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»Ach so. Vermutlich hat Cicero dich nur geschickt, um mal kurz nach mir zu sehen.«

Tiro zuckte, so gut es auf die Krücke gestützt ging, mit den Schultern. »Eigentlich hat Cicero mich mit einer Botschaft zu dir gesandt.«

»Eine Botschaft? Warum schickt er dich mit deinem verstauchten Knöchel?«

»Vermutlich dachte er, daß die anderen Sklaven... das heißt, ich bin sicher, er hätte auch selbst kommen können, nur - er hat mir jedenfalls aufgetragen, dich daran zu erinnern, was er letzte Nacht gesagt hat. Weißt du noch?«

»Was soll ich noch wissen?« Mir war plötzlich wieder nach Spotten zumute.

»Er sagt, du sollst das Haus nicht verlassen. Was immer Ciceros Haushalt zu deinem Wohlbefinden beitragen kann, steht dir selbstverständlich zur

Verfügung, und wenn du etwas von draußen brauchst, kannst du jederzeit einen Haussklaven losschicken.«

»Ich bin es nicht gewohnt, den ganzen Tag und die ganze Nacht im Haus zu bleiben. Vielleicht begleite ich Rufus bei einem seiner Gänge zum Forum.«

Tiro wurde rot. »Also, das ist so, Cicero hat den Wächtern, die er zum Schutz des Hauses gemietet hat, gewisse Anweisungen erteilt.«

»Anweisungen?«

»Er hat ihnen befohlen, dafür zu sorgen, daß du das Haus nicht verläßt.«

Ich starrte ihn ungläubig an, bis Tiro den Blick senkte. »Er will mich im Haus festhalten? So wie die Wächter von Caecilias Haus Sextus Roscius festhalten?«

»Naja, vermutlich schon.«

»Ich bin ein römischer Bürger, Tiro. Wie kann Cicero es wagen, einen Bürger in seinem Haus gefangenzuhalten? Was werden diese Wächter tun, wenn ich versuche, das Haus zu verlassen?«

»Ich weiß nur, daß Cicero ihnen befohlen hat, wenn nötig Gewalt anzuwenden. Ich glaube nicht, daß sie dich tatsächlich schlagen würden...«

Ich spürte, wie mein Gesicht und meine Ohren so rot wurden wie Tiros. Ich warf einen Seitenblick zu Bethesda und sah, daß sie verstohlen lächelte und recht erleichtert aussah. Tiro atmete tief ein und machte ein paar Schritte zurück, als hätte er mit seiner Krücke eine Linie in den Sand gezogen, hinter die er zurück mußte.

»Du mußt das verstehen, Gordianus. Das ist jetzt Ciceros Fall. Es war immer sein Fall. Du hast dich in seinen Diensten in Gefahr begeben, und dafür bietet er dir seinen Schutz. Er hat dich beauftragt, die Wahrheit herauszufinden, und das hast du getan. Jetzt muß diese Wahrheit vom Gesetz beurteilt werden. Das ist Ciceros Gebiet. Die Verteidigung von Sextus Roscius ist das wichtigste Ereignis in seinem Leben. Er glaubt ernsthaft, daß du jetzt eher eine Gefahr als eine Hilfe für ihn bist. Du darfst dich ihm nicht widersetzen. Du darfst ihn nicht auf die Probe stellen. Tu einfach, was er verlangt. Verlaß dich auf ihn.«

Tiro wandte sich zum Gehen, ohne mir Zeit für eine Antwort zu lassen, wobei er seine Unbeholfenheit mit der Krücke zum Vorwand nahm, sich weder umzudrehen noch eine Abschiedsgeste zu machen. Eine Zeitlang war der Hof noch von seiner Gegenwart erfüllt: eloquent, loyal, beharrlich und selbstbewußt - in jeder Beziehung der Sklave seines Herrn.

Ich nahm erneut die Chronik von Polybius zur Hand, in der ich gelesen hatte, aber die Worte schienen zu verschwimmen und vom Pergament zu rutschen. Ich hob meinen Blick und ließ ihn in den Schatten des Säulengangs wandern. Bethesda saß mit geschlossenen Augen da und genoß wie eine Katze das warme Sonnenlicht. Sie schien förmlich zu schnurren. Ich rief ihren Namen.

»Bring diese Schriftrolle zurück«, sagte ich. »Sie langweilt mich. Geh ins Arbeitszimmer. Bitte unseren Gastgeber um Verzeihung für die Störung, und frage Tiro, ob er etwas von Plautus für mich finden kann oder vielleicht eine dekadente griechische Komödie.«

Bethesda ging los und murmelte den unvertrauten Namen vor sich hin, damit sie ihn nicht vergaß. Sie hielt die Rolle in jener eigentümlichen Art, in der alle Analphabeten Schriftstücke tragen - vorsichtig, weil sie wissen, daß sie wertvoll sind, aber auch nicht zu behutsam, in der Gewißheit, daß sie nicht zerbrechen können, und ohne jede Zuneigung, ja sogar mit einem gewissen Abscheu. Als sie im Haus verschwunden war, drehte ich mich um und ließ meinen Blick über den Säulengang wandern. Niemand war in der Nähe. Die Hitze des Tages hatte ihren Höhepunkt erreicht. Alle ruhten oder hatten zumindest in den kühlen Innenräumen des Hauses Zuflucht gesucht.

Das Dach des Portikus zu besteigen war leichter, als ich gedacht hatte. Ich kletterte an einer der schlanken Säulen hoch, packte das Dach und hangelte mich hoch. Die Höhe schien für einen Mann, der am Abend zuvor praktisch geflogen war, nicht weiter nennenswert. Dem Wächter auszuweichen, der am entfernten Ende des Daches lauerte, war ein weit größeres Problem, zumindest glaubte ich das, bis sich ein rissiger Dachziegel unter meinem Fuß löste und einen Sprühregen kleiner Steinchen auf den gepflasterten Hof fallen ließ. Der Wächter rührte sich nicht vom Fleck, er stand, mir den Rücken zugewandt, auf seinen Speer gestützt und döste. Vielleicht hörte er mich, als ich in die Gasse hinabsprang und einen Tontopf umstieß, aber da war es schon zu spät. Diesmal verfolgte mich niemand.

28

Cicero hatte recht; mein Part bei der Untersuchung der Ermordung von Sextus Roscius war erledigt. Aber bis der Prozeß vorüber war, konnte ich

mich unmöglich anderen Aufträgen zuwenden oder auch nur sicher in mein Haus zurückkehren. Cicero war es nicht gewohnt, selbst Feinde zu haben (was sich bei seinem Ehrgeiz nur zu bald ändern würde!), und er nahm an, mich verstecken zu können, bis alles geklärt war. Aber in Rom ist der vor einem liegende Weg stets von Feinden gesäumt. Welchen Sinn hat es, sich im Haus eines anderen zu verkriechen, hinter dem Speer seines Wächters? Der einzig wahre Schutz gegen den Tod ist Fortuna; vielleicht stimmte es ja, daß Sulla überall von ihrer schützenden Hand begleitet wurde - wie ließe sich seine Langlebigkeit sonst erklären, wo doch so viele andere um ihn herum, mit weit weniger Schuld belastet und ungleich tugendhafter, schon lange tot waren.

Ich ging weiter in südlicher Richtung und folgte einem Trampelpfad, der vorbei an Hinterhöfen von Mietshäusern führte, Gassen kreuzte und sich durch Grünflächen schlängelte. Frauen riefen sich von einer Straßenseite zur anderen etwas zu; ein Kind weinte, und seine Mutter stimmte ein Schlaflied an; ein Mann brüllte mit betrunkener und schläfriger Stimme nach Ruhe. Die Stadt, von der Wärme träge und wohlwollend gestimmt, schien mich zu verschlucken.

Ich passierte die Porta Fontinalis und schlenderte ziellos weiter, bis sich hinter einer weiteren Biegung das verkohlte Ungetüm eines ausgebrannten Mietshauses vor mir erhob. Schwarze Fenster öffneten sich in den blauen Himmel, und ich beobachtete, wie krachend eine Mauer zusammenbrach, von Sklaven mit langen Seilen zum Einsturz gebracht. Das Gelände um das Haus war mit schwarzer Asche bedeckt, überall sah man kleine Haufen von verkohlten Gewändern und Überresten diverser Haushaltsgegenstände - ein billiger Topf, der in der Hitze geschmolzen war, das schwarze Skelett eines Webstuhls, ein langer spitzer Knochen, der entweder einem Menschen oder einem Hund gehört hatte. Bettler filzten die kümmerlichen Reste.

Ich wandte mich ab und entfernte mich so hastig, daß ich kaum bemerkte, wohin ich ging. Ich lief gegen einen halbnackten, rußbedeckten Sklaven, der ein Seil über die Schultern hängen hatte. Das Seil straffte sich, er stieß mich zur Seite und rief mir zu, ich solle aufpassen. Ein Teil der Außenmauer landete krachend vor meinen Füßen und zersprang wie ein hartes Stück Lehm in tausend Teile. Wäre ich nicht mit dem Sklaven zusammengestoßen, wäre ich wahrscheinlich direkt unter die zusammenstürzende Mauer gelaufen und auf der Stelle tot gewesen. Statt dessen wehte eine Rußwolke harmlos um meine Knie und schwärzte den Saum meiner Tunika.

Ich setzte meinen ziellosen Weg fort, meine Füße ebensowenig beachtend wie meinen Herzschlag oder Atem. Doch es konnte kaum ein Zufall sein, daß ich genau den Weg einschlug, den ich mit Tiro am ersten Tag unserer Ermittlungen gegangen war. Ich fand mich unvermittelt auf demselben Platz wieder, beobachtete dieselben Frauen beim Wasserholen am Brunnen und verscheuchte dieselben trägen Kinder und Hunde. Bei der Sonnenuhr blieb ich stehen und zuckte zusammen, als derselbe Bürger vorbeikam, den ich nach dem Weg zum Haus der Schwäne gefragt hatte, den Rezitator von Schauspielen und Verächter der Zeitmessung. Ich hob die Hand und öffnete den Mund, um ihm einen Gruß zuzurufen. Er blickte auf und starrte mich merkwürdig an, beugte sich dann mürrisch zur Seite, um mir unmißverständlich klarzumachen, daß ich seinen Blick auf die Sonnenuhr versperrte.