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Ich blickte zur Bank der Anklage, von wo aus Magnus mich mit verschränkten Armen, mürrisch und mit bösem Blick anstarrte. Neben ihm blätterten der Ankläger Gaius Erucius und seine Assistenten diverse Unterlagen durch. Erucius war bekannt dafür, abgefeimte Anklagen zu inszenieren, manchmal für Geld, manchmal auch aus purer Böswilligkeit; er war ebenso berühmt dafür zu gewinnen. Ich hatte auch schon für ihn gearbeitet, allerdings nur, wenn ich großen Hunger litt. Er bezahlte gut. Zweifelsohne hatte man ihm ein sehr ansehnliches Honorar versprochen, wenn er den Tod von Sextus Roscius erfocht.

Erucius blickte auf, als ich vorbeikam, schnaubte verächtlich, als er mich erkannte, und wandte sich dann wieder ab, um einen Boten zu sich zu winken, der in der Nähe auf Anweisungen wartete. Erucius war sichtlich gealtert, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, was ihn nicht attraktiver machte. Die Fettringe um seinen Hals waren dicker geworden, und seine Brauen mußten dringend gezupft werden. Wegen der Plumpheit seiner violetten Lippen sah er ständig aus, als würde er schmollen, und seine Augen wirkten schmal und berechnend. Er war das perfekte Abbild eines hinterhältigen Advokaten. Viele bei Gericht verachteten ihn, doch der Pöbel bewunderte ihn. Seine offene Verderbtheit, seine weltmännische Stimme und sein salbungsvolles Gehabe übten eine starke Faszination auf den kriecherischen Mob aus, mit der hausbackene Ehrlichkeit und schlichte römische Tugend unmöglich konkurrieren konnten. Wenn seine Anklage auf starken Füßen stand, konnte er meisterlich das Verlangen der Massen aufpeitschen, einen Schuldigen bestraft zu sehen. Stand sie auf schwachen Füßen, säte er ebenso meisterhaft Zweifel an der Unschuld des Angeklagten und schürte den Argwohn gegen ihn. Vertrat er einen Fall mit heiklen politischen Implikationen, konnte man sich darauf verlassen, daß er die Richter, subtil, aber nachdrücklich daran erinnerte, wo genau ihre eigenen Interessen lagen.

Hortensius wäre ein Gegner für ihn gewesen. Aber Cicero? Erucius war offensichtlich von seinem Widersacher nicht sonderlich beeindruckt. Er rief laut nach einem seiner Sklaven; er drehte sich um, um mit Magnus zu scherzen (sie lachten beide); er räkelte sich und schlenderte, die Hände in die Seite gestützt, umher, ohne die Anklagebank eines Blickes zu würdigen. Dort saß vornübergebeugt Sextus Roscius, hinter ihm zwei Wachen - dieselben beiden, die vor Caecilias Portal postiert gewesen waren. Er sah aus, als wäre er bereits verurteilt - blaß, stumm und regungslos wie ein Stein. Neben ihm wirkte sogar Cicero robust, als er sich erhob und zur Begrüßung meinen Arm faßte.

»Gut, gut! Tiro meinte, er hätte dich in der Menge entdeckt. Ich hatte schon Angst, du würdest zu spät kommen oder ganz wegbleiben.« Er beugte sich, noch immer meinen Arm haltend, lächelnd zu mir und sprach so vertraulich, als wäre ich sein bester Freund. Solche Vertrautheit nach den letzten Tagen kühler Nichtbeachtung irritierte mich. »Guck dir die Reihen der Richter an, Gordianus. Die eine Hälfte ist zu Tode gelangweilt, die andere zu Tode geängstigt. An welcher von beiden soll ich meine Argumentation ausrichten?« Er lachte - nicht gezwungen, sondern ehrlich guter Stimmung. Der übellaunige Cicero, der seit meiner Rückkehr aus Ameria nervös gejammert und geschimpft hatte, schien mit den Iden verschwunden zu sein.

Tiro saß zur Rechten Ciceros, neben Sextus Roscius, und hatte sorgfältig seine Krücke so plaziert, daß sie nicht zu sehen war. Rufus saß links von Cicero, zusammen mit den Adligen, die ihm auf dem Forum behilflich gewesen waren. Ich erkannte Marcus Metellus, einen weiteren von Caecilias jungen Verwandten, zusammen mit der erlauchten Null, dem ehemaligen Magistraten Publius Scipio.

»Natürlich kannst du nicht mit uns auf der Bank Platz nehmen«, sagte Cicero, »aber ich will dich in der Nähe haben. Wer weiß? Vielleicht entfällt mir im letzten Moment noch ein Datum oder ein Name. Tiro hat einen Sklaven abgestellt, dir einen Platz anzuwärmen.« Er wies auf die Tribüne, wo ich zahlreiche Senatoren und Magistraten erblickte, unter ihnen den Redner Hortensius und diverse Messalli und Metelli. Ich erkannte auch den alten Capito. Neben dem Riesen Mallius Glaucia, der einen Verband um den Kopf trug, wirkte er klein und verschrumpelt. Chrysogonus war nirgends zu sehen. Und Sulla war nur in Form seiner vergoldeten Statue anwesend.

Auf Ciceros Wink hin erhob sich ein Sklave von einer der Bänke. Während ich zur Tribüne ging, um meinen Platz einzunehmen, stieß Mallius Claucia Capito in die Seite und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Beide wandten den Kopf und starrten mich an, während ich zwei Reihen oberhalb von ihnen Platz nahm. Glaucia runzelte die Brauen und verzog knurrend die Oberlippe. Inmitten so vieler gesetzter und gediegen gewandeter Römer sah er einem wilden Tier bemerkenswert ähnlich.

Die Morgensonne warf lange Schatten auf das Forum. Als die Sonne gerade über dem Dach der Basilika Fulvia aufstieg, betrat der Praetor Marcus Fannius, der Vorsitzende des Gerichts, die Rostra und räusperte sich. Mit angemessener Würde eröffnete er die Sitzung, rief die Götter an und trug die Anklage vor.

Ich versank in jene Prozeßapathie, die jeden vernünftigen Menschen unweigerlich vor Gericht befällt, hilflos treibend in einem Ozean salziger Rhetorik, der gegen verwitterte metaphorische Klippen brandet. Während Fannius weiterleierte, studierte ich ihre Gesichter - Magnus still vor sich hin glühend, Erucius pompös und gelangweilt, Tiro bemüht, seinen Eifer zu unterdrücken, Rufus, der zwischen all den ergrauten Juristen wie ein Kind aussah. Derweil blieb Cicero abgeklärt und merkwürdig ruhig, während Sextus Roscius selbst nervös die Menge musterte wie ein in die Enge getriebenes, verwundetes Tier, das zuviel Blut verloren hat, um sich noch zu wehren.

Endlich war Fannius fertig und nahm einen Platz unter den Richtern ein. Gaius Erucius erhob sich von der Bank des Anklägers und machte ein langwieriges Theater daraus, seinen korpulenten Körper die Stufen zur Rostra hinaufzuschleppen. Er blähte seine Wangen. Die Richter legten ihre Unterlagen beiseite und stellten ihre Gespräche ein. Die Menge wurde ruhig.

»Werte Richter, ausgewählte Mitglieder des Senats, ich stehe hier heute vor euch mit einer höchst unangenehmen Aufgabe. Denn wie könnte es angenehm sein, einen Mann des Mordes anzuklagen? Doch dies ist eine der unabwendbaren Pflichten, die von Zeit zu Zeit auf die Schultern derjenigen geladen werden, die sich der Erfüllung der Gesetze verschrieben haben.«

Erucius schlug die Augen nieder, um abgrundtiefe Trauer zu demonstrieren. »Aber, werte Richter, meine Aufgabe ist es nicht nur, einen Mörder der Gerechtigkeit zuzuführen, heute geht es vielmehr darum, ein weit älteres und grundlegenderes Prinzip als die Gesetze sterblicher Menschen hochzuhalten. Denn das Verbrechen, dessen sich Sextus Roscius schuldig gemacht hat, ist nicht nur ein einfacher Mord - und das wäre schon schrecklich genug -, sondern Vatermord.«

Abgrundtiefe Trauer schlug in abgrundtiefes Entsetzen um. Erucius runzelte die plumpen Falten in seinem Gesicht und stampfte mit dem Fuß auf. »Vatermord!« rief er, so schrill, daß die Menschen selbst am entferntesten Ende des Platzes zusammenfuhren. Ich stellte mir vor, wie Caecilia Metella in ihrer Sänfte zitterte und sich die Ohren zuhielt.

»Stellt euch das bitte vor - nein, schreckt nicht vor der Gemeinheit des Verbrechens zurück, sondern schaut dem beutehungrigen Ungeheuer direkt ins Maul. Wir sind Menschen, wir sind Römer, und wir dürfen nicht zulassen, daß unser natürlicher Ekel uns die Kraft raubt, selbst dem widerwärtigsten Verbrechen offenen Auges zu begegnen. Wir müssen unseren Widerwillen hinunterschlucken und nach Gerechtigkeit trachten.

Schaut ihn euch an, den Mann, der dort mit zwei bewaffneten Wächtern im Rücken auf der Anklagebank sitzt. Dieser Mann ist ein Mörder. Dieser Mann ist ein Vatermörder! Ich nenne ihn >diesen Mann<, weil es mir Schmerzen bereitet, seinen Namen auszusprechen: Sextus Roscius. Es bereitet mir Schmerzen, weil es derselbe Name ist, den sein Vater vor ihm trug, den Vater, den dieser Mann ins Grab gestoßen - ein vormals ehrwürdiger Name, an dem jetzt Blut klebt, wie an der blutgetränken Tunika, die man an der Leiche des alten Herrn fand, von den Messern seiner Mörder zu Lumpen zerfetzt. Dieser Mann hat den edlen Namen, den sein Vater ihm gegeben hat, in einen Fluch verwandelt!