Lapislazuli, farbenprächtige Mosaike, kostbare Marmorstatuen und phantastische Gemälde. Es stand außer Zweifel, daß all diese Werke Beute aus den Proskriptionen waren; andernfalls hätte man ein ganzes Leben gebraucht, so viele Gegenstände von so hoher Qualität und so unterschiedlicher Herkunft anzusammeln. Doch niemand konnte behaupten, daß Chrysogonus blindlings geplündert hatte. Sollten die anderen die Spreu nehmen, für sich hatte er nur das Beste ausgewählt, mit dem geübten Auge für Qualität, das Sklaven entwickeln, die davon träumen, eines Tages selbst frei und reich zu sein. Ich war froh, daß Cicero nicht bei uns war; zu sehen, wie Sullas ehemaliger Sklave in gestohlenem Luxus von solch grandiosen Ausmaßen lebte, hätte seine empfindliche Verdauung aufs heftigste gestört.
Der Flur wurde enger, die Räume weniger prachtvoll. Das Mädchen hob einen schweren Vorhang, wir schlüpften hindurch, und nachdem sie ihn wieder fallen gelassen hatte, hörte man keinen Laut mehr von unten. Auch sonst waren wir in eine andere Welt eingetreten und befanden uns auf einmal wieder in Räumen mit grob verputzten Wänden und rauchfleckigen Decken, die Zimmer des gemeinen Bedarfs -Lagerkammern, Sklavenquartiere, Arbeitsräume. Doch selbst hier war weitere Beute angehäuft. Kisten mit bronzenen Gefäßen türmten sich in einer Ecke, zusammengerollte Teppiche lehnten wie schläfrige Wächter an der Wand, in schwere Tücher eingewickelte Tische und Stühle stapelten sich bis zur Decke.
Das Mädchen tappte durch das Chaos, blickte sich verstohlen nach allen Seiten um und machte uns dann ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie zog einen Vorhang zurück.
»Was willst du denn hier oben?« fragte eine nörgelnde Stimme. »Ist unten heute abend nicht eine Gesellschaft im Gange?«
»Ach, laß sie doch in Ruhe«, sagte eine andere Stimme mit vollem Mund. »Nur weil Aufilia mir Extraportionen bringt und bei deinem häßlichen Gesicht die Nase rümpft... doch wer ist das?«
»Nein«, sagte ich, »bleibt ruhig sitzen. Eßt in Ruhe zu Ende.«
Die beiden saßen auf dem harten Fußboden und aßen im Licht einer einzelnen Lampe Kohl und Gerste aus rissigen Schalen. Der Raum war klein und eng mit kahlen Wänden; die winzige Flamme der Lampe ließ die Falten in ihren Gesichtern wie tiefe Furchen aussehen und warf ihre gebückten Schatten bis an die Decke. Ich blieb auf der Schwelle stehen. Tiro drängte sich hinter mich und sah über meine Schulter. Rufus hielt sich im Hintergrund.
Der hagere Nörgler schnaubte verächtlich und starrte mürrisch auf sein Essen. »Für das, was du vorhast, Aufilia, ist dieser Raum zu klein. Kannst du dir nicht einen anderen leeren Raum suchen mit einem Diwan, der groß genug für euch drei ist?«
»Felix!« zischte der andere, stieß den Kollegen mit seinem pummeligen Ellenbogen an und gestikulierte heftig. Felix blickte auf und erbleichte, als er den Ring an meinem Finger sah. Er hatte gedacht, wir wären alle drei Sklaven, die nach einem Platz suchten, ihre eigene Party zu feiern.
»Vergib mir, Bürger«, flüsterte er und verbeugte sich. Sie verfielen in Schweigen und warteten darauf, daß ich etwas sagte. Vorher waren sie menschliche Wesen gewesen, der eine hager und reizbar, der andere fett und gutmütig, mit lebendigen Gesichtern im warmen Licht, die aßen und sich mit dem Mädchen kabbelten. Von einem Augenblick zum nächsten waren ihre Gesichter grau und beliebig geworden, mit derselben leeren Miene, die jeder Sklave jedes strengen Herrn aufsetzte, der je in Rom gelebt hatte.
»Schaut mich an«, sagte ich. »Schaut mich an! Und wenn ihr nicht zu Ende essen wollt, stellt eure Schalen ab und steht auf, damit ich euch in die Augen sehen kann. Wir haben nicht viel Zeit.«
*
»Bevor man es sehen konnte, hatte er das Messer gezückt«, sagte Felix. »Blitzartig.«
»Ja, im wahrsten Sinne des Wortes blitzartig!« Chrestus stand hinter ihm und rieb sich nervös seine Patschhände, wobei sein Blick zwischen meinem Gesicht und dem seines Freundes hin und her wanderte.
Nachdem ich erklärt hatte, wer ich war und was ich wollte, hatten sie erstaunlich bereitwillig, ja geradezu eifrig begonnen zu reden. Tiro stand mit nachdenklichem Gesicht neben mir im Lampenlicht. Ich hatte Rufus im letzten Zimmer des Hauptflures postiert, so daß er möglicherweise umherirrende Gäste verscheuchen konnte. Das Mädchen hatte ich mitgeschickt; sie war seine Entschuldigung dafür, sich im oberen Stockwerk herumzudrücken, und außerdem gab es keinen Grund, sie weiter in die Sache zu verwickeln oder ihr die volle Wahrheit über den Grund unseres Besuches anzuvertrauen.
»Wir hatten keine Chance, unserm Herrn zur Hilfe zu kommen. Sie haben uns aus dem Weg gestoßen«, sagte Felix. »Kräftige Männer, so stark wie Pferde.«
»Und nach Knoblauch haben sie gestunken«, fügte Chrestus hinzu. »Sie hätten auch uns getötet, wenn Magnus sie nicht gebremst hätte.«
»Und ihr seid sicher, daß es Magnus war?« fragte ich.
»O ja.« Felix schauderte. »Ich hab sein Gesicht nicht gesehen, darauf hat er geachtet. Aber ich hab seine Stimme gehört. «
»Und unser Herr hat seinen Namen genannt, weißt du noch, kurz bevor Magnus zum ersten Mal auf ihn eingestochen hat«, sagte Chrestus. »>Magnus, Magnus, verflucht seist du!< mit ganz dünner Stimme. In meinen Träumen höre ich sie manchmal noch heute.«
Felix Schürzte seine schmalen Lippen. »Ah ja, stimmt. Das hatte ich ganz vergessen.«
»Und die beiden anderen Täter?« fragte ich.
Sie zuckten einträchtig mit den Schultern. »Einer von ihnen könnte Mallius Glaucia gewesen sein, obwohl ich mir da nicht sicher bin«, sagte Felix. »Der andere hatte einen Bart, das weiß ich noch genau.«
»Einen roten Bart?«
»Schon möglich. Schwer zu sagen bei dem Licht. Er war noch größer als Glaucia und stank fürchterlich nach Knoblauch.«
»Rotbart«, murmelte ich. »Und wie hat Magnus sie davon abgehoben, euch zu töten?«