Einen Herzschlag später stand sein Kumpan neben ihm, der blonde Riese Mallius Glaucia. Die Wunde, die Bast in sein Gesicht gerissen hatte, sah in dem blassen Licht häßlich geschwollen aus. Er hielt sein Messer im selben Winkel wie sein Herr, nach oben und nach vorn, als sei er im Begriff, einen Tierkadaver aufzuschlitzen.
»Was habt ihr hier zu suchen?« sagte Magnus und spielte mit dem Messer in seiner Hand, so daß die Klinge im Mondlicht blitzte. Seine Stimme war höher, als ich erwartet hatte. Sein ländliches Latein wurde überdeckt vom durchdringend nasalen Akzent der Straßenbanden.
Ich sah beiden Männern in die Augen; sie hatten keine Ahnung, wer ich war. Glaucia war zu meinem Haus geschickt worden, um mich einzuschüchtern oder zu ermorden, zweifelsohne von Magnus, aber keiner der beiden hatte mich je leibhaftig zu Gesicht bekommen außer als vorbeiziehenden Fremden auf der Straße vor Capitos Haus. Ich zog meine Hand langsam wieder aus der Tunika hervor. Ich hatte ursprünglich vorgehabt, nach meinem Messer zu greifen; statt dessen hatte ich den eisernen Ring von meinem Finger gestreift. Ich warf die Hände in die Luft.
»Verzeihung, bitte«, sagte ich, überrascht, wie leicht es war, angesichts zweier Riesen mit langen Dolchen bescheiden und demütig zu klingen. »Wir sind die Sklaven des jungen Marcus Valerius Messalla Rufus. Wir sind nach oben geschickt worden, ihn zu holen, bevor die Abendunterhaltung begann. Wir haben uns verirrt - zu dumm!«
»Und spioniert ihr deswegen dem Hausherrn und seinen Gästen nach?« zischte Magnus. Er und Glaucia trennten sich und kamen wie Flanken einer Armee auf uns zu.
»Wir sind hier stehengeblieben, um einen Blick vom Balkon zu werfen und ein wenig frische Luft zu schnappen.« Ich zuckte die Schultern, ließ die Hände in Sicht und tat mein Bestes, jämmerlich und verwirrt zu klingen. Ich warf einen Blick zu Tiro, der sich meiner Vorgabe entweder bewundernswert anpaßte oder schlicht von Sinnen war vor Angst. »Wir haben den Gesang gehört und das kleine Fenster entdeckt, was natürlich dumm und anmaßend von uns war, und ich bin sicher, euer Herr wird dafür sorgen, daß wir für soviel Unverschämtheit geschlagen werden. Es ist nur so, daß wir nicht oft Gelegenheit haben, eine solch glanzvolle Versammlung zu betrachten.«
Magnus packte mich bei den Schultern und stieß mich auf den Balkon, ins Licht. Glaucia schubste Tiro gegen mich, so daß ich rückwärts gegen die hüfthohe Mauer taumelte und sie mit beiden Händen fassen mußte, um mein Gleichgewicht zu halten. Der klaffende Abgrund unter mir löste sich in eine Graskuppe auf, auf der die Zypressen im Mondlicht seltsame Schatten warfen. Von unten hatte der Balkon nicht halb so hoch ausgesehen.
Magnus riß an meinen Haaren, kitzelte mit der Klinge das weiche Fleisch unter meinem Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. » Ich hab dein Gesicht schon mal gesehen«, flüsterte er. »Glaucia, guck mal! Woher kennen wir diesen Hund?«
Der blonde Riese musterte mich, schürzte die Lippen und runzelte die Stirn. Er schüttelte ratlos den Kopf. »Weiß nicht«, grunzte er. Dann leuchtete sein Gesicht auf. »In Ameria«, sagte er. »Weißt du nicht mehr, Magnus? Noch gar nicht lange her, auf der Straße, kurz vor dem Abzweig zu Capitos Villa. Er kam uns alleine auf einem Pferd entgegen.«
»Wer bist du?« knurrte Magnus mich an. »Was hast du hier zu suchen?« Der Druck des Messers wurde fester, bis ich spürte, wie meine Haut riß. Ich stellte mir vor, wie Blut die Klinge hinabtröpfelte. Es spielt keine Rolle, wer ich bin, wollte ich sagen. Ich weiß, wer ihr seid, alle beide. Du hast deinen Vetter kaltblütig ermordet und seine Güter gestohlen. Und du bist in mein Haus eingedrungen und hast eine blutige Botschaft an die Wand geschmiert. Du hättest Bethesda umgebracht, wenn du eine Chance gehabt hättest, und vorher hättest du sie wahrscheinlich vergewaltigt.
Ich riß mein Knie nach oben, direkt in Magnus’ Schritt. Reflexartig ließ er die Hand sinken. Die Klinge schlitzte meine Tunika auf und kratzte über meine
Brust. Egal, ich wußte ohnehin, daß ich verloren war - Glaucia stand direkt neben mir, den Dolch gezückt. Ich machte mich auf den Stoß in mein Herz gefaßt.
Nur daß mich niemand erstach, sondern statt dessen Glaucia auf die Knie fiel, das Messer fallen ließ und an seinen Kopf faßte. Hinter ihm stand Tiro mit einem blutigen Ziegelstein in der Hand. »Er hat sich aus der Mauer gelöst«, erklärte er mit verdutztem Blick.
Keiner von uns dachte daran, nach Glaucias Dolch zu greifen, außer Magnus. Er packte ihn blitzschnell, machte ein paar Schritte zurück und stürzte dann, schnaufend wie ein Stier und ein Messer in jeder Hand, auf uns zu.
Bevor ich es wußte, war ich über die Mauer verschwunden, als sei mein Körper gesprungen und habe meinen Verstand zurückgelassen. Ich fiel in die Finsternis, wenn auch nicht allein. Ein Stück rechts über mir segelte ein weiterer Körper durch die Nacht - Tiro. Wie ein ausgebrannter Komet trudelte hinter ihm ein blutverschmierter Ziegelstein violett glänzend im blauen Mondlicht in die Tiefe. Magnus war nur noch ein wutverzerrtes Gesicht, das über die hohe Mauer auf uns herabblickte, flankiert von zwei gezückten Dolchen, die von Sekunde zu Sekunde kleiner wurden.
DRITTER TEIL
GERECHTIGKEIT
27
Etwas bemerkenswert Hartes und Großes sauste mir entgegen und stieß von unten gegen mich; fester, trockener Boden. Wie von der Hand eines Riesen geworfen, wurde ich nach vorn geschleudert, überschlug mich und blieb abrupt liegen. Neben mir hörte ich Tiro stöhnen. Er klagte über irgend etwas, aber die Worte klangen verwischt und undeutlich. Für den Augenblick hatte ich Magnus völlig vergessen. Ich konnte nur denken, wie erstaunlich dünn die Luft war und wie außergewöhnlich fest im Gegensatz dazu die Erde. Dann kam ich zu mir und blickte auf.
Magnus’ wütendes Gesicht schien unglaublich weit weg; wie konnte ich nur so tief gesprungen sein? Es bestand keine Gefahr, daß er mir folgen würde -kein vernünftiger Mensch würde einen solchen Satz wagen, es sei denn, es ginge um sein Leben. Magnus würde es auch nicht wagen, Alarm zu schlagen, nicht solange Sulla sich im Haus aufhielt - sonst bestand die Gefahr, daß zu viele Fragen gestellt wurden. Wir waren so gut wie frei, dachte ich. In der Zeit, die Magnus brauchen würde, um durch die Flure und Treppen hinabzueilen, wären wir längst in der Dunkelheit verschwunden. Warum lächelte er dann auf einmal?
Ein stöhnendes Geräusch ließ mich den Blick zu Tiro wenden, der zitternd auf allen vieren neben mir im verdorrten Gras hockte. Er richtete sich auf und versuchte es zumindest, bevor er hilflos nach vorn stürzte, er probierte es wieder und fiel erneut. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. » Mein Knöchel«, flüsterte er heiser und fluchte dann. Ich blickte zum Balkon hoch. Magnus war nicht mehr da.
Ich kämpfte mich auf die Füße und zog Tiro hoch. Er biß die Zähne zusammen und gab ein seltsam gurgelndes Geräusch von sich - ein Schmerzensschrei, den er mit schierer Willenskraft unterdrückte.
»Kannst du gehen?« fragte ich.
»Natürlich.« Tiro stieß sich von mir ab und fiel prompt auf die Knie. Ich zog ihn wieder hoch, legte seinen Arm um meine Schulter und begann, so schnell ich konnte, zu gehen, dann zu traben. Irgendwie schaffte er es, an meiner Seite zu humpeln, wobei er vor Schmerz zischte. Wir gelangten etwa dreißig Meter weit, bevor ich weit hinter uns ein Geräusch hörte. Mein Mut sank.
Ich blickte mich um und sah Magnus im Schein der Fackeln vor Chrysogonus’ Portikus auf die Straße stürzen. Hinter ihm kam eine weitere Gestalt aus dem Haus - ich erkannte den massigen Körper von Mallius Glaucia. Einen Augenblick lang konnte ich das Gesicht des blonden Riesen genau erkennen, blutverschmiert, vom blaßblauen Mondlicht beleuchtet und eingerahmt von den flackernden Fackeln, sah es kaum menschlich aus. Die beiden blieben in der Mitte der Straße stehen und sahen sich in alle Richtungen um. Ich zog Tiro in den Schatten des Baumes, unter dem wir zuvor die Ankunft Sullas beobachtet hatten, und glaubte, die Dunkelheit würde uns schützen, aber Magnus mußte die Bewegung aus dem Augenwinkel wahrgenommen haben. Ich hörte einen Schrei und das Klappern von Sandalen auf den Pflastersteinen.