Was, wenn er einwilligte und sie dem Gericht übergab? Das römische Gesetz verlangte in seiner unergründlichen Weisheit, daß jeder Sklave, der als Zeuge aussagte, der Folter unterworfen werden mußte. Die freiwillige Aussage eines Sklaven war unzulässig; nur die Folter war ein zuverlässiges Siegel der Glaubwürdigkeit. Was könnte sie erwarten? Ich stellte mir den korpulenten Chrestus nackt an Ketten hängend vor, den Hintern von glühenden Eisen verbrannt; den hageren Felix an einen Stuhl gefesselt, die Hand in einem Schraubstock.
»Und danach«, sagte ich, um das Thema zu wechseln, »hast du dem Sohn deines Herrn in Ameria gedient?«
»Nicht sofort«, erklärte Felix. »Und dem jungen Sextus Roscius haben wir auch nie gedient. Wir sind im Haus am Circus Flaminius geblieben, haben unerledigte Dinge geregelt und dem Verwalter geholfen. Wir sind nicht einmal nach Ameria gereist, um an den Beerdigungsfeierlichkeiten für unseren Herrn teilzunehmen. Und dann stand eines Tages Magnus vor der Tür und behauptete, das Haus würde ihm gehören und wir auch. Es stand alles in den Papieren, die er bei sich hatte; was sollten wir machen?«
»Das war in der Zeit, als das kalte Wetter begann«, sagte Chrestus, »aber so wie sich Magnus aufführte, hätte man meinen können, wir hätten Hochsommer gehabt. Oh, unser alter Herr hat gut gelebt und sein Vergnügen gehabt, da gibt es kein Vertun, aber er wußte, daß jedes Laster seinen Ort hatte - Trinkgelage gehörten in eine Taverne, Päderastie in die Bäder, Hurerei ins Bordell und nicht ins Haus, und jede Feier hat einen Anfang und ein Ende. Aber bei Magnus war es eine einzige riesige Orgie, unterbrochen von gelegentlichen Raufereien. Das Haus hat nach Gladiatoren und Schlägern gestunken, und an manchen Abenden hat er sogar Eintritt verlangt. Es war erschütternd, wie die Leute, die im Haus ein und aus gingen, das Andenken unseres Herrn entweiht haben.«
»Und dann kam das Feuer«, sagte Felix verdrießlich. »Na, was will man in einem Haus, das sich derart dem Trunk und der Verwahrlosung hingibt, erwarten? Es brach in der Küche aus und sprang schnell auf das Dach über. Magnus war so betrunken, daß er kaum aufrecht stehen konnte; er betrachtete die Flammen und lachte laut - ich hab gesehen, wie er regelrecht vor Lachen umfiel. Womit ich nicht sagen will, daß er ein freundlicher Mensch ist. Er hat uns immer wieder ins brennende Haus zurückgeschickt, um Wertsachen rauszuholen, und gedroht, uns zu schlagen, als wir zurückschraken. Zwei Sklaven sind auf diese Weise ums Leben gekommen, eingesperrt in den Flammen, weil Magnus sie losgeschickt hatte, seine Lieblingssandalen zu holen. Das gibt dir eine Vorstellung davon, wie sehr wir ihn alle gefürchtet haben, daß wir eher bereit waren, uns den Flammen auszusetzen als seinem Zorn. Ich vermute, das Leben unter Sextus Roscius hatte uns alle verwöhnt.«
»Und dann«, sagte Chrestus und kam ein wenig näher, »wurden wir alle auf Wagen verladen und nach Ameria hochgekarrt, in die tiefste Provinz, und landeten in diesem riesigen Haus als Bedienstete von Capito und seiner Frau. Aus dem Regen in die Traufe, wie man so sagt. Man konnte kaum eine Nacht durchschlafen, weil sie sich ständig anbrüllten. Ich sage dir, diese Frau ist verrückt. Nicht exzentrisch - Caecilia Metella ist exzentrisch -, sondern total verrückt. Einmal hatte sie mich mitten in der Nacht rufen lassen, damit ich die Haare in ihrer Bürste zähle und die grauen von den schwarzen trenne. Sie wollte Buch führen über jedes Haar, das sie verlor! Und natürlich mußte es immer mitten in der Nacht sein, wenn Capito in seinem Zimmer schlief und sie allein vor dem Spiegel saß und in ihr Gesicht starrte. Ich dachte, als nächstes würde sie mich ihre Falten zählen lassen.«
Er machte eine kurze Pause, und ich glaubte, er wäre fertig, aber er kam erst richtig in Fahrt. »Und das Merkwürdigste war, daß Sextus Roscius ständig auftauchte, der Sohn des Herrn. Ich hatte geglaubt, er müsse auch tot sein, weil wir sonst seine Sklaven geworden wären; aber dann dachte ich, daß er uns und das Land wohl verkauft haben mußte. Aber das war auch unwahrscheinlich, weil er doch praktisch wie ein Gefangener oder Bettler in dieser beengten Hütte auf dem Anwesen wohnte. Und dann haben wir von anderen Sklaven schließlich Gerüchte über diese angebliche Proskription gehört, was überhaupt keinen Sinn ergab. Ich dachte, die ganze Welt wäre so verrückt geworden wie Capitos Frau.
Und das Seltsamste war, wie Sextus Roscius sich benahm. Zugegeben, der Mann kannte uns kaum, weil er bei den wenigen Anlässen, zu denen er nach Rom kam, immer nur ein paar Augenblicke im Haus seines Vaters verbracht hat und wir auch nicht seine Sklaven waren. Aber man sollte doch meinen, er hätte eine Gelegenheit gefunden, uns zur Seite zu nehmen, genau wie du jetzt, um uns nach dem Tod seines Vaters zu fragen. Wir waren schließlich dabei, als es passiert ist; das muß er gewußt haben. Aber jedesmal wenn er uns traf, hat er in die andere Richtung gesehen. Und wenn er darauf wartete, Capito zu sehen - normalerweise, um ihn um Geld anzubetteln -, und einer von uns hielt sich aus irgendeinem Grund in der Halle auf, hat er lieber draußen gewartet, selbst wenn es kalt war. Als ob er Angst vor uns hätte! Ich fing an zu glauben, daß man ihm vielleicht erzählt hatte, daß wir Komplizen bei der Ermordung seines Vaters gewesen waren, als ob irgendjemand das von zwei harmlosen Sklaven annehmen könnte!«
Erneut flackerte so etwas wie die Wahrheit im Zimmer auf wie ein mattes Licht neben der Lampe, zu schwach, um Schatten zu werfen. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und fuhr zusammen.
»Gordianus!« Es war Rufus, ohne das Mädchen. Chrestus und Felix wichen zurück. »Gordianus, ich muß zurück auf die Feier. Ich hab das Mädchen schon vorgeschickt. Chrysogonus hat einen Sklaven nach uns suchen lassen; Metrobios soll jeden Moment anfangen zu singen. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, werde ich nur ihre Aufmerksamkeit erregen.«
»Ja, gut«, sagte ich. »Geh schon vor.«
»Wirst du alleine aus dem Haus finden?«
»Natürlich.«
Er sah sich in dem Zimmer um, ihm war in der billigen Umgebung einer Sklavenunterkunft offensichtlich unbehaglich zumute. Die Rolle des Spions stand ihm nicht; er fühlte sich mehr zu Hause, wenn er im hellen Tageslicht auf dem offenen Forum den jungen Patrizier spielen konnte.
»Bist du bald fertig? Ich finde, ihr solltet hier so schnell wie möglich verschwinden. Nach Metrobius’ Vortrag ist das Unterhaltungsprogramm beendet, und alle möglichen merkwürdigen Gestalten werden durchs Haus geistern. Dann seid ihr hier nicht mehr sicher.«
»Wir werden uns beeilen«, sagte ich, packte seine Schulter und schob ihn zur Tür. »Außerdem«, sagte ich leise, »kann es doch nicht so schrecklich gewesen sein, Aufilia eine Stunde lang zu unterhalten.«
Er verzog einen Mundwinkel und schüttelte meine Hand ab.
»Ich habe doch gesehen, wie du sie in der Speisekammer geküßt hast.«
Er fuhr herum und starrte mich wütend an, warf den anderen dann einen schiefen Blick zu und machte ein paar Schritte zurück, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten. Er sprach so leise, daß ich ihn kaum verstehen konnte. »Du solltest keine Witze darüber machen, Gordianus.«
Ich trat mit ihm auf den Flur. »Das war kein Witz«, sagte ich. »Ich habe nur gemeint -«
»Ich weiß, was du gemeint hast. Aber vertu dich nicht. Ich habe sie nicht aus Vergnügen geküßt, sondern weil ich mußte. Ich habe die Augen geschlossen und an Cicero gedacht. « Seine Gesichtszüge erstarrten, bevor er wieder ganz gelassen wirkte, wie alle Liebenden beruhigt dadurch, daß er den Namen des Geliebten aussprach. Er atmete tief ein, lächelte mich seltsam an und wandte sich dann zum Gehen. Was ich als nächstes sah, ließ meinen Herzschlag für einen Moment stocken.
»Da bist du ja, junger Messalla!« Die Stimme war wahrhaft golden, wie Honig oder Perlen in Bernstein. Er kam durch den Flur auf Rufus zu, kaum zwanzig Schritte entfernt. Einen Augenblick lang sah ich sein Gesicht und er meins. Dann fiel der Vorhang.