»Auf meine Schultern!« zischte ich. Tiro begriff sofort und humpelte in Position. Ich bückte mich zwischen seinen Beinen, hob ihn hoch und begann zu rennen, überrascht von meiner eigenen Stärke. Mühelos glitt ich über die glatten Steine. Ich atmete tief ein und lachte laut, weil ich glaubte, eine ganze Meile so laufen und meinen Vorsprung auf Magnus mit jedem Schritt vergrößern zu können. Ich hörte sie hinter mir rufen, aber nur leise; vor allem hörte ich das Blut in meinen Ohren pochen.
Dann war der Kitzel des Augenblicks mit einem einzigen Atemzug, der flacher kam als die anderen, plötzlich vorbei. Schritt für Schritt verpuffte mein Energieschub. Der ebene Boden schien sich erst bergauf zu neigen und dann zu schmelzen, als ob ich durch Schlamm laufen würde. Anstatt zu lachen, hustete ich jetzt und konnte mit einemmal meine Füße kaum vom Boden heben; Tiro war schwer wie eine Bronzestatue. Ich hörte Magnus und Glaucia näherkommen.
Wir stolperten an einer hohen, efeubewachsenen Mauer entlang. Dann war die Mauer zu Ende. Und plötzlich erkannte ich zu meiner Linken Caecilia Metellas Haus. Der Portikus war von einer einzelnen Kohlenpfanne beleuchtet, flankiert von den beiden Wärtern, die zur Bewachung von Sextus Roscius hier postiert waren.
»Helft uns!« brachte ich keuchend hervor. »Caecilia Metella kennt mich. Zwei Männer sind hinter uns her - Kriminelle - Mörder!«
Die beiden Soldaten bauten sich, die Schwerter gezückt, vor uns auf, machten jedoch keine Anstalten, mich aufzuhalten, als ich mich bückte und Tiro von meinen Schultern auf seine Füße gleiten ließ. Er tat einen wackeligen Schritt nach vorn und brach stöhnend vor der Tür zusammen. Ich ging an ihm vorbei und hämmerte gegen die Tür, sah mich dann um und beobachtete, wie Magnus und Glaucia eben noch im Lichtschein zum Stehen kamen.
Bei ihrem Anblick wichen selbst die bewaffneten Männer einen Schritt zurück - Magnus mit seinem wirren Haar, dem vernarbten Gesicht und den bebenden Nüstern, Glaucia mit blutverschmierter Stirn, beide die Dolche gezückt. Ich schlug erneut gegen die Tür.
Magnus ließ seine Waffe sinken und machte Glaucia ein Zeichen, dasselbe zu tun. »Dies sind zwei Diebe«, sagte er und zeigte auf mich. Trotz seiner wüsten Erscheinung klang seine Stimme gesetzt und moderat, ja, er war nicht einmal außer Atem. »Einbrecher«, erklärte er. »Wir haben sie er wischt, als sie sich gewaltsam Zutritt zum Haus von Lucius Cornelius Chrysogonus verschaffen wollten. Übergebt sie uns.«
Die beiden Soldaten tauschten verwirrte Blicke aus. Sie hatten den Befehl, einen Gefangenen zu bewachen, waren jedoch nicht angehalten, irgend jemand am Betreten des Hauses zu hindern oder für Ordnung auf der Straße zu sorgen. Sie hatten keinen Grund, zwei wild dreinblickenden Männern mit Messern zu helfen. Genausowenig wie sie Grund hatten, zwei unerwarteten nächtlichen Besuchern zu helfen. Magnus hätte ihn erzählen sollen, daß wir zwei entsprungene Sklaven waren; das hätte die Soldaten als Mitbürger verpflichtet, uns auszuliefern. Aber jetzt war es zu spät, seine Geschichte zu ändern. Statt dessen griff er, als die Wachen nicht reagierten, in seine Tunika und zog eine schwer aussehende Börse hervor. Die Wächter betrachteten die Börse, sahen einander an und musterten dann ohne große Zuneigung Tiro und mich. Ich hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür.
Schließlich öffnete sich ein Sichtschlitz, und hindurch blickten die berechnenden Augen des Eunuchen Ahausarus. Sein Blick wanderte von mir zu Tiro und dann weiter zu den beiden Mördern auf der Straße. Ich suchte noch immer stammelnd und keuchend nach Worten, als er die Tür öffnete, uns hereinließ und sie krachend wieder zuwarf.
Ahausarus weigerte sich, seine Herrin zu wecken. Er wollte uns auch nicht erlauben, über Nacht zu bleiben. Magnus konnte noch immer dort draußen auf der Lauer liegen; schlimmer noch, er konnte Glaucia losgeschickt haben, Verstärkung zu holen. Je schneller wir hier wegkamen, desto besser. Nach hastigen Verhandlungen war Ahausarus hocherfreut, uns zusammen mit einer Mannschaft gähnender Sänftenträger, die Tiro tragen sollten, sowie einigen Gladiatoren aus der persönlichen Leibwache seiner Herrin wieder loszuwerden.
»Keine weiteren Abenteuer mehr!« sagte Cicero streng. »Es ist völlig sinnlos. Wenn Caecilia am Morgen davon erfährt, wird sie entrüstet sein. Tiro hat sich verletzt. Und es ist gar nicht auszudenken, welche Konsequenzen die Sache noch hätte nach sich ziehen können - Chrysogonus in seinem eigenen Haus nachzuspionieren, während Sulla persönlich anwesend ist. Mein eigener Sklave und ein anrüchiger Spießgeselle werden dabei erwischt, wie sie in einer Privatvilla auf dem Palatin herumschleichen, während dort eine Gesellschaft zu Ehren Sullas stattfindet. Daraus ließe sich mit Leichtigkeit ein Staatsverbrechen konstruieren, oder etwa nicht? Was, wenn man euch erwischt und vor Chrysogonus geschleift hätte? Man hätte euch genausogut als Mörder wie als Einbrecher bezeichnen können. Wollt ihr meinen Kopf auf seinem Stock sehen? Und das Ganze für nichts und wieder nichts - die Eskapade hat keinerlei neue Erkenntnisse gebracht, oder doch? Nichts von Bedeutung, soweit ich erkennen kann. Deine Arbeit ist erledigt, Gordianus. Gib es auf! Alles hängt jetzt von Rufus und mir ab. In drei Tagen beginnt der Prozeß. Bis dahin will ich nichts von weiteren absurden Abenteuern hören! Halte dich raus und versuch, am Leben zu bleiben. Ich verbiete dir ausdrücklich, dieses Haus zu verlassen.«
Manche Menschen sind nicht unbedingt bester Laune, wenn sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt werden. Seit wir die Halle betreten hatten und Cicero von einem Sklaven geweckt worden war, um die bizarre nächtliche Heimsuchung durch trampelnde Leibwächter und seinen Sklaven in einer Sänfte zu begutachten, war er bissig und unhöflich gewesen. Er hatte tiefe schwarze Ringe unter den Augen. Müde oder nicht, Cicero redete ununterbrochen, während er gleichzeitig wie eine brütende Henne um Tiro herumgluckte, der bäuchlings auf dem Tisch lag, während der Hausarzt, der außerdem der Chefkoch des Haushalts war, seinen Knöchel untersuchte und ihn behutsam in verschiedene Richtungen drehte. Tiro zuckte vor Schmerz und biß sich auf die Lippen. Der Arzt nickte ernst.
»Nicht gebrochen«, sagte er schließlich, »nur verstaucht. Er hat Glück gehabt; sonst hätte er vielleicht ein Leben lang gehumpelt. Am besten man gibt ihm reichlich Wein zu trinken - das verdünnt das angestaute Blut und entspannt die Muskeln. Heute nacht sollte der Knöchel in kaltem Wasser liegen, je kälter, desto besser, damit die Schwellung abklingt. Wenn du willst, kann ich jemanden losschicken, frisches Quellwasser zu besorgen. Morgen muß der Knöchel fest verbunden werden, und dann darf er nicht belastet werden, bis der Schmerz völlig abgeklungen ist. Ich werde morgen den Schreiner beauftragen, ihm eine Krücke zu schnitzen.«
Cicero nickte erleichtert. Plötzlich begann sein Kiefer zu zittern. Seine Lippen bebten. Sein Kinn überzog sich mit Grübchen. Er öffnete den Mund zu einem breiten Gähnen, während er gleichzeitig versuchte, ihn geschlossen zu halten. Er blinzelte verschlafen. Er warf mir durch schwere Lider einen letzten abschätzigen Blick zu, schüttelte mißbilligend den Kopf in Tiros Richtung und begab sich wieder zur Ruhe.
*
Müde schlich ich in mein Zimmer. Bethesda saß hellwach im Bett und wartete auf mich. Sie hatte hinter der geschlossenen Tür gelauscht, jedoch nur Bruchteile unseres nächtlichen Abenteuers verstehen können. Sie bombardierte mich mit Fragen, und ich antwortete und antwortete. Auch dann noch, als meine gemurmelten Erwiderungen längst keinen Sinn mehr ergaben.